Hanoi. Pho, die kräftige Fleischbrühe mit Koriander und Nudeln, ist wohl der größte kulinarische Exportschlager Vietnams. Es gibt aber noch über 500 weitere vietnamesische Rezepte, die alle eine Probe wert sind. Doch auch die französische Kolonialzeit hat in der dortigen Küche ihre Spuren hinterlassen.

Zwei Frauen sitzen vor dem Eingang des „dicken Phuong“ und zerschneiden Nudeln mit einer Schere. Vorgegartes Hühnchen liegt bereit. Die Luft ist schon am Morgen so dick, dass man sie schneiden könnte. Auf niedrigen Plastikhockern mit Blick auf eine schmucklose gelbe Wand, von der der Putz abblättert, offenbart sich hier eine vietnamesische Berühmtheit: „Pho“, die Fleischbrühe mit Reisnudeln, frischem Koriander und Huhn oder Rindfleisch, ist wohl der bekannteste kulinarische Exportschlager des Landes. Und nirgendwo sonst soll sie so gut schmecken wie hier, inmitten der wuseligen Altstadt von Hanoi, wo Lastenträger mit spitzen Reisstrohhüten durch endlose Mofa-Karawanen manövrieren und sich die Garküchen zwischen Seiden-, Kräuter- und Binsen-Gasse aneinander reihen. Denn die Pho soll als Abwandlung des französischen Pot-au-feu mit den Kolonialherren Ende des 19. Jahrhunderts nach Hanoi gekommen sein.

500 Gerichte – internationaler Einfluss

Über 500 Gerichte kennt die vietnamesische Küche. Im Norden haben sich chinesische und französische Einflüsse in die Rezepte gemogelt, der Süden orientiert sich eher an Thailand. Beide Regionen am Delta des Roten Flusses und des Mekong gelten als Reiskammern eines Landes, das zwar fast so groß wie Deutschland, an seiner schmalsten Stelle aber gerade 50 Kilometer breit ist. Zwei Drittel der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig und seit die Wirtschaftsreformen der kommunistischen Regierung greifen, gilt Vietnam als drittgrößter Reis-Exporteur der Welt.

Wer durch die ländlichen Gebiete um Hanoi reist, mag das kaum glauben. Auf den Feldern im Norden wird der Reis noch mit Sicheln geschnitten. Männer tragen die Ernte an Bambusstangen ins Dorf, später liegen die weizenfarbenen Körner zum Trocknen aus. Auch im Bergdorf Giang Mo leben 42 Familien vom Reis- und Zuckerrohranbau. Erst seit drei Jahren locken einige Homestays etwa 60 Übernachtungsgäste pro Jahr ins dichte Grün. Jetzt werden die Wasserbüffel einen betonierten Weg entlang getrieben, das Dorf hat eine Wasserversorgung und Elektrizität bekommen. Dank der Bewässerung habe sich auch die Ernte gesteigert, sagt Dinh Quang Sinh. Der 60-Jährige empfängt in seinem Haus Tagestouristen, seine Frau Thi Tinh Nguyen zeigt den Besuchern die einfache Reismühle und wie sie die Körner mit einem mannshohen Mörser aus der Schale löst. Der Tourismus ist ein gutes Zubrot – viele Bauern haben einen Zweitjob in der Stadt oder verlassen gleich ganz die ländlichen Regionen, wo noch an jeder Straße eine Fahne weht und Nationalheld Ho Chi Minh von roten Plakatwänden winkt.

Ein Ort wie aus dem Bilderbuch

Eine ehemals wichtige Hafen- und Handelsstadt ist das 800 Kilometer südlich gelegene Hoi An, ein Ort wie aus dem Bilderbuch: Die 200 Jahre alten Häuser sind gelb oder blau gestrichen und von Blumen überwuchert. Die Unesco stufte die Innenstadt als Welterbe ein. Der Einfluss der einstigen Handelspartner macht sich heute noch bemerkbar: In der Einkaufsstraße steht ein chinesischer Tempel, über einen Seitenarm des Flusses schwingt sich die japanische Brücke. Hier liegen die Boote der Bauern, die ihre Waren zum Markt bringen.

