Münster. Nach dem Missbrauchs-Prozess von Münster gehen alle Verurteilten gegen die Schuldsprüche vor. Sie waren zu langen Haftstrafen verurteilt worden.

Nach den fünf Urteilen im Hauptprozess um den Missbrauchskomplex Münster haben alle Verurteilten Revision eingelegt. Das teilte ein Gerichtssprecher am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit. Die Große Strafkammer hat noch bis etwa Anfang November Zeit für die schriftliche Urteilsbegründung. Mit der Zustellung haben die Anwälte der Verurteilten dann vier Wochen Zeit für die schriftliche Begründung der Revision. Bei diesem Rechtsmittel prüft der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe die Entscheidung des Landgerichts auf Rechtsfehler.

Seit Herbst wurde vor dem Landgericht Münster verhandelt

Nur wenig ist aus den in weiten Teilen nicht öffentlich verhandelten Gerichtsverfahren nach außen gedrungen. Doch die Dimension der sexuellen Gewalt gegen Kinder im Missbrauchsfall Münster bleibt erschütternd.

Seit Herbst wird vor dem Landgericht Münster einer der umfangreichsten Kindesmissbrauchskomplexe der vergangenen Jahre verhandelt - nun ist nach mehr als 50 Prozesstagen ein Urteil gegen den Hauptangeklagten gefallen: Der 28-jährige Hauptangeklagte ist wegen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Für die Zeit danach ordnete das Landgericht Münster für den IT-Techniker Sicherungsverwahrung wegen Wiederholungsgefahr an.

Missbrauchskomplex von Münster: Urteile noch nicht rechtskräftig

Die Urteile für die anderen Männer lauten: 10 Jahre Haft für einen Mann aus Hannover (36) für 4 Fälle, 11 Jahre und 6 Monate für einen 43-Jährigen aus Schorfheide in Brandenburg für 5 Fälle und 12 Jahre für einen 31-jähriger aus dem hessischen Staufenberg für 6 Fälle. Auch für diese Männer ordnete das Gericht Sicherungsverwahrung an. Damit folgte es weitestgehend der Forderung der Staatsanwaltschaft.

Wegen Beihilfe soll die Mutter (46) des IT-Technikers für 5 Jahre ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft hatte auf 6 Jahre plädiert.

Die Staatsanwaltschaft hat sich für Haftstrafen von 14 bis 10 Jahren für schweren sexuellen Missbrauch von Kindern und 6 Jahre für Beihilfe im Fall der Mutter des Hauptangeklagten ausgesprochen. Außerdem sollen die Männer wegen Wiederholungsgefahr anschließend in Sicherungsverwahrung. Die Verteidigung sprach sich für mildere Urteile aus. Der Anwalt der angeklagten Frau plädierte auf Freispruch.

Als mutmaßlicher Drahtzieher des grausamen Geschehens gilt ein 28-jähriger IT-Techniker aus Münster: Immer wieder soll er den Sohn seiner Lebensgefährtin - der Junge ist inzwischen elf Jahre alt - vergewaltigt und anderen Männern zugeführt haben. Die Männer soll er häufig im Internet kennen gelernt und sich dann zum Missbrauch des Ziehsohns mit ihnen verabredet haben.

Missbrauch von Münster: Bundesweit weitere Verfahren

Bei den Treffen an verschiedenen Orten - mal in der Wohnung des Angeklagten, mal in einer angemieteten Ferienwohnung, mal in einem Auto - soll es dann wiederholt zum schweren sexuellen Missbrauch gekommen sein. Gegen dreizehn Beschuldigte hat allein die Staatsanwaltschaft Münster Anklage erhoben, darunter auch gegen die Mutter des Jungen. Bundesweit gibt es weitere Verfahren, auch im benachbarten Ausland gibt es Verdächtige.

