Essen. Hannelore Kraft hat ihr Wahlziel nicht nur erreicht - sie hat es übertroffen. Zu Recht. Jetzt muss sie liefern, aus Macht folgt Verantwortung. Die CDU hat derweil Klarheit darüber bekommen, dass Norbert Röttgen der falsche Kandidat war. Das Debakel war hausgemacht. Ein Kommentar.
Hannelore Kraft, die Kümmererfrau von der SPD, hat über die CDU triumphiert wie Borussia Dortmund über Bayern München. Die Spitzenfrau aus dem Revier hat ihr eigenes Wahlziel am Ende sogar noch übertroffen. Sie kann nicht nur Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland weiter regieren. Sie kann dabei, endlich keine Minderheitsregierung mehr, nicht nur auf eine stabile Koalition, wie es aussieht, mit den Grünen bauen. Sie hat auch die Linkspartei, dieses Hartz-Vier-Trauma der SPD, aus dem Landtag heraushalten können. Das ist für sie das Gute. Die andere Seite: Von jetzt an muss die Regierungschefin tatsächlich auch liefern. Macht und Verantwortung sind schließlich die beiden Seiten derselben Medaille.
In der "Koalition der Einladung", wie sie ihre Minderheitsregierung romantisiert hatte, konnte sie die Verantwortung eben auch bei anderen abladen. Sie konnte sich Mehrheiten mal bei der CDU, dann wieder bei der FDP oder eben auch bei der Linkspartei besorgen. Diese Zeit der Optionen ist jetzt vorbei. Für den Bürger ist das gut: Er bekommt mehr Klarheit.
Hoffnungsträger Röttgen war der falsche Kandidat
Klarheit hat jetzt auch die nordrhein-westfälische CDU. Darüber, dass der als Hoffnungsträger angetretene Bundesumweltminister Norbert Röttgen definitiv der falsche Kandidat war. Zum zweiten Mal hat die CDU es mit einem Import aus der Bundespolitik versucht, zum zweiten Mal ist sie damit gescheitert. Entscheidend, das ist die Lehre aus diesem Debakel, ist eben nicht vermeintliche Prominenz, sondern Leidenschaft in der Sache, gepaart mit einer guten Portion Patriotismus. Beides hat Röttgen vermissen lassen, obwohl er aus Nordrhein-Westfalen stammt und dort, wenn auch an der rheinland-pfälzischen Landesgrenze, wohnt. Noch nie hat ein Kandidat für ein Spitzenamt in so kurzer Zeit so viele Fehler gemacht wie Röttgen. Kaum nominiert, hat er wissen lassen, sich erst noch überlegen zu wollen, im Falle einer Niederlage zur Landes-CDU zu stehen.
Er hat seinen eigenen Sparkurs, sein Hauptthema in diesem Turbo-Wahlkampf, verraten, als er die Wiedereinführung von Studiengebühren ebenso kassierte wie Beiträge für das dritte Kindergartenjahr. Alle seine Sparvorschläge blieben diffus, also unglaubwürdig. Und die Wärme, die Hannelore Kraft verströmt, vergrößerte die Kälte, die man bei Röttgens Auftritten wahrnehmen konnte. Gescheitert ist nicht nur der CDU-Landesvorsitzende, gescheitert auch der Mann, der Kanzler werden wollte. Mit einem solchen Debakel auf der politischen Uhr kann sich Röttgen alle weitergehenden bundespolitischen Ambitionen abschminken. Ja, er kann sogar froh sein, wenn er Umweltminister in Berlin bleiben kann.
Röttgen weint, Lindner lacht
Röttgen weint, Christian Lindner lacht. Einem Wunderdoktor gleich, hat er die Liberalen aus der sicher geglaubten Versenkung geholt. Der beste Rhetoriker von allen, mit klaren Botschaften gegen die SPD, die CDU, die Grünen und die Piraten, hat er geschafft, wozu wohl nur er allein in der Lage war und ist. Es ist die Rückkehr eines Hoffnungsträgers und der FDP-Bundesvorsitzende Philipp Rösler sieht heute Abend ungefähr doppelt so alt aus, wie er tatsächlich ist. Würde Lindner nun auch den Bundesvorsitz der Partei für sich reklamieren, es käme wohl zu einem Durchmarsch. Aber Lindner hat sich, auch darin anders als Röttgen, eben dem Land verschrieben. Mit großer Lust wird er die Liberalen in die Opposition führen. Und wegen der Schwäche der CDU wird es nicht lange dauern bis klar ist, wer hier im Parlament am Rhein der Oppositionsführer ist: eben Christian Lindner.
Und Berlin? Angela Merkel wird nicht einmal zucken. Und sie hat gute Argumente, den Alleinverantwortlichen in Düsseldorf zu suchen. Verloren hat die CDU in NRW schließlich gegen den Bundestrend. Am Ende steht die Kanzlerin einmal mehr als Frau da, die mehr zu bieten hat als so mancher "ihrer" Männer. Angela Merkel ist eben ein anderes Kaliber als Norbert Röttgen. Jedenfalls ist "Mutti", wie Merkel von Parteifreunden erst spöttisch, inzwischen liebevoll genannt wird, ihren "Klügsten" einstweilen los.