Am Niederrhein. Passen Feminismus und Kirche zusammen? Irene Diller von der Gender- und Gleichstellungsstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland sagt: Ja!
Als Irene Diller Ende der 1980er Jahre ihr Theologiestudium aufnimmt, gibt es an ihrer Fakultät keine einzige Professorin. Doch feministische Theologie ist schon zu diesem Zeitpunkt en vogue. Die Studierenden reißen sich um Zeitschriften wie „Schlangenbrut“, verschlingen Bücher von Dorothee Sölle. All das prägt Diller, ebenso wie ihre spätere Arbeit als Pastorin im Duisburger Norden und als Seelsorgerin im evangelischen Frauenhaus Duisburg. Heute ist die 53-Jährige theologische Dezernentin in der Gender- und Gleichstellungsstelle der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Und setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche ein.
Frau Diller, bezeichnen Sie sich selbst Feministin?
Ja, auf jeden Fall. Ich würde mich aber vor allem als feministische Theologin bezeichnen. Der Feminismus tritt ein für eine geschlechtergerechte Gesellschaft. Die feministische Theologie ebenfalls, stellt zugleich aber auch konkret die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit in Theologie und Kirche.
Wie lässt sich Feminismus mit Kirche verbinden, wenn in der Bibel Textstellen wie diese gibt: „Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau Willen, sondern die Frau um des Mannes Willen“?
Die Bibel ist ein dickes Buch, in dem sich vieles widerspricht. Deshalb verstehen wir in der Evangelischen Kirche Christus als Mitte der Schrift. Wir fragen, was nahe an der Mitte ist. So heißt es dann beispielsweise auch „Gott schuf den Menschen zum Bilde Gottes und schuf sie männlich und weiblich.“
Werden durch die so betonte Zweigeschlechtlichkeit nicht inter* oder trans* Menschen ausgeschlossen?
Im Gegenteil – ich kann auch betonen männlich UND weiblich. Gott schuf den Menschen als geschlechtliche Wesen, als Mann und Frau und alles was dazwischen ist. Gott vereint in sich alle Geschlechter.
Deshalb empfiehlt das Gottesdienstbuch auch, nicht nur von Herr oder Vater zu sprechen?
Eines der Zehn Gebote lautet: Du sollst dir kein Bild von Gott machen. Deshalb bedient sich die Bibel weiblicher, männlicher, oder abstrakter Bilder, gerade um sich nicht auf ein einziges Bild festzulegen. Im Laufe der Zeit wurden die Gottesnamen aber immer einheitlicher übersetzt und so ist man im Deutschen irgendwann beim „Herrn“ gelandet. Das ist sehr unglücklich, denn das Wort selber ist ja ein Alltagswort und lässt nicht erkennen, dass von Gott die Rede ist. Fragt man beispielsweise Kinder, stellen sie sich aufgrund solch sprachlicher Bilder und natürlich wegen der Darstellungen in der Kunst Gott immer als alten, weißen Mann mit langem Bart vor. Das hat aber nichts mit dem Ursprung zu tun, Gott lässt sich nicht auf ein Geschlecht, ein Alter oder eine Hautfarbe festlegen.
Braucht Gott also ein Gendersternchen?
Im Grunde kommt G*tt dem hebräischen Namen schon sehr nahe, weil der Name unaussprechlich und dadurch auch unfassbar wird. So wie Gott selbst.
G*tt wirkt sicher auf manche Gläubige abschreckend.
Für einige ist das sicher so. Mir ist an dieser Stelle aber ganz wichtig zu betonen, dass niemandem der „Hirte“ oder „Vater“ weggenommen werden soll. Es geht vielmehr darum, die Begrifflichkeiten zu erweitern. Denn für manche kann der Name „guter Vater“ unerträglich sein, weil sie zum Beispiel selbst keine gute Beziehung zu ihrem eigenen Vater haben. Es gibt neben dem Gendersternchen aber auch die Möglichkeit, viele verschiedene Begriffe zu benutzen. Die Bibel in gerechter Sprache schlägt eine Reihe von Begriffen wie „die Lebendige“ oder auch „der Ewige“ vor. Man kann sich dann den passenden Gottesnamen selbst aussuchen.
Gibt es in der Bibel auch Botschaften, die von Grund auf feministisch sind?
Paulus war in manchem sehr modern und hat im Brief an die Galater, Kapitel 3, geschrieben: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid eins in Christus Jesus.“ Die Botschaft dieses Verses ist für mich ganz zentral – und auch feministisch. Denn hier zeigt sich, dass im christlichen Glauben Geschlecht, soziale Zugehörigkeit und kulturelle Herkunft für den Wert und die Würde der Menschen keine Rolle spielen.
