Düsseldorf. Zehn Schwerverletzte und ein totes, ungeborenes Kind: Nach 17 Jahren landet der Wehrhahn-Anschlag vor Gericht: Der Angeklagte bestreitet die Tat.
. „Sind Sie der Täter?“, fragt der Vorsitzende Richter Rainer Drees. „Negativ“, sagt Ralf S. mit fester Stimme. „Kennen Sie den Täter?“, setzt Drees nach. „Die selbe Antwort“, gibt der Angeklagte knapp zurück und zieht das Mikrofon in Saal E116 des Düsseldorfer Landgerichts noch ein Stück näher an seine Lippen. Er ist ruhig, gefasst, er ist kontrolliert.
Die Staatsanwaltschaft, die ihn wegen zwölffachen Mordversuchs anklagt, glaubt ihm kein Wort. Sie will das seit gestern mit Dutzenden Zeugen und noch mehr Indizien untermauern: Ralf S. soll aus Fremdenhass im Juli 2000 eine Rohrbombe am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn gezündet haben. Zehn osteuropäische Sprachschüler überwiegend jüdischen Glaubens wurden schwer verletzt, eine Frau verlor durch Bombensplitter ihr ungeborenes Baby.
Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück ist überzeugt: Es hätte Tote gegeben, wäre die Wirkung des Sprengstoffs nicht durch eine Verunreinigung beim Mischen verringert worden.
Täterwissen ausgeplaudert
Der ehemalige Zeitsoldat saß 2014 wegen einer Geldstrafe, die er nicht bezahlen konnte, in der JVA Castrop-Rauxel. Dort hat er laut Ermittlern einem Mitgefangenen erzählt, er hätte „Kanaken an einem Bahnhof weggesprengt“. Weil er dabei Täterwissen über den Zünder ausgeplaudert habe, rollte die Staatsanwaltschaft den Fall wieder auf: Sie investierte mit Hilfe von Profilern mehr als zwei weitere Jahre. Dabei widerriefen zwei Zeuginnen offenbar auch das Alibi des geschiedenen Familienvaters.
Ralf S. kaut einen Kaugummi, während Herrenbrück die Anklage verliest und schüttelt den Kopf. Er wirkt jünger als 51, hat die dunkelblonden Haare zu einer Art Elvis-Tolle geformt, trägt ein kurzärmeliges, rot-kariertes Hemd unter dem grauen Kapuzen-Jacke und über dem sportlich trainierten Oberkörper. Laut einem Gutachter ist eine Hakenkreuz-Tätowierung auf seinem Körper verewigt.
„Er wollte Ausländer aus seinem Revier vertreiben“
Herrenbrück hält ihm in der Anklageschrift vor, er habe die Ausländer „aus seinem Revier vertreiben“ wollen. Zuwanderer seien in den Augen des Angeklagten in Deutschland bevorzugt worden.
Ralf S., der zur Zeit des Anschlags im Viertel wohnte und neben seinem Job als Sicherheitsmann einen kleinen Militaria-Laden betrieb, erzählt, dass er bei der Bundeswehr als Scharfschütze „und im Häuserkampf“ ausgebildet worden sei. Aber nicht im Umgang mit Sprengstoff. „Von so einer Kacke lass’ ich die Finger, is’ ja gefährlich.“
Ein ehemaliger Unteroffizier hat etwas anderes behauptet. Der Angeklagte hält ihn für „einen Wichtigtuer“. Auch dass er einen stadtbekannten Neonazi um ein Alibi gebeten und eine Freundin bedroht habe, um ihm eins zu geben, streitet er ab: „Stimmt nicht.“
Er ging mit dem Rottweiler spazieren
Dass er am Tag des Anschlags am abgesperrten Tatort war, räumt er ein: „Da war jeder, es wäre doch superverdächtig, wenn ich nicht da gewesen wäre.“ Zeugen beteuern, sie hätten ihn bis in die späten Abendstunden dort gesehen. Er sei am Tattag mit seinem Rottweiler Loki spazieren gegangen und habe das Tätowierstudio einer Freundin aufgesucht, berichtet Ralf S..
Um 15.03 Uhr, als die Bombe in einer Plastiktüte hochging, sei er zuhause gewesen. Kurz danach habe ihn ein Polizist auf der Straße gewarnt: „Hier rufen Leute an und beschuldigen dich.“ Ralf S. galt vielen im Viertel als rechtsradikaler Spinner, linke Gruppen beharrten, er sei in der Neonazi-Szene verankert.
Die Polizei stellte seine Wohnung auf den Kopf
Es sei „Quatsch“ zu behaupten, er habe sich „Sheriff von Flingern“ genannt, wehrt er sich im Prozess. Und dass er in Armeeklamotten oder Security-Uniform unterwegs gewesen sei, hält er nicht für ungewöhnlich: „Soll ich etwa Anzug und Krawatte tragen, wenn ich mit dem Hund rausgehe?“ Die Polizei stellte seine Wohnung damals auf den Kopf, aber zwei Frauen hatten ihm ein Alibi geliefert.
Sein Anwalt Olaf Heuvens sagt, er glaube, dass sein Mandant nichts mit dem Fall zu tun habe. „Er hatte nicht das Wissen dafür, und warum sollte er nach vierzehn Jahren ausgerechnet einem Mitgefangenen etwas erzählen?“
„Ich will die Scheiße endlich loswerden“, sagt Ralf S., ohne die Stimme zu haben. „Seit 2000 werde ich immer wieder darauf angesprochen. Die Sache schwebt wie ein Sokrates-Schwert über mir.“