Düsseldorf.. Der Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn vor 18 Jahren bleibt unaufgeklärt. Warum das Landgericht Ralf S. nicht verurteilt hat.


Das Wort „Freispruch“ fällt um kurz nach halb zehn, und Ralf S. zeigt keine Regung im Gesicht. Er greift sich kurz in die dunkelblonde Haartolle und blickt den Richter ausdruckslos an. Ralf S. hat es natürlich schon geahnt.

Noch einmal, zum 33. Mal seit Januar, sitzt der 52-Jährige an diesem Morgen in Saal 116 E des Düsseldorfer Landgerichts. Angeklagt wegen zwölffachen Mordversuchs, weil er vor 18 Jahren am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine mit TNT gefüllt Rohrbombe ferngezündet haben soll – aus Fremdenhass. Zehn osteuropäische Sprachschüler überwiegend jüdischen Glaubens aus einer zwölfköpfigen Gruppe werden durch umherfliegende Splitter teilweise lebensgefährlich verletzt, ein ungeborenes Baby stirbt im Leib der Mutter.

Doch Ralf S. aus Ratingen, der damals nahe des Tatorts einen Militaria-Laden betrieb, weiß seit dem 17. Mai, dass die Kammer ihn nicht mehr für „dringend tatverdächtig“ hält. Seither sitzt er auch nicht mehr in Untersuchungshaft. Eine Prozess-Vorentscheidung, die der Vorsitzende Richter Rainer Drees in seiner zweistündigen Urteilsbegründung nun zementiert.

Eine „erhebliche Herausforderung“ für das Gericht

Der Druck scheint spürbar im Raum. Ein Vertreter der Nebenklage warnte vor einigen Tagen, die Kammer sei „im Begriff, den schwersten Justizfehler in der Nachkriegsgeschichte Düsseldorfs zu begehen“. Vor dem Hintergrund des Anschlags, der die Menschen, so Drees, „verstört und emotional aufgewühlt“ habe, sei es „eine erhebliche Herausforderung“ gewesen, das Verfahren „sachlich und abgeklärt“ zu führen.

Drees lässt keinen Zweifel daran, dass er den Angeklagten für einen Rechtsradikalen hält, beschreibt ihn als „extrem fremdenfeindlich“ mit einer „ausgeprägten Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut“. Laut einem Gutachter ist eine Hakenkreuz-Tätowierung auf dem sportlich trainierten Körper des Mannes verewigt. Drees: „Aber auch für ihn gilt, dass man ihm die Tat zweifelsfrei nachweisen muss.“ Seine Gesinnung sei nur „ein Indiz für die Täterschaft“.

Die Beweislage ist zu dünn, sagt der Richter

Die Beweislage sei nach der Anhörung von 78 Zeugen und drei Gutachtern zu dünn gewesen. Vier Hauptzeugen, zwei ehemalige Mithäftlinge, denen Ralf S. die Tat jeweils einzeln gestanden haben soll, eine frühere Lebensgefährtin und eine Freundin, seien zu widersprüchlich in ihren „mangelhaften Erinnerungen“ gewesen. „Vier unbrauchbare Aussagen können Sie nicht zu einer brauchbaren zusammenfassen“, schließt Drees.

Das Gericht glaubt auch nicht, dass der ehemalige Zeitsoldat „technisch und intellektuell“ in der Lage gewesen sei, einen komplizierten Zündmechanismus zu bauen. Ein Bundeswehr-Offizier habe seine frühere Aussage, das sei Teil der Ausbildung gewesen, im Prozess nicht aufrechterhalten, erinnert Drees. Es sei denkbar, dass Ralf S. Zellengenossen die Tat gestanden habe, aber er sei ein Prahler und habe auch im Prozess „unentwegt gelogen“. Als „Dauerschwätzer und Dampfplauderer“ hatte ihn einer der beiden Verteidiger bezeichnet.

Ein schwerer Tag für Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück, der von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, auch wenn er sich nur auf viele Indizien stützen kann. Jahrelang hatte die Polizei jeden Stein umgedreht. Als sich Ralf S. 2014 in einer Zelle in Castrop-Rauxel brüstete, er habe „die Kanaken damals weggesprengt“, rollte die Staatsanwaltschaft den Fall wieder auf: Er habe Täterwissen über den Zünder ausgeplaudert. Sie investierte mit Hilfe von Profilern mehr als zwei weitere Jahre, ehe sie ihn anklagte.

Oberstaatsanwalt kündigt Revision an

Herrenbrück gibt sich kämpferisch vor dem Saal, kündigt Revision vor dem Bundesgerichtshof an. Das Gericht habe „zahllose Beweissachen“ anders bewertet, oft gesagt, man könne es „so oder so sehen“.

Laut Drees hält die Kammer einen Mann für den Täter, der bei der Explosion auf einem Stromkasten in der Nähe saß und sich dann entfernte, statt zu helfen. Er sehe dem Angeklagten aber nicht ähnlich genug. Herrenbrück erzählt, nach der Beschreibung einer Zeugin aus der vierten Etage sei ein Phantombild erstellt worden, das man der Freundin des Angeklagten vorgelegt habe. Herrenbrück: „Die hat gesagt, das ist doch der Ralf.“