Die Botschaft musste sich aber auch in der Evangelischen Kirche im Rheinland erst durchsetzen.
Seit 1975 gibt es die volle rechtliche Gleichstellung von Frauen im Pfarramt. Aber in den 1980er Jahren zeigte sich deutlich, dass noch viel kommen muss. Nach einem langen Prozess wurde schließlich 1991 der Beschluss 66 der Landessynode gefasst. Die Wirklichkeit und Erfahrungen von Frauen sollten Kirche genauso prägen, wie es die von Männern bereits seit Jahrhunderten getan hatten.
Was waren die Aufgaben der daraufhin eingerichteten Frauenreferate?
Durch die Frauenreferate wurde zum Beispiel häusliche Gewalt erstmals in der Kirche thematisiert. Aber auch der interreligiöse Dialog wurde maßgeblich vorangebracht. Und nicht zuletzt durch die Arbeit der Frauenreferate fällt schließlich heute kein Gemeindemitglied mehr vom Stuhl, wenn weibliche Gottesnamen genannt werden. Das alles waren wichtige Schritte.
Wieso gibt es Frauenreferate heute nur noch in sieben von 37 Kirchenkreisen?
Die Frauenreferate waren von Anfang an nicht unumstritten, vor allem die Finanzierung stand immer auf wackligen Füßen. Aus meiner Sicht ist verpasst worden, dass die Frauenreferate auch Profilierungsmöglichkeiten für die Kirchenkreise sind. Sie waren Erprobungsräume bevor wir das Wort in der Kirche benutzt haben. Auf Landesebene wurde das Frauenreferat in die Gender- und Gleichstellungsstelle umgewandelt, also einem noch größeren Thema zugewiesen. Denn auch das Männerbild hat sich verändert und muss in den Blick genommen werden.
Bis heute sind Leitungsgremien, aber auch Pfarrstellen in der Evangelischen Kirche im Rheinland nicht geschlechterparitätisch besetzt. Es muss sich also noch einiges tun, oder?
Das ist ein Prozess, der vorangetrieben werden muss und der nicht automatisch in Richtung Parität geht. Für Leitungspositionen müssen beispielsweise Frauen bei gleicher Qualität bevorzugt werden. Mit einer Quote allein ist es aber nicht getan, die Arbeit als solche muss sich verändern. Wir müssen uns gerade in Zeiten des Fachkräftemangels um passgenaue Lösungen bemühen, da geht es um Arbeits- und Leitungskultur, aber auch Fragen der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
Aber Sie sind zuversichtlich, dass Feminismus und Kirche noch weiter zusammenfinden?
Ich bin Naturoptimistin. Hoffnung, aus der wir Kraft finden, ist schließlich das Kernthema des christlichen Glaubens.
>>> Frauengeschichte*n aus 30 Jahren
Der Beschluss 66 der Landessynode 1991 wird in diesem Jahr 30 Jahre alt. Was daraus geworden ist, zeigt die Broschüre „Frauengeschichte*n“. Herausgeberin ist Gender- und Gleichstellungsstelle der eKiR. Interessierte können sich die Broschüre auf www.ekir.de/gender herunterladen oder sie kostenfrei bestellen.
Der jüngste Gleichstellungsatlas zeigt auf, wie es um die Geschlechterparität in der Evangelischen Kirche Rheinland steht (Stand 2018). Während sich 81.000 Frauen ehrenamtlich engagieren, sind es nur 33.000 Männer. Ganz anders sieht die Geschlechterverteilung dagegen bei den Superintendentinnen und Superintendenten aus, die die Verantwortung für die Leitung des jeweiligen Kirchenkreises tragen. Nach der Einführung der vollen rechtlichen Gleichstellung von Frauen im Pfarramt 1975 hat es noch 17 Jahre gedauert, bis 1992 Hannelore Häusler zur ersten Superintendentin in der EKir gewählt wurde. Seitdem hat es insgesamt 17 Superintendentinnen gegeben. Im selben Zeitraum (1992 bis November 2017) wurden 75 männliche Superintendenten gewählt
Die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen findet im kommenden Jahr in Karlsruhe statt. Zu diesem Anlass wird es deutschlandweit Pilgerwege unter dem Motto „Go for Gender Justice“ geben, um auf das Thema der Geschlechtergerechtigkeit aufmerksam zu machen.