Duisburg. Als Ende Januar in NRW die Vergabe der Impftermine begann, landeten Tausende Anrufer in der Warteschleife. Noch gibt es keine konkreten Lösungen.
Es ist ein Tag, den Michael Klein und sein Team so schnell sicherlich nicht vergessen werden: Als in NRW am 25. Januar 2021 die Impftermin-Vergabe für Ü80-Jährige startet, bricht in der Vermittlungszentrale des Ärztlichen Notdienstes Chaos aus. Hunderttausende Senioren und deren Angehörige wählen sich zuhause die Finger wund. Allein am ersten Tag laufen im Duisburger Callcenter rund 6,5 Millionen Anrufversuche ein. „Es war völlig klar, dass das in dieser Größenordnung nicht machbar ist“, sagt der Geschäftsführer. Das Drama sei vorprogrammiert gewesen. Und: Das werde sich ohne Lösungen seitens der Politik bei der nächsten Altersgruppe wiederholen.
Aber zurück zum Anfang: Seit zehn Jahren leitet Klein den telefonischen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe. Die Mitarbeiter nehmen alle Anrufe entgegen, die in NRW unter der kostenlosen Notrufnummer 116 117 eingehen. Vor allem an Wochenenden und Feiertagen ist die Hotline gefragt. „Bei uns rufen Patienten an, die mit ihren Beschwerden normalerweise zum Hausarzt gehen würden“, erklärt Klein. Das Callcenter vermittelt die Anrufer an Notfallpraxen. „Ist die Person nicht gehfähig, organisieren wir auch Hausbesuche.“
Chaos bei Terminvergabe: „Alle wussten, dass es so kommen würde“
Als sich Ende 2020 die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes abzeichnet, stehen die Bundesländer vor einer zentralen Frage: Wer organisiert die Impftermin-Vergabe? NRW beauftragt die Kassenärztlichen Vereinigungen – und die informieren im November das Team um Michael Klein. Sofort beginnt der Geschäftsführer mit der Planung. Rund 1500 Mitarbeiter der externen Düsseldorfer Firma „Sitel“ werden hinzugezogen. Sie sollen sich ausschließlich um die Terminvergabe kümmern. Doch die Zeit drängt. Schulungen werden organisiert, die Technik vorbereitet. Am 15. Dezember, gut einen Monat vor dem finalen Starttermin, ist das Callcenter startklar.
Zu diesem Zeitpunkt ahnt Klein bereits, dass die Sache einen entscheidenden Haken hat. Eine Woche vor der Terminvergabe verschickt das NRW-Gesundheitsministerium Mitte Januar 2021 zeitgleich an alle rund 850.000 Senioren über 80 Jahren Briefe mit Einladungen. Doch was passiert, falls nur jeder zweite Impfberechtigte pünktlich am ersten Tag zum Hörer greift? Eine Frage, die sich nicht nur Klein und seine Mitarbeiter stellen. „Alle wussten, dass es so kommen würde“, sagt der Geschäftsführer rückblickend. Auch der Landesregierung sei die Problematik bekannt gewesen.
Duisburger Callcenter: 36 Millionen Klicks allein am ersten Tag
Die Folge: Überlastete Leitungen, Akkordarbeit im Callcenter und völlig entnervte Anrufer. Wer einen Impftermin bekommen möchte, schafft es zeitweise nicht einmal in die Warteschleife. Auch das Internetportal bricht unter der Last der Anmeldeversuche mehrmals ein. 36 Millionen Klicks werden allein am ersten Tag registriert. Und dennoch kann die Vermittlungszentrale nach wenigen Stunden bereits über 400.000 Erst- und Zweittermine vergeben – auch dank der Online-Registrierung, über die sich rund 70 Prozent der Impfberechtigten anmelden.
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B
ei der Bewertung der Impftermin-Vergabe tut sich Klein trotzdem schwer. „Es ist schwierig zu sagen, es sei gut gelaufen“, so der Geschäftsführer. Das könne man all denen, die minutenlang in der Warteschleife festhingen, nicht weismachen. Für ihn sei es aber schon ein Erfolg, dass die Systeme nicht komplett zusammengebrochen sind. „Und der Notdienst war rund um die Uhr erreichbar“, betont Klein. „Das war extrem wichtig.“ Die meisten Anrufer hätten zudem die Durchwahl „01“ oder „02“ gewählt, um direkt bei der Terminvergabe zu landen. „Es gab kaum Irrläufer.“
Klein: „Wir sind diejenigen, die das Theater aushalten müssen“
Mittlerweile habe sich die Lage entspannt – wenngleich pro Tag immer noch rund 45.000 Anrufe eingingen. Die Situation könne sich aber schlagartig ändern, sobald die Briefe für die Ü70-Jährigen rausgehen. „Wir raten dringend dazu, die Einladungen in Zukunft zu staffeln“, sagt Klein. Auch wenn es juristisch schwierig sei, weil niemand bevorzugt oder benachteiligt werden dürfe. Der Geschäftsführer wünscht sich bei dem Thema mehr Pragmatismus. „Wir sind nicht die Politik. Aber wir sind letztendlich diejenigen, die das Theater am Ende aushalten müssen.“
Aus dem NRW-Gesundheitsministerium heißt es auf NRZ-Anfrage, die Planungen für die zweite Priorisierungsgruppe seien noch nicht abgeschlossen. Aktuell erfolge eine „Bewertung der technischen Anforderungen an die Terminvergabe“. Konkret prüfe das Ministerium, ob die Einladungen im zweiten Terminvergabe-Verfahren gestaffelt verschickt werden. Die aktualisierte Corona-Impfverordnung ermögliche es, einzelne oder doppelte Jahrgänge zeitversetzt zu informieren. „Dies war bei der Einladung der Ü80-Jährigen noch nicht möglich.“ Genauere Erläuterungen, wie und wann die einzelnen Altersklassen ihr Impfangebot erhalten, sollen „in den nächsten Wochen“ folgen.