Essen. Die dritte Welle rollt, das Impfen stockt – aber wie ist der Stand bei Medikamenten gegen Corona? Fachleute haben viel gelernt. Ein Überblick.
Vor einem Jahr, sagt Dr. Sebastian Dolff, leitender Oberarzt der Klinik für Infektiologie der Essener Universitätsmedizin, habe er oft „ziemlich frustriert“, ratlos, am Bett eines Corona-Patienten gestanden. Jetzt könne er sagen: „Wir haben was für Sie, wir können Ihnen substanziell helfen.“ Die dritte Welle der Pandemie rollt, aber das Impfen stockt – und den Patienten, die jetzt auf der Intensivstation liegen, nutzt ein Vakzin sowieso wenig. Doch wie therapiert man Corona eigentlich? Und: Könnten neue Medikamente die entscheidende Wende bringen?
Remdesivir ist inzwischen das Mittel der Wahl für viele Corona-Patienten im Essener Klinikum – und nicht nur hier. „Dieses Medikament ist nach aktuellem Wissen die Standardtherapie für Patienten mit frisch diagnostizierter Covid-Pneumonie und intakter Leber- und Nierenfunktion“, erläuter Dolff. Wer auch zwei Wochen nach der Infektion noch an einer Lungenentzündung leide und „sauerstoffpflichtig“ sei, erhalte zusätzlich Dexamethason, ein Kortison-Präparat.
Medikamente gegen Ebola und Malaria, Rheuma und Grippe wurden „umgewidmet“
Zu Beginn der Pandemie war unbekannt, dass diese beiden Mittel helfen. Heute weiß man mehr, auch wenn sich nicht alles bewährte, was zunächst erfolgversprechend erschien: das Malaria-Mittel Hydroxy-Chloroquin etwa. Viele der Mittel, auf die man nun setzt, wurden aber – wie Chloroquin – tatsächlich gar nicht für Corona-Patienten entwickelt: Stephan Ludwig, ein Zoonose-Forscher der Universität Münster, testet gerade ein Grippemittel auf seine Wirksamkeit gegen das Sars-CoV-2; die bisherigen Ergebnisse seien erfolgversprechend, sagt er. Mit einer Mixtur aus Grippe- und HIV-Medikamenten (Oseltamivir, Lopinavir und Ritonavir) probieren es thailändische Ärzte; Japan erteilte einem Präparat gegen Pankreas-Entzündungen (Camostat Mesilate) die Zulassung; ein internationales Team um den Jenaer Professor Frank Brunkhorst hofft auf eine Empfehlung der WHO für die Rheuma-Mittel Tocilizumab und Sarilumab….
„Drug Repurposing“ nennen Fachleute das, wenn sie ein Mittel gegen die eine Krankheit entwickeln und es dann gegen eine andere, neue verabreichen – „aus lauter Verzweiflung, weil sie sonst gar nichts tun könnten“, sagen Kritiker. „Wenn man gar nichts hat, versucht man, was man hat, sinnvoll einzusetzen“, bestätigt Sebastian Dolff. „War ja mit Remdesivir nicht anders.“
Neue Antikörpertherapien lassen hoffen
Denn auch Remdesivir wurde gar nicht für Covid-Patienten „erfunden“, sondern schon 2014 für solche mit Ebola-Fieber entwickelt. Im Frühjahr 2020 verabreichten es amerikanische Ärzte erstmals einem Corona-Patienten. In Deutschland ist das Präparat noch nicht zugelassen, kann aber „personengebunden“ verabreicht werden. Heute, erzählt Dolff, hole er sein Remdesivir in der Klinik-Apotheke ab, wann immer er es braucht. „Zu Beginn der Pandemie war ein Schreiben an die Bezirksregierung mit ausführlicher Begründung erforderlich, konnte das Medikament nur über ausländische Apotheken direkt beim Hersteller, dem US-Pharmakonzern Gilead Sciences, bestellt werden – „kompliziert“, erinnert sich Dolff.
Hoffen tut der Essener Mediziner vor allem auf zwei neue Antikörpertherapien der US-Pharmakonzerne Eli Lilly (Bamlanivinab) und Regeron (Casirivimab/Imdevimab). Seit Anfang dieses Jahres stehen sie auch in Deutschland zur Verfügung. „Trump-Antikörper“, nennt Dolff sie, weil der ehemalige US-Präsident damit kuriert wurde. Sie binden am wichtigen Spike-Protein des Sars-CoV-2-Virus und verhindern so eine Ausbreitung der Infektion im Körper. Verabreicht werden sie Patienten mit hohem Risiko für einen schweren Verlauf, in der Frühphase der Erkrankung. Eine Frau mit hochaktiver Multipler Sklerose war eine der bundesweit ersten, die Bamlanivinab im Februar im Bochumer St. Josef-Hospital erhielt. Ihre Covid-Erkrankung, berichtet Prof. Ralf Gold, Chefarzt der Neurologie des Bochumer Universitätsklinikums, sei „exzellent mild“ und komplikationslos verlaufen. Man habe weder Nebenwirkungen des Mittels noch eine Verschlechterung der vorhandenen neurologischen Symptome beobachte. Allerdings, räumt der MS-Experte ein, gäbe es „auch keine Evidenz, dass die Patientin ohne das Präparat einen schweren Verlauf gehabt hätte“.
„Wir haben viel gelernt im letzten Jahr“
„Wir haben viel gelernt im letzten Jahr, es war eine bewegende Zeit“, sagt der Essener Infektiologe Dolff. Und er sei sicher, da komme noch mehr. „Doch einen echten Game Changer sehe ich nicht am Horizont“. Tausende Kandidaten gebe es, hunderte Substanzen, die überzeugend wirkten – im Reagenzglas. „Aber beim Patienten scheitern viele antivirale Therapien.“ Besser und weit wichtiger, als auf Medikamente zu hoffen, sagt Dolff, wäre es, endlich alle zu impfen. „Die Gefahr ist erst gebannt, wenn Herdenimmunität vorliegt.“
>>>> INFO: Lakritz und Mundspülung
Ein Forscherteam der UDE zeigte unlängst in Zellkulturversuchen, dass Glycyrrhizin gegen Sars-CoV-2 wirkt – ein Bestandteil der Süßholzwurzel, der auch in Lakritz vorkommt. Das Molekül hemme „ein für die Virusvermehrung essenzielles Enzym“, erklärt Studienleiter Adalbert Krawczyk.
Ein Forscherteam der RUB um Toni Luise Meister untersuchte zusammen mit anderen und ebenfalls in Zellkulturexperimenten die Wirksamkeit von Mundspülungen gegen Corona. Getestet wurden acht handelsübliche Mittel. Ergebnis: Alle acht inaktivierten innerhalb von 30 Sekunden die Viruslast im Mund-Rachen-Raum „effizient“, drei sogar komplett. Zahnärzte könnten davon profitieren – wenn sie ihre Patienten vor der Behandlung gurgeln ließen; die Lungenkrankheit Covid 19 kann damit natürlich nicht bekämpft werden.