Ruhrgebiet. Das Steigerlied ist die Hymne des Reviers. Der Ruhrkohle-Chor beantragt die Aufnahme in die deutsche Liste des „Immateriellen Kulturerbes“.
Das Steigerlied soll Kulturerbe werden – anerkannt von der Unesco, muss man dazu sagen, denn in den Bergbauregionen Deutschlands ist das Steigerlied natürlich gelebte Tradition. Jeder Schalker kann mitsingen, wenn „Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt“ ertönt, „und er hat sein helles Licht bei der Nacht …“ Schließlich ist dies die Einlaufmelodie der Mannschaft. Auch die Fans des Dortmunder Mitbewerbers legen sich fast automatisch die Hand auf die Brust, haben sie doch die Melodie vereinnahmt für einen Fangesang. Selbst der FC Erzgebirge Aue nutzt die Version des Ruhrkohle-Chors für seine Heimspiele.
Der Chor ist über seinen Dachverein „Ruhrkohle Musik“ Antragsteller bei der Unesco, der Kultur-Abteilung der Vereinten Nationen. Die Bewerbung soll bis zum 30. Oktober rausgehen; ist sie erfolgreich, könnte das Steigerlied Ende März 2021 auf die deutsche Liste des „Immateriellen Kulturerbes“ kommen. Dort befinden sich bereits die „Chormusik in deutschen Amateurchören“ und das „Singen der Lieder der deutschen Arbeiterbewegung“. Warum also nicht das Steigerlied? Ein Selbstläufer ist es dennoch nicht, die „Brieftaubenzucht“ ist abgelehnt worden.
Glück, tu dich auf!
„Es ist wirklich eine Hymne der Region“, sagt Hans-Peter Noll, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zollverein und somit oberster Hüter des gleichnamigen Welterbes in Essen. Er hält einen Erfolg für sehr realistisch und unterstützt die Bewerbung wie auch die RAG-Stiftung und die Folkwang Universität der Künste. „Zollverein steht für eine stolze Vergangenheit, aber es ist auch in die Zukunft gewandt“, sagt Noll. Und so sei es auch mit dem Steigerlied. „Glück auf!“, das kann man schließlich lesen wie „Glück, tu dich auf!“ Seine Besucherführungen beende er denn auch mit „Glückauf Zukunft!“
„Wenn das Steigerlied kein Kulturerbe ist, was dann?“, sagt auch Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Vorstandsmitglied der RAG-Stiftung. „Es ist ein Stück der DNA der Bergleute. Wir wollen mit der Bewerbung ihre Werte weitertragen in die Zukunft. Da hätte man eigentlich schon eher drauf kommen können. Aber das gehen wir jetzt an.“ Ähnlich formuliert es Andreas Artmann vom Ruhrkohle-Chor. „Die Idee könnte von mir gekommen sein, so überzeugt bin ich davon.“
Die Idee entstand nach einem Grönemeyer-Konzert
Tatsächlich stammt sie von Claus-Dieter Grabner, dem Chef des Klartext-Verlags, der wie die WAZ zur Funke Mediengruppe gehört. In den goldenen Zeiten von Bravo hatte er als Geschäftsführer den Musik-Vertrieb ausgebaut – als er ins Ruhrgebiet kam, stellte er sich fast naturgemäß die Frage, welche Lieder die Region verbinden. „Bochum“ ist wohl das einzige mit Massenwirkung – und eben das Steigerlied, mit dem Herbert Grönemeyer auf Konzerten im Ruhrgebiet seine Lokalhymne einleitet.
Was Grabner denn im Jahr 2018 inspirierte, eine Version des Steigerliedes mit dem Recklinghäuser DJ Moguai zu produzieren – mit überraschend zurückhaltenden Elektrobeats. „Er hatte einen unheimlichen Respekt vor dem Lied“, erklärt Grabner. Glockenhell singt eine Sopranistin des Landesjugendchores dazu. „Das war für mich die Zukunftsorientierung. Diese Version hat mich stark emotionalisiert.“
Auch Stefan Stoppok hat das Lied gesungen, die Dorstener Ska-Punk-Band „Vertikal“ und Heino sowieso. Der Ruhrkohle-Chor selbst hat vor rund 20 Jahren mal eine Version rausgebracht, die auf platz eins der Schlagerhitparade gelandet ist. Und eine Rap-Version, die die „Männer in schwarz“ auf Schalke aufgeführt haben. Das Steigerlied hat es Anfang des Jahres sogar auf die New York Fashion Week geschafft. „Wir haben einzelne Klänge in unsere Laufsteg-Musik eingebaut“, berichtet Mathias Bohm von den „Grubenhelden“. Das Gladbecker Label hat auch auf dem Times Square einen Flashmob organisiert. Vier Bergleute in Kluft singen ihre Hymne, und Dutzende filmen, bleiben stehen, ein Amerikaner wollte gar mitsingen. In jedes Kleidungsstück näht Bohm mindestens eine Strophe des Liedes ein, auch er unterstützt die Bewerbung.
Sodom und Folkwang, das Steigerlied eint die Gegensätze
Folkwang-Rektor Andreas Jacob schreibt in seinem wissenschaftlichen Begleitschreiben zur Bewerbung: „Das Steigerlied kann als Paradigma einer auf Arbeit bezogenen Liedkultur gelten“ Es „steht somit im Ruhrgebiet als prominentestes Beispiel für die Vielzahl anderer Lieder mit Arbeitsbezug.“ Dass die Gelsenkirchener Thrash-Metal-Kombo Sodom einmal Erwähnung finden würde durch Folkwang, hätten sich Metal-Fans weltweit wohl auch nicht träumen lassen. Aber Frontsänger Tom Angelripper hat den Song auch mal eingesungen, hier kommt der Steiger aus der dunklen Strecke daher wie „Enter Sandman“ (Metallica).
Andreas Artmann war selbst Steiger und kennt das Gefühl, wieder ans Licht zu fahren. „Als Vater von vier Kindern war ich tatsächlich immer froh, wieder heimkehren zu können. Die sieben Strophen erzählen meine Geschichte.“ Dieses Lied sei identitätsstiftend wie kein anderes, sagt er. „Bei mir geht kein Gast, ohne dass das Steigerlied um null Uhr gesungen wird.“ Und sein Chorkollege Wilfried Blabbert erzählt: „Mein Schwiegervater war Steiger, er ist nun schwer dement. Aber das Steigerlied singt er noch, wenn er meine Frau verabschiedet oder am Telefon. Es ist das Einzige, was er noch kann.“
>> Info: Das ist das Immaterielle Kulturerbe
Das Immaterielle Kulturerbe ist nicht zu verwechseln mit dem Welterbe, das sich auf Gebäude oder Orte bezieht. Es beinhaltet kulturelle Ausdrucksformen, die weitergegeben und erhalten werden sollen, aber lebendig bitte. Folklorisierung ist nicht im Sinne der Unesco-Konvention. Geld gibt es keines, aber werbewirksam sind der Titel und das zugehörige Logo natürlich.
Sollte das Steigerlied Ende März 2021 aufgenommen werden in die Deutschlandliste, ist im Sommer ein Steigerlied-Fest auf dem Welterbe Zollverein geplant.