Essen. Wer von Januar bis April in den Norden von Australien reist, muss sich auf viele Regenschauer einstellen. Denn im Northern Territory herrscht zu dieser Zeit “wet-Season“. Eine Reise zu Australiens “Top end“ in der nassen Jahreszeit bringt für Touristen Vor- und Nachteile mit sich.

Es regnet auf Darwins Parap-Markt. Nein: Es schüttet, es plattert, es kübelt, es gießt. Sturzbäche schießen zwischen die Stände mit Singapur noodles und kambodschanischen Reisbällchen, Wasserkaskaden trommeln auf Blechdächer und peitschen Palmen – ja, hier hat es Wetter!

Von Januar bis April herrscht „wet-season“, die nasse Jahreszeit, im Northern Territory, Australiens nördlichem mittleren Drittel, das viermal so groß ist wie Deutschland. Es regnet mit großer Zuverlässigkeit – was allerdings nicht ausschließt, dass vier Tage lang kein Tropfen fällt, und eine unermüdliche Sonne einheizt. Jetzt Australiens „Top end“ zu besuchen, bringt Vor- und Nachteile mit sich.

Staubtrockene Ebenen werden zu glucksenden Zaubersümpfen

Tiere drängen sich nicht, wie während der Trockenzeit, beobachtungsfreundlich an Wasserlöchern zusammen, sondern finden Rückzugsgebiete. Eukalyptuswälder aber erstrahlen in frischem Hellgrün, Wassermassen verwandeln staubtrockene Ebenen in glucksende Zaubersümpfe. Und der Reisende teilt sich Restaurants, Boote und Sehenswürdigkeiten nur mit wenigen Touristen. Wer Wetter liebt und es am liebsten extrem auf seiner Haut spürt, ist jetzt und hier am richtigen Platz.

Dem Wetter ist es auch geschuldet, dass Darwin, das Zentrum des Nordens, unter den Städten Australiens so etwas wie ein Baby ist. In der Weihnachtsnacht 1974 orgelte der Zyklon „Tracy“ mit bis zu 260 Stundenkilometern über die Stadt: Von 14 000 Häusern blieben nur 400 stehen, 71 Menschen starben. Im Museum zeigt ein Film Berge zerknüllten Wellblechs und Bäume, in die Metallfetzen schlugen wie Schrapnelle. In einer schalldichten Kammer hämmert, heult und röhrt der Sturm noch heute – von denen, die damals dabei waren, wagt sich fast niemand in das Inferno.

Aborigines kennen bis zu sieben Jahreszeiten

Wetter spielte für die Bewohner des Northern Territory immer schon eine bedeutende Rolle. Die Aborigines kennen bis zu sieben Jahreszeiten, sagt Reiseführer Sab Lord. „Und alle entsprechen sie den Nahrungsmitteln, die dann zur Verfügung stehen: Beeren, Fische, Schildkröten, Wallabys.“

Sab Lord ist 50, eine gedrungene Ausgabe von Richard Burton, strotzend vor Selbstbewusstsein und Testosteron. Er hat drei Schlangenbisse, eine Ehe und Tausende von Remplern anderer Rugby-Profis überstanden, ehe er sich als Tourist-Guide selbständig machte.

Drei Schlangenbisse und eine Ehe überlebt

Die Ebenen um das Bamurru Plains Camp sind weithin überschwemmt. Mit lautem Geknatter sucht sich das propellergetriebene Sumpfboot seinen Weg zwischen dem wogenden Gras. Wasserbüffel prusten im Schlamm, ein Jabiru, der schwarzköpfige Storch mit klugen Bernsteinaugen, stakst vorsichtig durch den Matsch, Blatthühnchen laufen leichtfüßig über Wasserpflanzen. Hinein in lichte Wälder aus Papierrindenbäumen gleitet das Boot, zwischen rosa Lotosblüten und tellergroße Seerosenblätter. „Im August ist hier alles trocken“, heißt ab jetzt der Standardsatz.

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Acht der 13 Straßen im 20 000 Quadratkilometer großen Kakadu-Nationalpark sind in diesen Tagen gesperrt. Aber auch nur jetzt in der Regenzeit, wenn wenige Touristen unterwegs sind, führt Sab seine Gäste zu den Nourlangie-Felsmalereien: Die ockerfarbenen Wallabys, die hüpfenden Frauen und der insektenähnliche „Lightning-Man“ sind Zeichnungen, anhand derer seit 20 000 Jahren die Regeln der Jagd, die Geheimnisse der alten Mythen und der Spaß am Tanzen gelehrt wurden.

Schlangenhalsvogel und Kokodile im Yellow River

Nur zwei Fahrstunden weiter spiegeln sich Süßwassermangroven und Wolkenberge in den braunen Fluten des Yellow River. Vorsichtig steuert Biologe David das Boot zwischen den Stämmen hindurch. Ein Schlangenhalsvogel sitzt starr auf einem Ast. Ein Weißbauchseeadler steigt in der Ferne hoch. An einer Uferbiegung lauert ein Krokodil unbeweglich unter der Wasseroberfläche, bis ein Fisch in seine tödliche Kiefernfalle gerät. Gerade mal 3000 Leistenkrokodile waren 1971 noch übrig, als die Jagd auf sie verboten wurde. Heute bevölkern an die 100 000 Tiere Seen und Flüsse. Wo Wasser ist, heißt es aufpassen: „Be crocwise!“, raten Schilder. Seid vernünftig, wenn es um Krokos geht!

Im „Crocosauruscove“ in Darwin dreht sich alles um die Gepanzerten: Hörproben von Eischlüpfern und röhrenden Bullen finden sich, daneben zahlreiche lebende Vertreter der Spezies, von Unterarmlänge bis zu sechs Meter langen „Troublemakers“, den gefräßigen Sorgenkindern, die in der freien Natur ihren Appetit auf Vieh und Mensch nicht zügeln konnten.

Den Mutigen markieren

Wer gern den Mutigen markiert, lässt sich in einem Plexiglaskäfig in eines der Becken absenken und hampelt dann darin herum, um „Dusty“ oder „Burt“ auf sich aufmerksam zu machen. Doch die haben ihre Zähne schon zu oft in den Kunststoff gerammt und wissen nur zu gut, dass an die blasse Dosenware nicht heranzukommen ist. Durch geräumige Aquarien ziehen Barramundi, Rochen und Sägefische. Gleich dahinter lockt die Grusel-Galerie: Taipan, Feuerwurm und Rotrückenspinne – all die Giftträger, die man in freier Wildbahn fast nie zu Gesicht kriegt.

Es ist Abend geworden in Darwin. Am Fischerkai treffen sich nassgeschwitzte, wunderbar gelassene Aussies und plaudern bei einem vollmundigen Shiraz. Plötzlich kommt Wind auf. Ein pflaumenfarbenes, an den Rändern rotglühend zerfließendes Wolkengebirge türmt sich über dem schwarzen Meer. Dahinter flackert es wie eine Neonröhre, die nicht richtig funktioniert.

Gleich an 90 Tagen zwischen November und April blitzt und donnert es wuchtig im Northern Territory. Kein Wunder, dass die Bewohner neben Football, Fischen und Grillen noch einem vierten Nationalsport nachgehen: dem Gewittergucken. Man trifft sich mit Freunden auf der Veranda, reicht ein paar VB-Biere herum und harrt der Eröffnung der Lichtspiele. Filigranes Geäder flammt auf, dann bricht der Himmel in lohendem Weißgelb aus, untermalt von rollendem Grollen und ohrenzerfetzenden Explosionen.