Mülheim. Das Ruhrgebiet hat viele Dächer und wenige Solaranlagen. Das will eine Energiegenossenschaft ändern – sie kann sich vor Anfragen kaum retten.
Wenn man die Energiewende von unten betrachten will, kann man zu Kurt Essers aufs Dach steigen. Eine Menge Solarmodule hat der Dachdeckermeister auf seinem Betrieb am Mülheimer Hafen installiert, sie gehören jedoch nicht ihm, sondern der Bürger-Energiegenossenschaft Ruhr-West. Essers mietet die Photovoltaik nur (auch wenn er die BEGRW mitgegründet hat) und spart dabei, denn den Strompreis hält die Genossenschaft etwa zehn Prozent unter dem des Grundversorgers. Im Wochentakt bauen und planen die Genossen derzeit Solardächer, wenn auch meist kleinere für Privatleute – und sie kommen nicht hinterher.
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Bis vor kurzem seien etwa drei Anfragen pro Monat eingegangen, erklärt Vorstandsmitglied Armin Röpell. Nun, mit den gestiegenen Energiepreisen und seit der Russlandkrise, sind es locker drei pro Tag. „Wir können aber momentan nur fünf bis sieben Aufträge pro Monat umsetzen.“ Fast hundert Bürger suchten also im vergangenen Monat Beratung, denn weiterhin ist die Planung einer Photovoltaikanlage ziemlich komplex.
Ist das Dach geeignet? Und groß genug? Oder gar der Balkon? Wie ist es mit den Abständen? Und mit dem Vermieter? Wie viel Strom verbraucht man selbst? Und zu welcher Tageszeit; falls überwiegend spät, bietet sich ein Batteriespeicher an? Lohnt es sich, zugleich ein Elektrofahrzeug anzuschaffen? Dann die Förderanträge, die Berechnung der Einspeisevergütung und der Wirtschaftlichkeit. Und wir haben noch gar nicht von den Auflagen für größere Anlagen geredet.
Das kann abschrecken. Und für Peter Loef ist das zum Teil ein gewollter Effekt. Bürokratische Hürden seien aktiv gesetzt worden, „nicht sofort sichtbar für den Bürger“, um den Ausbau der Photovoltaik zu verhindern, erklärt der Vorsitzende der BEGRW. Darum hat der ehemalige Innovationsberater und Sprecher der Grünen in Mülheim im Jahr 2016 mit Freunden und Unternehmern, politisch Aktiven und Handwerkern die Genossenschaft gegründet. Denn das Potenzial sei riesig: „Im Ruhrgebiet sind nur fünf Prozent der geeigneten Dächer mit Solarzellen belegt“, sagt Loef. „In Bayern sind es 30 Prozent. Es gibt einen Riesenstau, aber die Dämme brechen jetzt.“
Photovoltaik für den Balkon als „Einsteigermodell“
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Am Montagmorgen hat Armin Röpell zum Beispiel die Mail einer Familie aus Essen-Heidhausen erreicht, die bereits Solarzellen an ihrem Balkongeländer haben (ja, auch das kann sich lohnen). Sie wollen nun eine Anlage mit doppelter Leistung plus einen Batteriespeicher installieren, um komplett unabhängig von Gas zu werden. Die Solarzellen sind zwar aufgrund der hohen Nachfrage deutlich teurer geworden, aber grundsätzlich gibt es Module, Wechselrichter und Kabel auf dem Markt. Schwierigkeiten dürfte der Speicher bereiten, denn China liefert zu wenige derzeit. Sie seien nur mit unbestimmtem Lieferdatum und ohne Preisgarantie zu bestellen, sagt Röpell. Doch der wirkliche Flaschenhals sei der Mangel an Fachkräften.
„Es wäre wirklich sinnvoll, wenn der Solarteur Teil der Ausbildung von Dachdeckern, Installateuren und Elektrotechnikern würde“, sagt Essers. Ach ja, und Energieberater fehlen genauso. Kurt Essers sucht für seinen Betrieb. Die Genossen suchen. Einfach alle suchen. Sonst hätte die Genossenschaft wohl schon längst mehr als einen Festangestellten. Denn tatsächlich, der allergrößte Teil der Arbeit läuft ehrenamtlich, auch wenn die Genossenschaft wie ein Unternehmen auftritt und wirtschaftet.
Im Süden Deutschlands ist das Genossenschaftsmodell deutlich weiter verbreitet. Die meisten bauen jedoch nur eine oder mehrere Solarparks auf der grünen Wiese. Für das Ruhrgebiet brauche es einen anderen Ansatz, fanden Loef & Co. „Wir wollen gerade nicht auf Freiflächen bauen, denn hier mangelt es nicht an Dächern. Und jeder Freiraum ist wertvoll für die Umwelt.“ Etwa 20 eigene Solaranlagen für die Vermietung hat die BEGRW in den letzten zwei Jahren installiert. Gesamtleistung rund 72.500 Kilowattstunden. Mitglieder, die in die jeweiligen Projekte investiert haben, werden an den Gewinnen beteiligt. Hinzu kommt ein Feld, das wenige Genossenschaften beackern, weil es so arbeitsintensiv ist: Die Beratung und Planung bis hin zu Förderanträgen für Private und Betriebe. So sind im selben Zeitraum rund 100.000 Kilowattstunden Leistung entstanden.
Die bürokratischen Hürden sind groß, aber das soll sich ändern
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Aus Sicht eines Energiekonzerns sind das sehr kleine Kennziffern. Es gibt auch Energiegenossenschaften, die sind hundertmal größer. Aber viele sind auch deutlich kleiner. Mit 120 Mitgliedern und einem Team von einem Dutzend aktiven Ehrenamtlern ist die BEGRW gerade im Übergang zur Professionalisierung, erklärt Loef. Die Gründer, viele nun im schaffensfrohen Rentenalter, wollen die Hauptarbeit an Festangestellte abgeben. Womöglich genau zur richtigen Zeit.
Kurt Essers etwa hat auf seinem Dach Solarmodule mit einer Spitzenleistung von 29 Kilowatt-Peak installiert. Sinnvoll war das nicht. Die Genossenschaft hätte lieber eine dreimal so große Anlage gebaut, doch dann wäre mehr Kontrolltechnik fällig gewesen, der Eigenverbrauch wäre stärker reglementiert gewesen, und bis heute muss man für Anlagen größer als 30 kWp einen Teil der EEG-Umlage zahlen. Das soll nun mit dem „Osterpaket“ des Wirtschaftsministeriums ab Juli entfallen, wie auch einige andere bürokratische Hürden für die Photovoltaik, weitere Erleichterungen sollen im Sommer folgen. „Es wäre ja schön“, sagt Essers, „wenn man sich stärker um die Montage, als um das Antragswesen kümmern könnte.“
Das „Osterpaket“ des Wirtschaftsministeriums
Bis 2030 soll die Leistung der installierten Solaranlagen auf 215 Gigawatt ansteigen – fast eine Vervierfachung. Das sieht das „Osterpaket“ von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor, das vergangene Woche beschlossen wurde. Der Zuwachs soll je zur Hälfte auf Dächern und Freiflächen erfolgen.
Verbraucher und Firmen zahlen von Juli an keine EEG-Umlage mehr über die Stromrechnung – was größere Solaranlagen wirtschaftlicher macht. Der Bau von Windrädern und Solaranlagen ist künftig „im überragenden öffentlichen Interesse“ – und erhält so im Konfliktfall besonderes Gewicht.