Essen. Nach der Corona-Impfung entzündet sich das Herz von Kjell (16) aus Essen. Ärzte werten das als mögliche Reaktion, raten aber weiter zur Spritze.

Der Herzschmerz kam am Tag nach der Impfung. Es pochte heftig in Kjells Brust, das kannte der 16-Jährige nicht. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte: Herzmuskelentzündung mit begleitender Entzündung des Herzbeutels. Und vermuten eine Impfreaktion. Es wäre die erste an der Uniklinik Essen, weltweit gibt es nur seltene Fälle. Trotzdem raten die Kardiologen auch weiter zur Impfung, und auch Kjell sagt: „Ich würde mich immer wieder impfen lassen.“

Er hat es für die Oma getan und vor allem für seinen kleinen Bruder: Der ist herzkrank, deshalb war Kjell so früh dran. Im April schon bekam er seine erste Corona-Spritze, so wird es empfohlen: Immunisierung für das „Umfeld“, weil der Zehnjährige noch nicht geimpft werden kann. „Jetzt bist du gesegnet“, sagte die Ärztin zu ihm. Und Kjell sieht das immer noch so, er hat ja nach Nummer 2 im Juni seinen vollen Impfschutz.

Kjell muss drei Monate lang Ruhe halten. Mindestens

Nur kann er nun nichts damit anfangen. Nicht in die Schule, nicht skaten gehen, im Urlaub nicht schwimmen, nicht am Strand rennen, nicht seine Freunde sehen, wenn sie in höheren Stockwerken nur über Treppen erreichbar sind. Ausgerechnet jetzt, wo alles wieder geht, lag er elf Tage im Krankenhaus und muss sich seither schonen. „Absolute Zurückhaltung, absolute Sportkarenz“ hat Dr. Carsten Müntjes ihm aufgetragen, der Kinderkardiologe in der Klinik für Kinderheilkunde. „Das Nicht-Bewegen“, sagt Kjell, „ist das Schlimmste.“

Ein Freund, der kaum von seiner Seite weicht: Hund Toni sorgt für Ablenkung und besucht Kjell auch in seinem Zimmer.
Ein Freund, der kaum von seiner Seite weicht: Hund Toni sorgt für Ablenkung und besucht Kjell auch in seinem Zimmer. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Das Beste hingegen ist: Alle Werte haben sich schnell wieder normalisiert, so besorgniserregend sie waren: im Blut eindeutige Entzündungswerte, die Herzenzyme um das 175-fache erhöht, am Herzmuskel ein Ödem, das EKG stark verändert, der Blutdruck viel zu hoch, zerstörtes Gewebe… Es tat beim Einatmen weh, sagt Kjell, aber Angst hatte er nicht. Die hatten seine Eltern, die schon fürchteten ausgelacht zu werden, weil sie ihr Kind morgens um halb fünf ins Krankenhaus brachten. Dr. Müntjes sagt: „Gut, dass sie es ernstgenommen haben.“

Paul-Ehrlich-Institut prüft die Impfreaktion

Für ihn und seine Kollegen bleibt es ein Verdacht, dass die sogenannte Perimyokarditis eine Reaktion auf die Impfung waren. Aber einer von „nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit“. Dieselbe Reaktion, die die Amerikaner und auch die Israelis bei jungen Männern beobachtet haben, die mit dem Vakzin von Biontech geimpft wurden; Dr. Müntjes verweist auf zwei Studien in den USA, die seltene 13 Fälle erfassten. Auch das deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sammelt solche Impfreaktionen (s. Kasten) – Essen meldete seinen jungen Patienten mit allen Gesundheitsdaten ins hessische Langen.

Andere Vorerkrankungen schlossen die Ärzte zuvor aus: Eine (verschleppte) Virusinfektion als Ursache fanden sie nicht, einen angeborenen Herzfehler, wie beim kleinen Bruder, auch nicht. „Kjell hat ein strukturell völlig normales Herz“, sagt Oberarzt Müntjes. Ob die Entzündung Folge der Impfung war, gilt es nun vom PEI zu prüfen, noch sei „der zeitliche Zusammenhang der einzige Beweis“. Die Frage für die Wissenschaft ist: Muss eine Herzentzündung in das Nebenwirkungsregister aufgenommen werden?

