An Rhein und Ruhr. Abellio und andere Verkehrsunternehmen pokern mit VRR und Land um viel Geld. Doch es könnte sein, dass am Ende ein Dritter die Zeche zahlt.

Wäre die Sache ein Pokerspiel, sind wir jetzt an dem Moment, wo einer der Beteiligten so tut, als ob er kein bisschen Nervosität spürt, sondern sämtliche Dollar und den Autoschlüssel auf den Tisch wirft und sagt: „Ich setze alles – und will dein Blatt sehen.“

Sehen nämlich, wie weit der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr bereit ist, dem notleidenden Unternehmen Abellio entgegenzukommen. Das hat sich eine Runde zuvor mächtig verpokert. Hat viel gewonnen – die Ausschreibung für insgesamt 15 Linien in NRW – stellt aber fest: Ich kann mir das so nicht leisten. Also: Aussteigen und alles verlieren?

Abellio lässt durchblicken: Ich habe mächtige Freunde. Der „Minister van Financiën“ der Niederlande hat die Ministerpräsidenten in fünf Bundesländern wissen lassen: Ich steig aus, habe keine Lust mehr, die teuren Spielrunden der Tochter meines Staatskonzerns mitzufinanzieren. In der 2020er-Bilanz von Abellio Deutschland findet sich ein Minus von 127 Millionen Euro.

127 Millionen Euro Miese für Abellio Deutschland in 2020

Rund zwei Drittel sind eine Bilanzkorrektur, bleiben 43 Millionen. „Es gibt vor allem zwei Gründe: Das eine sind die Lohnkosten vor allem für die Lokführer, die deutlich stärker gestiegen sind, als es der Index in den Verträgen abbildet“, erklärt Wolfgang Meyer, der mit Linearis ein Beratungsunternehmen für Verkehrsunternehmen betreibt. Er ergänzt: „Zum anderen ist das Bahnnetz ist nicht in vertragsgemäßem Zustand. Wegen der vielen Baustellen und maroden Gleisanlagen müssen die Züge langsamer fahren. Die Strafen zahlt aber nicht DBNetz, sondern die Anbieter des Zugverkehrs.“ (siehe Infobox). 36 Millionen Strafe musste Abellio allein in 2020 zahlen.

Freundliche Begrüßung – zumindest in der Werkstatt: Abellio NRW hat seinen Sitz in Hagen. 
Freundliche Begrüßung – zumindest in der Werkstatt: Abellio NRW hat seinen Sitz in Hagen.  © Martina Döbler | Martina Döbler

Bewegung (und Geld) ins System Nahverkehr könnte durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Februar 2021 kommen. Denn der hatte entschieden: Eine „Fahrplantrasse“ ist rechtlich vergleichbar mit einer Mietwohnung.

Plausibel, denn: Unternehmen X „mietet“ die Bahnstrecke von 10.15 bis 12.32 Uhr, um einen Zug von A nach B zu fahren. Stellt der Vermieter DB Netz diese Trasse zu spät zur Verfügung oder lässt sich die Strecke wegen Baustellen nur in der doppelten Zeit fahren, kann die Miete, das „Trassenentgelt“ gemindert werden.

Mit dieser Argumentation könnten Verkehrsunternehmen Strafen des VRR wegen verspäteter Züge an DB Netz weiterreichen. Der Vermieter, der seine Strecken vielerorts (auf Bestellung des VRR) überbelegt, wird dann womöglich weniger „Mieter“ zulassen. Bedeutet womöglich: Verkehr auf der Schiene wird bald ein so teures und knappes Gut wie eine Mietwohnung...

Abellio: „Das Unternehmen, das den Geist aus der Flasche gelassen hat.“

„Aus meiner Sicht ist Abellio jetzt nur das Unternehmen, das den Geist aus der Flasche gelassen hat, den anderen Schienenverkehrsunternehmen geht es nicht besser“, sagt Axel Welp, stellvertretender Vorsitzender der SPD in der VRR-Verbandsversammlung. „Für die Unternehmen sind die ausgehandelten Verträge nicht mehr auskömmlich“, bestätigt auch Meyer.

Schicke Züge aus der Schweiz, die meisten davon übrigens im Eigentum des VRR, damit fährt Abellio rund 50 Millionen Bahnkilometer pro Jahr in Deutschland.
Schicke Züge aus der Schweiz, die meisten davon übrigens im Eigentum des VRR, damit fährt Abellio rund 50 Millionen Bahnkilometer pro Jahr in Deutschland. © DaNa Schmies | Foto

Abellio mag zwar am lautesten schreien, hat aber seinen guten Ruf durch Probleme bei der Übernahme des S-Bahnnetzes Ende 2019 ruiniert. Ausgerechnet diese Verträge sind es, die das dickste Minus bescheren. Doch wer kurz nach dem Sieg im Unterbietungspoker feststellt, dass sein Blatt zu mies ist, wirkt wenig glaubwürdig.

„Wir haben das Gefühl, dass Abellio da auf sehr hohem Niveau zockt. Denn eine Insolvenz würde schwere Nachteile für die niederländische Konzernmutter bedeuten, wenn sie sich an internationalen Ausschreibungen beteiligt“, ist denn auch Frank Heidenreich überzeugt, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Verbandsversammlung. Abellio und damit die Niederländische Staatsbahn haben eine weiße Weste. Doch bei internationalen Ausschreibungen ist es Standard zu fragen, ob man Verkehrsverträge gekündigt bekommen hat oder in eine Insolvenz gegangen ist. Da zu bluffen, wäre Selbstmord.

Das ist ein Ass im Ärmel für den VRR: Abellio könnte deswegen zum Weiterspielen animiert sein. Genauso wie der VRR, der seine Fahrgäste nicht stehenlassen will. Was auch im Falle einer Insolvenz nicht geschähe: Abellio würde dann „beauftragt“ weiterzufahren – allerdings auf Kosten Dritter, wie Heidenreich erläutert: „Dann würde drei Monate lang der Steuerzahler die Personalkosten für Abellio übernehmen. Das ist aus unserer Sicht auch keine gute Lösung.“

Sollte der VRR selbst zum Linienbetreiber werden?

Was bliebe dem VRR? Selbst das Blatt in die Hand nehmen und Linien betreiben? Das hält Axel Welp in einigen Fällen für eine Lösung. „Das wäre ein ähnliches Modell wie bei den kommunalen Verkehrsbetrieben, wo ja auch einige Linien selbst gefahren und andere vergeben werden.“ In den Augen der CDU, so Heidenreich, wäre dies ein Notbetrieb: „Eine Dauerlösung mit neuem öffentlichen Bahnunternehmen kommt nicht in Frage. Wichtig ist, dass wir mit den Geldern vorsichtig umgehen. Denn das Ziel ist es, nicht nur den Betrieb auf dem jetzigen Niveau zu erhalten, sondern auch neue Linien zu ermöglichen, beispielsweise die Walsum-Bahn oder die Ratinger Weststrecke.“

Also: Neue Karten vergeben – und mehr Geld auf den Tisch legen und schauen, wer Leistung bietet und nicht nur blufft. Das Pokerspiel Nahverkehr wird in weitere Runden gehen. Doch die Einsätze kommen zum guten Teil vom Steuerzahler, so oder so. Wird jeder einräumen, der mit offenen Karten spielt.