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Der 28-Jährige war Mitte Mai 2020 festgenommen worden. Eine große Menge sichergestellter Datenträger, darunter ein Überwachungsvideo aus einer Gartenlaube in Münster, das schwerste Gewalttaten an seinem Ziehsohn und einem weiteren Kind zeigt, ließen die Ermittler in Münster befürchten, hier nach den großen Missbrauchskomplexen von Lügde und Bergisch Gladbach abermals auf einen Fall mit vielen Tätern und Opfern gestoßen zu sein. „Diese Befürchtung hat sich nach nunmehr einem Jahr andauernden Ermittlungen leider bestätigt“, sagte Martin Botzenhardt, Sprecher der Staatsanwaltschaft, der Deutschen Presse-Agentur.

Missbrauchskomplex von Münster: Mehr als 50 Tatverdächtige

Die eingerichtete Ermittlungskommission bei der Polizei in Münster hat mehr als 50 Tatverdächtige identifiziert, von denen rund 30 in Haft sitzen. „Es liegen Hinweise auf weitere Täter und Opfer vor. Wir arbeiten weiter mit Hochdruck“, sagte eine Sprecherin der Polizei. 80 Ermittler sind auch ein Jahr nach dem Ermittlungsstart noch dabei, die gigantischen Datenmengen auszuwerten. Von 1400 IT-Asservaten habe man etwa 800 bereits durchforstet. Zuletzt war ein Mann in Berlin gefasst worden, weil er auf Missbrauchsfotos zu sehen war.

Bei der Staatsanwaltschaft Münster sind nach Auskunft Botzenhardts zwei erfahrene Dezernenten ausschließlich mit der Bearbeitung der Fälle aus dem Komplex befasst. Ihr arbeitsintensiver und anspruchsvoller Einsatz sei „mühsame, aber lohnenswerte Puzzlearbeit“, betonte Botzenhardt. Um die Tatverdächtigen vor Gericht zu bringen, mussten und müssen die Ermittler unzählige Chatprotokolle auswerten und abgleichen, um Bezüge zu den stattgefundenen Missbrauchstaten, über die sich die Männer nachträglich ausgetauscht haben sollen, herzustellen.

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Gegen fünf Angeklagte hat das Landgericht Münster bereits ein Urteil gesprochen - und Freiheitsstrafen zwischen etwas mehr als drei Jahren und neun Jahren verhängt. In dem wohl größtem Prozess in dem Missbrauchskomplex sitzen neben dem 28-Jährigen auch dessen Mutter sowie drei Männer aus Hannover, dem hessischen Staufenberg sowie Schorfheide in Brandenburg auf der Anklagebank. Er ist nach Abschluss der umfangreichen Plädoyers nun auf der Zielgeraden.

Landgericht in Münster: 70 Zeugen vernommen

Seit November hat sich die Strafkammer mit einem gleichwohl grausamen Ausschnitt des Gesamtkomplexes befasst. Nach Angaben eines Sprechers wurden in dem Prozess 70 Zeugen vernommen, sieben Sachverständige haben ausgesagt, zahlreiche Bilder und Videos wurden unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Saal gezeigt. Die Akten umfassen insgesamt 20 000 Seiten.

Verbindendes Element zwischen den Angeklagten sind die brutalen Geschehnisse in der Gartenlaube seiner Mutter am Stadtrand von Münster: Über mehrere Tage im April hinweg sollen die vier Männer zwei Jungen betäubt und sich wieder und wieder an ihnen vergangen haben. Während der Ermittlungen hatten sie der Staatsanwaltschaft zufolge keine Angaben gemacht. Im Prozess sagten zwar einige seiner Mitangeklagten nach Angaben eines Gerichtssprechers aus, der Hauptangeklagte und seine Mutter schwiegen jedoch zu den Vorwürfen. Ein wichtiges Beweismittel in dem Prozess dürfte allerdings Bände gesprochen haben: die Überwachungskamera in der Gartenlaube. (dpa)