Essen/Gelsenkirchen/Gladbeck. Auf die “Familienehre“ hatten sie sich berufen und den neuen Freund der Tochter misshandelt. Jetzt hat ein Gericht sie verurteilt.
„Verlogen“ nennt Richter Andreas Labentz die brutale Strafaktion, die der Wiederherstellung einer vermeintlichen „Familienehre“ dienen sollte. Weil sie massiv ins Leben einer 31 Jahre alten Essenerin eingriffen und deren spanischen Freund bedrohten und schlugen, müssen ihr Vater und ihr Onkel, beide Gladbecker, ins Gefängnis.
Den Onkel verurteilte das Landgericht Essen zu drei Jahren Haft, den Vater zu zweieinhalb Jahren - beide wegen gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung. Vier weitere ebenfalls türkischstämmige Angeklagte, zwei Gladbecker und zwei Gelsenkirchener, kamen wegen Beihilfe mit Bewährungsstrafen davon.
Vier Männer zur Unterstützung angeheuert
Diese 25 bis 26 Jahre alten Männer waren von den schon älteren Angeklagten angeheuert worden, vermutlich um Widerstand zu brechen. Die Älteren brauchten sie auch, weil sie selbst nicht Englisch sprachen. Irgendeiner musste dem Spanier aber die Drohungen verständlich machen.
Die 31-Jährige war von der in den Niederlanden geführten Ehe mit ihrem Mann enttäuscht, fühlte sich eingeengt und trennte sich von ihm. Sie kehrte zurück zu ihren Eltern, nahm sich eine Wohnung im Essener Stadtteil Katernberg.
Familie akzeptiert den neuen Freund nicht
Sie kam vom Regen in die Traufe. Ihre Familie hielt nichts von der eigenmächtigen Trennung, vor allem aber nichts von ihrem neuen Freund, dem Spanier.
Am 19. Februar 2020 war er mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Kaum in der Katernberger Wohnung der 31-Jährigen angekommen, rückte auch schon die Verwandtschaft an. Wie ein Rollkommando brach sie jeden Widerstand mit Gewalt.
Der Onkel als treibende Kraft bei der Gewalt
Treibende Kraft bei der Aktion war der 50 Jahre alte Onkel der Frau, ihr Vater, 61 Jahre alt, hielt sich bei der Gewalt im Hintergrund. Der Spanier wurde zum Schluss blutend in ein Auto verfrachtet und nach Holland gebracht. Zwischenzeitlich stoppten die Angeklagten das Auto.´
Der Onkel nutzte den Stopp, um dem Spanier noch einmal den Weg aufzuzeichnen: „Ich bringe dich um, wenn du nach Deutschland zurückkommst“, sagte er. Und ebenso unmissverständlich: „Ich drohe dir den Tod an, wenn du zur Polizei gehst.“
In Holland erneut misshandelt
In Holland misshandelten ihn dann Freunde des Ehemanns der 31-Jährigen, die ihn einfach liegen ließen. Sie sitzen nicht auf der Anklagebank.
Der Spanier galt tagelang als vermisst. Dann raffte er sich auf, ging zur Polizei und erzählte, was ihm passiert war.
Geständig und reumütig
Im Prozess vor der XVII. Essener Strafkammer hatten die Angeklagten sich geständig und reumütig gezeigt. Vor allem der Onkel hatte sich distanziert und seine Ablehnung des Ehemannes deutlich gemacht: „Der war ein Diktator.“
Richter Labentz betonte eingangs im Urteil, dass alle Angeklagten „sehr konservativen türkischen Lebensverhältnissen entstammen“. Geprägt seien sie von einem patriarchalischen Denken. Labentz: „Das sind sehr überholte Vorstellungen. Alle leben in Mitteleuropa, im 21. Jahrhundert.“
Tochter eine selbstbewusste Frau
Ganz anders habe die Tochter gelebt, führte Labentz weiter aus: „Sie ist eine selbstbewusste, selbstbestimmte Frau.“
Der Richter stufte die gewalttätige Aktion der Hauptangeklagten als "verlogen" ein. Er sprach dabei den Lebensstil des 61 Jahre alten Vaters an: "Die Konstellation ist wie bei seiner Tochter. Er ist selbst unglücklich verheiratet und hat sich von seiner Frau getrennt. Auch ohne Scheidung lebt er mit seiner neuen Freundin zusammen. Sie ist keine Türkin und keine Muslimin - aber da regt sich keiner auf."