An Rhein und Ruhr. Historiker stellen am Montag eine Studie zu Missbrauchsfällen im Bistum Münster vor. Weitere Betroffene könnten sich danach melden.
Köln, München, Aachen – und jetzt Münster: Am Montag ab 10 Uhr wird das Gutachten zu Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche vorgestellt. Die Akteure sind Historiker der Westfälischen Wilhelms-Universität, die seit Herbst 2019 die Akten des Bistums seit 1945 aufgearbeitet haben.
Am 13. Juni werden sie ihre Ergebnisse in der Uni vorstellen – ohne den Bischof. Damit wollen die Gutachter ihre Unabhängigkeit dokumentieren. Zunächst sollen Öffentlichkeit und Betroffene – von denen einige an dem Gutachten mitgewirkt haben – den Inhalt erfahren, danach wird das Gutachten dem Bischof übergeben.
Studie zu Missbrauchsfällen im Bistum Münster: erste Zwischenergebnisse bereits 2020
Im Mittelpunkt der Forschung stehen die drei Bischöfe Joseph Höffner (1962-1969), Heinrich Tenhumberg (1969-1979) und Reinhard Lettmann (1980-2008). Mehrere Mitarbeiter an der Bistumsspitze des 2013 verstorbenen Lettmann wurden später Bischöfe in anderen deutschen Diözesen. Darunter der spätere Bischof von Hamburg, Werner Thissen, der in Münster Generalvikar und später Weihbischof war. Aber auch Genns Rolle wird beleuchtet.
Bereits 2020 gab es erste Zwischenergebnisse. Danach zeigten Bischöfe und andere Verantwortliche große Milde für Missbrauchstäter unter Klerikern und „massives Leitungs- und Kontrollversagen“. Die Bischöfe hätten „nicht nur moralisch, sondern auch juristisch und kirchenrechtlich nicht korrekt gehandelt“. Das Bistum hat angekündigt, sich nach der Lektüre zu äußern: Bischof Felix Genn will am 17. Juni Stellung nehmen.
Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche: Priester suspendiert
Das Bistum rechnet zwar nicht damit, von neuen Tatkomplexen im Gutachten zu erfahren. Einer der letzten, öffentlich gewordenen Fälle aus der Vergangenheit war der Fall eines Pfarrers im Weseler Ortsteil Bergerfurth. Aber das Bistum geht davon aus, dass die Veröffentlichung des Gutachtens weitere Betroffene dazu bringen wird, sich mitteilen zu wollen. Das wird angesichts der Internetpräsenz deutlich. Bereits auf der Startseite prangt weiß auf Rot: „Sexueller Missbrauch im Bistum Münster“.
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Wer darauf klickt, wird über die Studie, die Zwischenergebnisse, den Fall des mehrfach verurteilten, aber immer wieder als Seelsorger eingesetzten Heinz Pottbäckers, vor allem aber über Ansprechpersonen informiert. Das Bistum war 2019 eines der ersten in NRW, das eine vom Bischof weisungsunabhängige Ansprechperson installiert hat. Mittlerweile sind ein Jurist und ein Sozialpädagoge für derzeit etwa 250 Missbrauchsopfer ansprechbar, beraten und begleiten beim Verfahren der „Anerkennung des Leids“. Rund 3,4 Millionen Euro aus Mieteinnahmen – nicht aus Steuermitteln – hat das Bistum bereits ausgezahlt.
Zusätzlich soll ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gutachtens eine weitere Hotline werktäglich von 10 bis 19 Uhr zur Verfügung stehen (Tel: 0251/4956252), die Opfern Hilfestellung und Informationen gibt. Zudem soll ein anonymes Meldeportal eingerichtet werden. Auch Pfarreien, bei denen durch die Studie bekannt wird, dass dort Missbrauchstäter in Amt und Würden waren, bietet das Bistum Hilfe an. Lichtpunkte im Dunkelfeld der zahlreichen Vorfälle gewissermaßen.
Hilfe brauchen offenbar jedoch auch jene, die im Missbrauchsverdacht stehen: Das Bistum Limburg ist jetzt mit dem Suizid eines 49-jährigen hochrangigen Priesters konfrontiert. Der Leiter des Priesterseminars war am Mittwoch wegen des Verdachts sexueller Übergriffe von allen Ämtern freigestellt worden.
Ebenfalls am Mittwoch, 8. Juni, war im Bistum Münster einem Geistlichen im Kreis Borken die Ausübung des Priesteramtes untersagt worden, wegen des dringenden Verdachts des sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen wegen Verjährung eingestellt. Das Bistum hat die Vorgänge zur Prüfung an die zuständige Kommission in Rom weitergeleitet.
In Münster prüfen Historiker, Essen setzt auf Sozialwissenschaftler
Das Bistum Münster setzt, anders als andere Bistümer, nicht auf eine rein juristische Aufarbeitung der Vorfälle. Man hofft, dass das fünfköpfiges Team unter Leitung des mittlerweile in Hamburg lehrenden Geschichtsprofessors Thomas Großbölting die sozialen, strukturellen, systemischen und historischen Zusammenhänge beleuchtet, die Missbrauch ermöglicht und dessen Aufklärung so lange verhindert haben. Einen ähnlichen Weg, allerdings mit Hilfe von Psychologen und Sozialwissenschaftlern, geht das Bistum Essen. Hier wird die Studie zu Missbrauchsfällen im Ruhrbistum Anfang 2023 erscheinen – rund ein Jahr später als geplant.
„Hintergrund sind zeitliche Verschiebungen durch die Corona-Pandemie: Waren zunächst die Kontaktbeschränkungen Grund für eine Verzögerung insbesondere bei Interviews, die die Forscherinnen und Forscher angesichts des sensiblen Themen persönlich führen wollten, haben sich nun durch die Interviews Anhaltspunkte für weitere empirische Forschungen ergeben, für die das IPP weitere Zeit benötigt“, so das Bistum. Das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) aus München untersucht seit März 2020 im Auftrag des Ruhrbistums alle Unterlagen zu Missbrauchsfällen im Bistum Essen.