Bochum. Der Missbrauchs-Prozess im Fall Marvin zieht sich weiter in die Länge. Zur angekündigten Aussage des Angeklagten kommt es frühestens Ende Mai.
Zehn Verhandlungstage, das war der Plan. Nun aber tagte die 8. Strafkammer zum 37. Mal: Seit Juni 2020 steht in Bochum der Mann vor dem Landgericht, der den Duisburger Jungen Marvin zweieinhalb Jahre in seiner Wohnung in Recklinghausen versteckt und an die 500-mal missbraucht haben soll. Ein Urteil ist indes noch nicht einmal in Sicht: Auf dem Richtertisch stapeln sich die Beweisanträge, inzwischen kündigte der Angeklagte überraschend eine Aussage an. Da eine Richterin hochschwanger ist, muss der Prozess aber in Kürze erneut unterbrochen werden, und das für mehrere Wochen.
Seine eigene Aussage hat Marvin längst gemacht, vier Termine hat es dafür gebraucht und eine nicht-öffentliche Video-Vernehmung aus einem benachbarten Raum: Der Jugendliche hatte „Angst“ vor einer Begegnung mit dem Mann, der ihn laut Anklage fast 1000 Tage bei sich versteckt hielt, so seine Rechtsanwältin Marie Lingnau. Eine Gutachterin hatte eine Konfrontation im Gerichtssaal zudem als „wissentliche Gefährdung des Kindeswohls“ bezeichnet. Marvin habe die Vorwürfe schließlich „im Wesentlichen bestätigt“, wie eine Gerichtssprecherin sagt: Der wegen Kinderporno-Besitzes vorbestrafte Lars H. (45) soll den anfangs 13-jährigen Marvin in seiner Wohnung im Süden von Recklinghausen jahrelang festgehalten, mit Geld und Zigaretten belohnt und regelmäßig sexuell missbraucht haben.
Kammer muss weitere Beweisanträge bearbeiten
Nach der Einlassung des Hauptbelastungszeugen aber verlangte die Verteidigung vom mutmaßlichen Missbrauchs-Opfer unter anderem noch ein „Schnarch-Gutachten“: In einem Schlaflabor sollte geklärt werden, ob es Marvin ist, der auf einem beim Angeklagten gefundenen Video im Hintergrund schnarcht – was eine Expertise eigentlich bereits bestätigt hatte.
Die Richter wiesen den Antrag zurück, aber die nächsten Beweisanträge lagen schon bereit. Mehr als 20 sollen es sein, die die Verteidiger seit Jahresbeginn vorgelegt haben, darunter ein Befangenheitsantrag gegen die Gutachterin, die längst ihren Vortrag gehalten hat. Einiges hat die Kammer inzwischen abgearbeitet, doch es war bereits abzusehen, dass ein Abschluss der Beweisaufnahme, Plädoyers und Urteil bis zum vorläufig letzten geplanten Verhandlungstag am 8. März nicht zu schaffen sein werden.
Richterin ist hochschwanger
Zwar hatten die Verteidiger des 45-Jährigen kürzlich überraschend angekündigt, dass ihr Mandant nun doch aussagen wolle. Zur Vorbereitung müssen die Rechtsanwälte aber zunächst Gespräche mit dem Inhaftierten führen. Dafür benötigen sie zusätzlich Zeit.
Zudem gibt es einen weiteren dringenden Grund, warum der Prozess nach vielen Verzögerungen durch Anträge und Zwangs-Pausen wegen der Corona-Pandemie nun für bis zu drei Monate unterbrochen werden muss: Eine Richterin ist hochschwanger. An einem der letzten Verhandlungstage hatte die Kammer bereits angekündigt, dass ein Urteil nicht mehr vor der Niederkunft gesprochen werden kann. Innerhalb des gesetzlichen Mutterschutzes nach der Geburt aber darf die Beisitzerin nur bedingt an Sitzungen teilnehmen. Damit der Prozess nicht platzt, wurden mögliche Unterbrechungen geprüft. Derzeit ist eine Fortsetzung nach dem 8. März für Ende Mai oder Anfang Juni vorgesehen.
Marvin wird als Nebenkläger von seiner Mutter aus Duisburg vertreten
Marvin tritt im Prozess als Nebenkläger auf, wird dort durch seine Mutter vertreten. Die Duisburgerin hatte im Zeugenstand erklärt, dass ihr Sohn, der nach einem Aufenthalt in einer Jugendhilfeeinrichtung nun wieder bei der Familie lebt, sich kaum auf die Straße traue.
Die Polizei hatte im Dezember 2019 in der Mietwohnung in Recklinghausen kinderpornografisches Material gesucht und den seit langem in Duisburg und im Vest vermissten Jungen zufällig gefunden. Eine Beamtin entdeckte Marvin im Schrank , wo er sich versteckt hatte. Als Zeugin sagte die Polizistin aus, dass der Junge körperlich und emotional verwahrlost gewirkt habe. Er habe gesagt, dass er in den zweieinhalb Jahren in der Wohnung des Mannes nur dreimal kurz an der frischen Luft gewesen sei. Der Halbwaise war im Alter von 13 Jahren aus einer Jugendeinrichtung verschwunden.