Duisburg.. 300 Menschen stehen auf der Straße, als die Kanzlerin in Duisburg-Marxloh vorfährt. Sie schüttelt Hände und verströmt den berühmten “Merkel-Charme“.

12 Uhr mittags, und alles ist bereitet. Sie haben Absperrbänder entlang der Bordsteine gezogen, Berliner Limousinen und ein Rettungswagen aus Köln parken im Hof, die Polizei leitet den Verkehr in der näheren Umgebung um, Sicherheitskräfte stehen vor den drei Eingängen und 20 Helfer des Georgswerks halten sich als Sanitäter bereit. Eigentlich könnte die Kanzlerin jetzt kommen.

300 Menschen vielleicht stehen um die Kreuzung herum, wo Angela Merkel vorfahren wird. Aus dem deutschen und aus dem türkischen Marxloh, weniger Libanesen und Roma und mal ein Afrikaner. Die Stimmungslage: erwartungsvolles Rumstehen.

„Mehr Ordnung, mehr Bildung, mehr Sauberkeit“

Und die schönsten Klischees gehen vor die Hunde. „Dass man hier abends nicht rausgehen kann, stimmt nicht. Mir ist noch nie was passiert“, sagt der Rentner Wolfgang Bauer – während zehn Meter weiter und fünf Minuten später ein junger Türke dem ZDF erzählt, dass er immer zusieht, um 21 Uhr von der Straße zu sein: „Ich hab’ mal eine Messerstecherei gesehen, das hat mich so erschreckt.“ Dann schiebt sich in Zweierreihen eine Klasse der Henriettenschule durch die Menge, auf dem Weg zur Turnhalle bleiben zwei ausländische Kinder vor einem Baum von Beamten stehen und winken hoch: „Hallo Polizei! Weißt du, das wir in der zweiten Klasse sind?“

Eigentlich könnte die Kanzlerin jetzt wirklich langsam kommen.

Hatice Dogru wohnt in einem schönen alten Zechenhaus neben dem Hotel. Diese Straße sei gut, erzählt sie, „alles Eigentümerhäuser“. Sie sei eigentlich ganz zufrieden hier, erhoffe sich aber von dem Besuch, dass etwas erreicht werde: „Mehr Ordnung, mehr Bildung, mehr Sauberkeit . . . Als unsere Eltern vor vierzig, fünfzig Jahren gekommen sind, hatten sie sicher auch ihre Schwierigkeiten, aber sie hatten auch Respekt.“

Buuh-Ruhe und Beifall für Merkel

Dann kommen die ersten zum Hotel, die mit Merkel reden werden, Halil Özet etwa, der beklagt, viele Medienberichte der letzten Tage hätten „etwas kaputtgemacht. Wenn Marxloh immer als No-Go-Area beschrieben wird, merken die Geschäftsleute irgendwann, wie ihnen das schadet.“

Und dann fährt Angela Merkel vor, wenige Minuten vor eins. Personenschützer springen aus den Limousinen, die Kanzlerin kommt hinterher, geht ans Absperrband, schüttelt lächelnd ein dutzend Hände. Was sie empfängt? Buuh-Rufe, mehr Pfiffe als Beifall, der aber auch; ungefähr alle fotografieren; ein Mann schwenkt eine deutsche Fahne mit der so nicht erwarteten Aufschrift „Atomwaffen abschaffen, bevor es zu spät ist.“ Eine kleine Demonstration der Partei „Die Linke“ ist fast unhörbar weit weg – irgendwas mit ,Bleiberecht’ – und eine Ein-Mann-Demonstration der Republikaner in einer Nebenstraße gelandet.

„Live ist sie hübscher“

Merkel ist im Hotel. „Das war’s“ sagen die einen oder „Kein Bock mehr“ und gehen, andere kommen jetzt erst: „Vielleicht sagt sie ja was.“ Und um drei, als Merkel wieder herauskommt, ein paar Hände schüttelt und dann ins Auto steigt, ist es wieder ähnlich wie um eins. Nur hat der Merkel-Charme auf unerklärliche Weise auch nach draußen gestrahlt: Mehr Beifall als Pfiffe jetzt, „Volksverräter“ ruft ein Mann, aber viele „Merkel“, „Merkel“. Ungefähr alle fotografieren. „Die sieht live auf jeden Fall hübscher aus als im Fernsehen“, sagt eine Frau.

Eigentlich könnte die Kanzlerin wiederkommen.