Koblenz. Der Angeklagte im Westerwälder Missbrauchsprozess, Detlef S., hat gestanden, seine Tochter missbraucht zu haben. Die Aussage seines Stiefsohns förderte neue Schrecken aus dem Alltag der Familie zutage.
Stur und uneinsichtig wirkt Detlef S. Als ginge es um einen Ladendiebstahl und nicht um mehrfachen sexuellen Missbrauch seiner Kinder. Schreckliche Details werden bekannt. Doch am späten Mittwochnachmittag zeigt der 48-Jährige endlich eine Reaktion, als seine leibliche Tochter aussagt. Detlef S. gesteht, was er ihr angetan hat.
Der Brief, den die 18-Jährige geschrieben hatte, deckte auf, was in Fluterschen im Westerwald hinter der Familienfassade geschah. Jahrelang sei sie von ihrem Vater missbraucht und an andere Männer verkauft worden. Schon nach dem ersten Satz ihrer Aussage („Als ich neun war“) bricht sie zusammen, muss den Saal verlassen. Ihre Anwältin Sandra Buhr verlangt die Entfernung des Angeklagten aus dem Saal. Das Gericht ordnet sie an. Doch kurz danach kommt Verteidiger Thomas Düber zurück: „Mein Mandant wird die Vorwürfe zum Nachteil seiner Tochter einräumen.“ Richter Winfried Hetger fragt den Angeklagten. „Ja“, bestätigt der. Für Donnerstag wird ein ausführliches Geständnis erwartet. Dann wird er auch zu Taten gegenüber Stieftochter Natascha und Stiefsohn Björn befragt werden.
Alltag des Schreckens
„Undurchsichtig“ nannte eine Mitarbeiterin des Jugendamtes die Familie, deren Vater Detlef S. (48) seit Dienstag wegen sexuellen Missbrauchs von drei seiner 15 Kinder vor dem Landgericht Koblenz sitzt. „Ein Aufbruch der Strukturen ist nicht möglich“, heißt es weiter in dem Vermerk der Jugendamtsmitarbeiterin von 1998, „weder Eltern noch Kinder nehmen die Hilfsangebote an. Die Kinder weigern sich zuzugeben, dass sie geschlagen wurden“.
13 Jahre später ist die Mauer des Schweigens brüchig. Stiefsohn Björn B. (28) listet am Mittwoch den Alltag des Schreckens innerhalb dieser Familie auf. Er ist der Zwillingsbruder von Natascha, die bereits am Dienstag erzählt hatte, dass sie vom Angeklagten missbraucht und an Männer in Nachbardörfer verkauft wurde, denen sie Sex gegen Geld liefern musste. Acht Kinder hat der Stiefvater mit ihr gezeugt. Jetzt spricht der Bruder. Sexuelle Details treten in der Aussage des 28-Jährigen in den Hintergrund. Im Alter von vier bis sechs Jahren sei er von Detlef S. am Geschlechtsteil berührt worden, sagt er. Und wenn er in späteren Jahren unter der Dusche gestanden habe, soll der Vater ihn zum Masturbieren aufgefordert haben. Ausdrücklich ordnet der Richter dies als „Bestandteil des Gewalt- und Beherrschungssystems“ durch den Angeklagten ein.
Detlef S. schlug mit selbstgebauter Lederpeitsche zu
Mit äußerster Brutalität habe Detlef S. seine Machtposition in der Familie behauptet, hatte Björn B. erzählt. Für jede Kleinigkeit seien Ehefrau und Kinder verprügelt worden. Mit Hand und Faust habe er geschlagen, aber auch mit einer selbstgebauten Lederpeitsche: „Ein Holzstock mit sieben Lederstreifen, die bis zu 20 Zentimeter lange Striemen an der Haut hinterließen.“ Er selbst habe das erlitten von frühester Kindheit bis zu seinem Auszug 2002.
Üble Gewalt gegen die Mutter sei Anlass für den Auszug gewesen. Der Vater sei ausgerastet, habe die Mutter bewusstlos geschlagen. Björn B. will danach in ein Nachbarhaus gezogen sein. Der Vater habe ihm gedroht, er werde das bereuen: „Ich mache Dir die Hölle heiß.“ Es gibt eine ärztliche Bescheinigung aus dieser Zeit, dass Björn B. wegen „schwerer, konflikthafter Beziehung zur Mutter und insbesondere zum Stiefvater“ zum Arzt ging. Dort erzählte er auch von Vergewaltigungen der Schwester. Dass die Eltern allein von öffentlichem Unterhalt für die Kinder lebten, berichtete er auch.
Hilfe wurde abgewehrt
Es geschah nichts, kein Aufstand in der sauberen Welt des 750 Seelen-Dorfes. Björn B. sagt zwar, dass er damals auch zur Polizei gegangen sei, aber in den Akten, die es noch gibt, findet sich davon nichts. Immer wieder gibt es Ermittlungen, Anzeigen gegen Detlef S., aber Hinweisgeber ist nicht Björn B. Manchmal sprach er damals bei Anhörungen vom prügelnden Vater, dann machte aber auch er Rückzieher. Letztendlich scheitern alle Versuche des Staates, den Kindern zu helfen, an der hartnäckigen Abwehr des jetzt angeklagten Familienvaters. Lehrern seiner Kinder und dem Jugendamt wirft er vor, seine Kinder auszuhorchen und gegen ihn aufzuwiegeln. Mit seinem Rechtsanwalt droht er, spricht von einer einstweiligen Anordnung, dass sich kein Jugendamtsmitarbeiter seinen Kindern nähern dürfe.