Görlitz. Dank der Wende Ende der 1980er Jahre und den Spenden eines anonymen Mäzens ist die Altstadt in Görlitz ein Traum aus Renaissance, Barock und Gotik. Das Ensemble ist so gut erhalten und renoviert, dass seit Jahren Filmproduktionen dort Halt machen - unter anderem wurde “Der Vorleser“ dort gedreht.

Michael Ballack erblickte in der Grenzstadt zu Polen das Licht der Welt. Mehr fiel der Autorin zu Görlitz nicht ein, als die Einladung zu einem Geburtstagswochenende angeflattert kam. Inzwischen ist sie dem Charme der östlichsten Stadt Deutschlands verfallen – dank dreibeinigem Hund, Jugendstil-Prachtbauten und der Sache mit der Schmiermieze.

Von den Bomben des Zweiten Weltkriegs ist Görlitz verschont geblieben, aber 40 Jahre Sozialismus haben dem Altstadt-Ensemble aus Renaissance, Barock und Gotik fast den Rest gegeben. 1989 sollte die Altstadt komplett gesprengt werden.

Glücklicherweise kam die Wende – und mit ihr Investoren, die hinter den bröckelnden Fassaden ein wahres Juwel vermuteten. Ein anonymer Mäzen spendet seitdem Jahr für Jahr erkleckliche Summen für die Sanierung, mit dem Ergebnis, dass der Putzigkeitsfaktor sich inzwischen auch auf Nebenstraßen erstreckt.

Das gut erhaltene oder sorgfältig renovierte Ensemble lockt seit Jahren Filmproduktionen an. Beim „Film ab!“-Rundgang geht es zu den Original-Drehorten von „In 80 Tagen um die Welt“ mit Jackie Chan, von „Goethe!“ mit Moritz Bleibtreu, von „Die Vermessung der Welt“ von Detlev Buck und von „Der Vorleser“ mit Kate Winslet, die für diese Rolle den Oscar gewann – und dem Vernehmen nach völlig begeistert von der Stadt war. Zuletzt diente Görlitz für Wes Andersons „Grand Hotel Budapest“ als Kulisse.

„Die Leute in Görlitz sind großartig. Es ist wunderbar ruhig.“

Ob Kate Winslet wohl auch mit dem Nachtwächter durch die Gassen gezogen ist? Dazu will er sich nicht eindeutig äußern, seine Schwärmereien lassen gewisse Rückschlüsse zu. Bei der schummerigen Tour kurz vor Mitternacht lässt er städtische Legenden aufleben. Die vom dreibeinigen Hund, der viele Jahre immer an Heiligabend aus einem Wasserloch auftauchte und durchs Stadttor schlüpfte. Oder die vom Klötzelmönch, der ein grausamer Mädchenschänder war.

Weitere Daten

Anreise: Mit der Bahn ( 01806/99 66 33, www.bahn.de) ab dem Ruhrgebiet nach Görlitz.

Stadt- und Filmführungen: 60-minütige Nachtwächterführung (bis 15 Personen): 70 Euro pauschal. 90-minütige Führung durch „Das jüdische Görlitz“ (bis 15 Personen): 60 Euro pauschal. „Film ab! - Ein Rundgang durch die Filmkulisse Görlitz“ (bis zwölf Personen: 102 Euro pauschal.

Baggerführung:
Drei Euro für Erwachsene, 1,50 Euro für Kinder.

Kontakt:
Touristbüro i-vent Görlitz, 03581/42 13 62, www.goerlitz-tourismus.de

Am nächsten Morgen ist dann Zeit für etwas Jugendstil. Das wunderschöne Kaufhaus mit dem Lichthof und der prächtigen Freitreppe wird derzeit renoviert. Es soll im Herbst als Filmkulisse dienen und wohl 2015 wieder im alten Glanz als Einkaufstempel erstrahlen. Davon ist die Synagoge noch weit entfernt, obwohl auch dieses Jugendstil-Gebäude dank eines engagierten Fördervereins ebenfalls Stück für Stück wieder saniert wird. Ob es jedoch jemals wieder als Gotteshaus genutzt werden wird oder eine Begegnungsstätte bleibt, das muss die Zukunft weisen.

Eine Führung durch die Zeit

Nach vielen kulturhistorischen Eindrücken, darf es am Nachmittag ein Exkurs in die jüngere Industriegeschichte sein. Vor den Toren der Stadt, wo jetzt der lauschige Berzdorfer See liegt, befand sich bis kurz vor der Jahrtausendwende noch ein großer Braunkohle-Tagebau. Übrig geblieben ist davon nur der Schaufelradbagger 1452 – ein monumentales Ungetüm mit 75 Metern Länge und 33 Metern Höhe. Gehegt und gepflegt wird das Stahl- und Eisenmonster vom „Verein bergbaulicher Zeitzeugen Berzdorf – Oberlausitz“.

Während einer Führung übers Gelände und auf Bagger erklären die ehemaligen Mitarbeiter des VEB Schwermaschinenbau Lauchhammerwerk nicht nur die Finessen des Kohleabbaus, sondern auch, wie das Alltagsleben in der DDR tatsächlich abgelaufen ist: Braunkohle wurde gegen Dachziegel getauscht, die wiederum gegen eine Badewanne. Und die Schmiermieze war auf dem Bagger auch fürs Saubermachen und Kaffeekochen zuständig. Schmiermieze? Das war der liebevolle Kosename der „Schmiermitteltechnikerin“, die auf dem Bagger in erster Instanz dafür sorgen musste, dass er, nun ja, wie geschmiert läuft. Machismo gab’s also auch im Sozialismus.

Ach ja, von Michael Ballack war dann übrigens auch noch die Rede. Wie sich herausstellte, ist dessen Bruder mit einer ehemaligen Mitschülerin... aber das ist eine andere Geschichte.