Wer ein frisches, günstiges Mittagessen sucht, ist auf dem Cho Hoi An genau richtig. Die Spezialität der Region: „Banh Xeo“, saftige Pfannkuchen aus Reismehl und Kokosmilch, belegt mit Schweinefleisch, Garnelen und Sojasprossen, gibt es für 20 000 Dong, weniger als einen Euro. Schließt man die Augen, gleicht der Marktbesuch einer Karussellfahrt. Exotische Düfte von Fisch-Minze, Pennywort und vietnamesischem Koriander mischen sich mit vertrautem Ingwer, Basilikum und Knoblauch. „Frische Kräuter geben in der Küche Vietnams den Ton an – gerne auch roh“, erklärt Son Viet Nguyen. Der Küchenchef sucht hier die Zutaten für sein Restaurant aus. Allein vier verschiedene Sorten Reisnudeln sind zu haben: die dünnen weißen Nui, dicke gelbe Cau Lau, und Quang mit oder ohne Kurkuma. Der Unterschied? „Same, same, but different“, sagt Son mit einem Augenzwinkern. Etwas weiter liegen Obst- und Gemüsesorten, die hierzulande kaum bekannt sind: Die kartoffelähnliche Taro zum Beispiel, Bananenblüten für den Salat oder die süß-säuerliche Mangostan, deren Geschmack irgendwo zwischen Traube, Ananas und Grapefruit liegt.

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Ein Teil der Waren kommt aus dem nahegelegenen Dorf Tra Que, wo Tran Quoc Tuan auf seiner Bio-Farm Kräuter und Gemüse anbaut: Flussgras dient als Dünger, die orange blühende Tagetes sorgt für eine natürliche Insektenbekämpfung. Tran schneidet hier und da frisches Grün, stopft Basilikum, Schnittknoblauch und Zitronengras bis zum Rand in einen großen Topf und zaubert daraus sein herrlich aromatisches gedämpftes Huhn – ein altes Familienrezept. „Wirklich authentisch“, sagt er, „ist das vietnamesische Essen nur noch auf dem Land. Die Familien hier bewahren die Traditionen. In den Städten vermischt sich vieles.“

Glücksrollen in der Mega-Metropole

Doch diese Mischung hat auch ihren Reiz. In Saigon, der Mega-Metropole mit zehn Millionen Einwohnern und vier Millionen Motorrollern, ist sie wohl am deutlichsten spürbar. Hier im Süden tragen die Frauen High Heels statt Reisstrohhüten. Kolonialgebäude stehen neben modernen Einkaufszentren, in kleinen Schaufenstern liegen Rolex-Uhren – angeblich von US-Soldaten. Am Fluss hängen sozialistische Parolen gleich neben der Heineken-Werbung, dahinter ist eine Kirche in buntes Neonlicht gehüllt. Hier legen die Dschunken zur Dinner-Fahrt ab.

Zum Thai-Kokos-Salat mit Shrimps gibt es unfrittierte Glücksrollen, die am Tisch selbst aus hauchdünnem Reispapier, Kräutern und Fleisch gerollt werden. Die Chinesen hätten die Frühlingsrollen aus Saigon übernommen, heißt es hier. Ein Unikat aber ist die „nuoc mam“, die heimische Fischsauce. Als Dip wird sie zu fast allem gereicht: Gestreckt mit Limettensaft, abgeschmeckt mit Chili und Salz – gerade so, dass sich die einzelnen Aromen noch entfalten. Den bunten Asien-Mix ergänzen die über die offizielle Ho-Chi-Minh-Stadt verstreuten Cafés, die zum vietnamesischen Robusta-Kaffee mit süßer Kondensmilch Baguettes und Croissants anbieten. Zum Glück haben offenbar nur die Amerikaner keine kulinarischen Fußabdrücke in Vietnam hinterlassen: Im „Pho 2000“, gegenüber dem Ben Thanh Markt, hat Bill Clinton immerhin einmal die traditionelle Nudelsuppe probiert.