Ärzte raten weiterhin zur Impfung gegen Corona

Hofft, dass Kjell bald wieder ganz gesund ist: Kinderkardiologe Dr. Carsten Müntjes, Oberarzt an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Essen.
Hofft, dass Kjell bald wieder ganz gesund ist: Kinderkardiologe Dr. Carsten Müntjes, Oberarzt an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Essen. © Medienzentrum UK Essen | MARTIN KAISER

Auch wenn das geschehen sollte: Am Uniklinikum empfehlen die Mediziner auch weiterhin eine Corona-Schutzimpfung für das Umfeld herzkranker Kinder. Es gebe kein grundsätzliches Problem mit der Impfung, betont Kinderkardiologe Müntjes, es sei gut, überhaupt eine Option zu haben, um die kleinen Patienten zu schützen. Und auch das gehört ja zur Wahrheit: Auf den Stationen haben die Ärzte immer wieder Patienten mit PIMS-Syndrom – jener Multi-Entzündungserkrankung, bei der Kinder etwa mit Bauchschmerzen und anhaltendem Fieber ins Krankenhaus müssen und die in Verdacht steht, Spätfolge einer Infektion mit dem Coronavirus zu sein. Die mit einer solchen Nacherkrankung kommen, zeigten „zum Teil schwere Verläufe“ und müssten intensivmedizinisch betreut werden. „Das ist wirklich ein Problem.“

Das Problem von Kjell hingegen: „Ich hoffe und erwarte“, sagt Müntjes, „dass sich alles schnell und komplett normalisiert.“ Die Entzündungen hätten nicht zu Funktionseinschränkungen geführt, das Herz des Jungen schlägt wieder normal. Nur Ruhe muss Kjell halten, mindestens drei Monate, vielleicht länger. Wenn im August die Schule wieder anfängt, wird er dort den Aufzug nehmen müssen und seine Tasche nicht selbst tragen dürfen, erst im September steht die nächste große Untersuchung an. „Ich habe es in meinen eigenen Händen“, das haben ihm alle deutlich gesagt, „dann geht es wahrscheinlich wieder weg.“

Kjell würde sich jederzeit wieder impfen lassen

Also sitzt der 16-Jährige in seinem Zimmer, er hat jetzt einen Kühlschrank in der zweiten Etage, Hund Toni kommt zu Besuch. Und er sagt diesen Satz: „Ich würde mich trotzdem noch mal impfen lassen.“ Für die Oma, für den Bruder, „und für alle“. Auch die Eltern, bei aller Sorge, glauben weiterhin daran, „dass jeder sich impfen lassen sollte, um die Gemeinschaft zu schützen“. Und Kjell, überzeugt, dass er jetzt jedenfalls kein Long-Covid mehr kriegen kann, hat ja mitentschieden: „Sobald der Impfstoff da war, wollte ich das.“

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Ein paar Hundert Schritte immerhin, ohne sich anzustrengen, die darf und soll er machen am Tag, kommt auf der Treppe aber aus der Puste. Manchmal fühlt er sich allein unterm Dach, so viel Daddeln an Handy und Computer kann man ja gar nicht. Aber wer ihn fragt, wie es ihm geht, hört ein spontanes „gut. Es ist nur langweilig.“ Kjell hat doch tatsächlich angefangen, ein Buch zu lesen.

>>INFO: ZAHLEN VOM PAUL-EHRLICH-INSTITUT

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als deutsches Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel sammelt Meldungen über mögliche Reaktionen auf die neuen Corona-Impfstoffe. In einem Sicherheitsbericht „Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen“ auf der Grundlage bis Ende Mai erhobener Daten berichtet das PEI über den Verdacht einer Myokarditis oder Perikarditis im zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung von MRNA-Impfstoffen, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Solche Impfreaktionen hatten zuerst Amerikaner und Israelis beobachtet. Insgesamt kamen demnach beim Vakzin von Biontech/Pfizer aus Deutschland 0,1 Meldungen über schwerwiegende Reaktionen auf 1000 Impfdosen.

Es gehe um 92 Fälle seit Beginn der Impfkampagne Ende 2020. 69 davon traten demnach nach einer Impfung mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer (Comirnaty) auf, der bis dato in Deutschland mit fast 37 Millionen Injektionen am häufigsten verimpft wurde. Nur 17 dieser Patienten hatten beides: eine Entzündung des Herzmuskels und auch des Herzbeutels, eine Perimyokarditis. Grundsätzlich sind statistisch junge Männer ab 16 Jahren häufiger betroffen. Eine Herz-Entzündung nach Comirnaty wurde dem PEI von 15 Patienten zwischen 16 und 29 Jahren berichtet. In allen anderen Altersgruppen kam eine solche Impfreaktion meist drei-, höchstens siebenmal vor.