Dortmund. Eigentlich mag Marlene aus Dortmund keine Glubschaugen. Wieso die Elfjährige sich trotzdem ins Zwergplumplori verliebte und ihm ihren Namen gab.
Es hat ein bisschen gedauert mit der Liebe, Marlene mag nämlich keine Glubschaugen. Und die Augen des Zwergplumploris – nun, die sind wirklich groß. Das muss so sein, weil das Tierchen sonst nichts sieht, nachts im Dschungel, die Elfjährige ging die Beziehung also pragmatisch an: „Die können ja nichts für ihr Aussehen.“ Und irgendwann war es doch Liebe, wenn auch auf den zweiten Blick. Marlene ist jetzt Patentante dreier Primaten, und der Neueste im Dortmunder Zoo trägt sogar ihren Namen.
Wie das Fellknäuel dreinschaut in seiner Astgabel, als der Besuch kommt, mitten am Tag! Käfigtür auf, menschliche Marlene rein, tierische Marlene wird wach. „Das ist“, sagt Marcel Stawinoga, Zwergplumplori-Experte im Zoo, „als würde nachts um drei Besuch kommen: ,Hallo, ich hab’ Kuchen mitgebracht!’“ Allerdings ist der nachtaktive Säuger sichtlich gewillt, die großen Augen zu öffnen – es gibt kein Backwerk, es gibt Heuschrecken.
Geburtstagsgeschenk von Tante Herbert aus Bochum
Was nun schon die zweite Hürde ist, die Marlene Mahtis nehmen muss für die Liebe. „Ich hatte mehr Angst vor den Heuschrecken als vor irgendetwas anderem.“ Aber was tut man nicht alles, um dem Patenkind zur Taufe zu gratulieren! Die Elfjährige hat eine Glückwunsch-Karte geschrieben und eine bunte Futterbox gebastelt, sie „wusste ja nicht, wie das mit der Taufe geht“, aber hinein zu dürfen in das Gehege: „Ich bin so aufgeregt“, sagt die Schülerin auch hinterher noch, wibbelt mit den Beinen in den roten Schuhen und erzählt die Geschichte von Tante Herbert.
Tante Herbert aus Bochum nämlich, „so nennen wir sie“, schenkte dem kleinen Bruder Karl zum Geburtstag die Mitgliedschaft beim BVB. Auf der Suche nach einem Präsent für Marlene muss sie dann auf Helene gestoßen sein: Helene ist 13 und der erste und lange einzige Zwergplumplori im Dortmunder Zoo. „Äffchen“ ist zoologisch nicht der richtige Begriff, aber Loris gehören zumindest zur Familie. Dieser ist besonders klein, zwischen 18 und 38 Zentimeter groß, und sein Name kommt wirklich von „plump“. Auf Englisch heißt er „Slow lori“, dabei, sagt Marcel Stawinoga, sei der Primat weder dick noch langsam.
Orang-Utans kommen den Nachbarn nicht ins Gehege
Im Zoo wohnen die Zwergplumploris im Affenhaus, gegenüber von den Orang-Utans, aber lieber nicht zusammen: Zwar fressen die Menschenaffen vor allem Früchte, aber klein, wie die Nachbarn sind, wollen sie in Dortmund lieber sichergehen, dass die neugierigen Orang-Utans „nicht mal probieren, wie die kleinen Früchtchen schmecken“. Sie kommen sich, im wahren Wortsinn, also nicht ins Gehege. Helene bekam irgendwann einen Gefährten, der Flori heißt nach Helene Fischer und Florian Silbereisen. Es ist also schon ein Weilchen her, das Schlagerpaar getrennt, und auch das Plumplori-Pärchen stieg bislang nicht in die Familienplanung ein. Es sei eine platonische Beziehung, klagt Stawinoga, „da läuft nichts“.
Von Tante Herbert jedenfalls bekam Marlene die Patenschaft für Helene und Flori geschenkt. „Was ist das denn?“, fragte das Kind, zeigte Freude, aber fand die Augen, siehe oben, „nicht sooo schön“. Dann aber lernten sie einander kennen. Die Schülerin erfuhr, dass die Zwergplumploris die meistgehandelten Tiere Südostasiens sind, dass Touristen sich mit ihnen fotografieren lassen, dass Deutsche sie im Wohnzimmer halten, dass ihnen die Zähne abgeknipst werden, weil sie damit giftig beißen können, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Und Marlene war empört. „Das finde ich überhaupt nicht gut. Das soll sich ändern.“
„Die süßesten Tiere, die ich mir jemals vorstellen konnte“
Zu Halloween malte die Elfjährige ein Schild: „Spende für die Plumploris. Rettet sie vorm Aussterben!“ Sie zog damit durch die Nachbarschaft, bat statt um „Süßes oder Saures“ um Geld, sammelte 50 Euro und seither „so viel, wie ich kriegen kann. Es kann ja nicht schaden zu helfen.“ Spätestens, als sie die Spenden abgab beim Zoo, war es um sie geschehen: „Mittlerweile sind es die süßesten Tiere, die ich mir jemals vorstellen konnte. Ich musste nur erstmal richtig hingucken.“
Als kürzlich der dritte Zwergplumplori einzog, übrigens eine Nichte zweiten Grades von Helene, suchte der Zoo öffentlich einen Namen. Susanne Heckendorf-Mahtis schlug den ihrer Tochter vor. 1400 Einsendungen gab es, darunter auch Beatrice, noch eine aus dem Schlagerbunde. „Abgründe“, sagt die Mutter, „schlimm, oder?“, fragt Marlene, die die Abstimmung „zum Glück“ gewonnen hat. So kam es übrigens auch, dass es in Dortmund ein Wasserschwein namens Herr von Bödefeld gibt (die Alternative war Günther) und dass das Eselfohlen aus dem vergangenen Sommer Hans-Joachim heißt.
Und jetzt steht Marlene da, gleich hinter dem Schild „Nicht füttern“ und darf ihre Namensvetterin füttern, was Besucher sonst natürlich nie dürfen. Das scheitert nur fast am Speisenangebot: Da kreuchen und fleuchen diese Heuschrecken, Stabschrecken, wandelnde Bohnen und wandelnde Blätter, alles Insekten, die Marlene „gruselig“ findet. Sonst schlecken die Zwergplumploris Baumharz, eine Kilo-Dose Gummi arabicum steht auch bereit, aber, sagt Marcel Stawinoga, „die wollen ja auch nicht jeden Tag das Gleiche essen“. Und von Bananen kriegen sie Diabetes. Also packt er eine „Snackbox“, reicht der Patin die Krabbelviecher an.
Die schiebt das lebende Getier tapfer durch die Fikusblätter, reckt sich auf Zehenspitzen zu dem glotzenden Bällchen, das aussieht wie eine Kugel Moos. Marlene, der Lori, greift vorsichtig zu, Marlene, der Mensch, wundert sich. „Das war ganz entspannt. Und viel entspannter als ich!“
>>INFO: DER ZWERGPLUMPLORI
Marcel Stawinoga ist Kommunikations-Manager im Dortmunder Zoo und zugleich Vorsitzender von „Plumplori e.V.“. Der Verein setzt sich ein für den Schutz, die Erforschung und die Bekanntheit der Primaten-Art.
Ein weiterer Namensvorschlag für den neuen Zoo-Bewohner war Nairi, das heißt „schöne Augen“. Marlene findet, wenn Flori und Marlene Junge bekommen, dann könnte das erste Weibchen so heißen.