An Rhein und Ruhr. Der stellvertretende Stadtdechant Düsseldorfs ist wegen Missbrauchsvorwürfen in 2010 beurlaubt. Woelki war damals Weihbischof für Düsseldorf.
Für die Juristen der Kanzlei Gehrke aus München war es „nur“ Aktenvorgang 82 unter den zahlreichen Missbrauchsfällen des Erzbistums Köln. Für Rainer Maria Kardinal Woelki indes könnte dieser Fall nun ein Nachspiel haben. Fall 82 - von 236 aktenkundigen Missbrauchsvorgängen zwischen 1975 und 2019 im Erzbistum Köln (!) - das ist derFall des ehemaligen stellvertretenden Stadtdechanten von Düsseldorf. Er hat 2017 den Priester aus Oberkassel in dieses hohe Amt gehievt. Woelki sagt bis heute: Er hat von den Vorwürfen gegen Michael D. nichts gewusst. Eine Behauptung, die schwer nachvollziehbar ist.
D. hatte Sex mit einem minderjährigen Prostituierten
Was man über den Fall weiß: 2001 erstattete Michael D., damals seit sechs Jahren Priester, selbst Anzeige: Er wurde erpresst von einem männlichen Prostituierten, einem 17-jährigen Obdachlosen, einem Kölner Strichjungen. Die Staatsanwaltschaft nahm auf Anzeige des Erzbistums Köln Ende 2020 die Ermittlungen noch einmal auf - wegen Verjährung wurden sie wieder eingestellt. Zudem: Einvernehmlicher Sex mit einem Menschen über 16 – und sei er ein obdachloser Strichjunge – ist weltlich gesehen nicht strafbar.
Was für den Normalbürger womöglich unappetitlich ist, wertet die katholische Kirche allerdings als Verstoß gegen den Zölibat. Deswegen gab es für Michael D. seinerzeit eine „Ermahnung“, was einer Abmahnung im weltlichen Bereich gleichkommt: Bei einem erneuten Verstoß hätte ihm die Suspendierung vom Priesteramt gedroht.
Sex mit einem 16-jährigen Prostituierten – aber weiterhin Priester
Doch nach einer Therapie galt Michael D. wieder als uneingeschränkt einsetzbar, obwohl damals die Polizei bereits dem Erzbistum nahelegte, Michael D. ein Aufgabenfeld zuzuweisen, in dem er mit Kindern und Jugendlichen, auch mit Messdienern, möglichst nichts zu tun habe. Woelki war zu diesem Zeitpunkt Weihbischof in Köln und zuständig für den Pastoralbezirk Nord, zu dem auch Düsseldorf gehört.
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Und noch vor seiner Berufung zum Bischof von Berlin im Juli 2011 meldete sich im Laufe des Jahres 2010 ein Diakon bei der Ansprechperson für Opfer sexuellen Missbrauchs in Köln. Er wies darauf hin, dass Michael D. bereits Mitte 1992 und 1993 seinem damals 16-jährigen Patensohn Pornos zeigte und mit ihm in die Sauna ging. Damals wurde Michael D. versetzt - wer das veranlasste ist genauso offen wie die Frage, ob Woelki zu diesem Zeitpunkt noch der zuständige Weihbischof war.
Dritter Vorfall - auch davon will Woelki nichts gewusst haben
Es gab 2010 sogar noch einen dritten Vorfall Michael D. betreffend: Ein junger Mann berichtete dem Erzbistum (wem ist nicht klar) , er habe Michael D. im Karneval kennengelernt und sei in der Folgezeit von ihm sexuell belästigt worden. Michael D. wurde mit den Vorwürfen konfrontiert, bestritt sie, wollte aber auch nicht juristisch gegen die Vorwürfe vorgehen. Auch davon will Woelkinichts gewusst haben. Das wäre nur möglich, wenn er sich vor der Ernennung Michael D.s zum stellvertretenden Stadtdechanten keine Aktenkenntnis des Kandidaten verschafft hat.
Denn die Vorwürfe finden sich nur deshalb in dem Gutachten der Kanzlei Gehrke, das MItte März von Woelki vorgestellt wurde, weil diese in der äußerst schlampigen Aktenführung des Erzbistums Köln zumindest diese drei Vorgänge rekonstruieren konnten. Das Gutachten, eine zutiefst bedrückende Lektüre, bewertet nicht die Vorgänge an sich bewertet, sondern „nur“ die Frage, ob die Verantwortlichen juristisch sauber agiert haben.
Gutachten sehen bei Woelki keine rechtliche Verantwortung
Auf fast der Hälfte der 900 Seiten finden sich nüchtern aufgereiht die Vorwürfe an hunderte Priester und Laien, die immer wieder vor verkorkster Sexualität, Verklemmtheit und Ausbrüchen in unappetitliche Szenarien und handfeste Missbräuche künden. Wer diese Texte liest, kann kaum je wieder einem Priester unbefangen gegenüber treten. Eine rechtliche Verantwortung Woelkis indes sieht das Gutachten der Rechtsanwaltskanzlei Gehrke in keinem Fall. Und auch nicht das lange unter Verschluss gehaltenen und nur zeitlich begrenzt einsehbare erste Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westphal Spiker Wastl.
Woelki beteuert stets, trotz seiner Tätigkeiten als Geheimsekretär unter Kardinal Meißner und als Weihbischof nichts von den hunderten Fällen von Missbrauch mitbekommen zu haben. Und also auch nichts vom Fall Nummer 82, dem von Michael D.
Woelki und D. gelten als Freunde
Woelki und D. gelten als befreundet, zum 25-Jährigen Priesterjubiläum des einstigen Industriekaufmanns, der spät seine Berufung zum Priestertum entdeckte, bekundete der Erzbischof dem „lieben Michael“ seine „herzliche Mitfreude“. Die Kollekte des Festgottesdienstes spendete der Priester für notleidende Jugendliche. Das war 2017, im gleichen Jahr wurde Michael D. stellvertretender Stadtdechant. Auf Vorschlag des damaligen Stadtdechanten Ulrich H., der 2019 ebenfalls wegen eines MIssbrauchsfalls gehen musste.
Auch nach D.s Rücktritt vom Amt des stellvertretenden Stadtdechanten war er bis zu seiner Beurlaubung noch als Gemeindepriester tätig, wurde mit kirchlichen Auszeichnungen geehrt und kaufte bei „Bares für Rares“ im November noch mit Spendengeldern ein historisches Messgewand an, das jemand irrtümlich als Karnevalskostüm verhökert hatte. Seit Dienstag letzter Woche ist Michael D. nun beurlaubt. Rainer Maria Kardinal Woelki ist weiterhin von Köln.