Glasgow. Seumas MacInnes ist überzeugt von der Küche seines Landes. Langsam gekochte Lammschulter, gegrillter Hummer oder Blutwurst von den Hybriden sorgen bei ihm für Begeisterung. Der Besitzer eines Cafés im hippen Glasgower Stadtteil Merchant City ist nur ein Beispiel für die guten Köche in Schottland.
Irgendwie bescheiden, aber redselig und offen für ein kleines Schwätzchen. Die grau-melierte Mähne akkurat nach hinten gekämmt, offene blaue Augen und eine feine, graue Weste über dem weißen Hemd. Seumas MacInnes rührt gedankenverloren in seiner Tasse Tee, an den Fenstern seines urigen Café Gandolfi laufen die Regentropfen hinunter. Schottischer Frühling, nass und unbarmherzig-windig. Der sympathische Wirt redet gern über die Küche in Glasgow, ist stolz auf sie. „Auch wenn wir manchmal unseren Weg verloren haben – und unser traditionelles Essen vergessen“, sagt er. „Wir haben eine so tolle Essenskultur: Langsam gekochte Lammschulter, gegrillter Hummer, Blutwurst von den Hybriden.“
Der Glasgower ist in der ehemaligen Europäischen Kulturhauptstadt eine wahre Größe in der Gastroszene – und doch eben bescheiden geblieben. Seumas arbeitete sich vom Küchenjungen hoch bis zum Inhaber zweier Spitzenrestaurants. Vor 17 Jahren übernahm er das mit Holztischen und Fotografien junger Künstler eingerichtete Café Gandolfi in der Albion Street, mitten im trendigen Merchant City.
Restaurierte Kleiderfabriken, viktorianische Gebäude mit Säulen gerahmten Eingangsportalen, Tabak-Lager – das Viertel der einstigen Tabakbarone. Der Wohlstand der Industriellen des Goldenen Zeitalters ist der früheren Handels- und Industriemetropole noch immer anzumerken. Doch sie kann auch grau und düster sein: In anderen Ecken haftet die Armut der Vorstädte an den weiß-grauen Arbeiterhäuschen wie alte abbröckelnde Farbe. Zwölf Prozent Arbeitslosigkeit sind nicht spurlos vorübergegangen an der größten Stadt Schottlands.
Der Traum des kleinenJungen erfüllte sich
Seumas MacInnes geht es gut, sehr gut und auch den meisten seiner Kellner und Köche, viele arbeiten seit über 30 Jahren bei ihm. Der Traum des kleinen Jungen, der der gehobenen Gastronomie, erfüllte sich. Deftig geht es in seiner Küche zu: „Unser Renner ist Stornoway Black Pudding.“ Blutwurst aus dem Ofen mit kleinen Pfannkuchen und frischen Champignons. Frisch und saftig, Hamburger-like. Der Wirt verrät, wo sie herkommt: „Unser Rezept ist von meiner Großmutter. Sie kam aus dem Süden der Äußeren Hebriden, einer Inselkette im Atlantik.” Der 52-Jährige gerät ins Schwärmen: Dort oben auf den schroff-einsamen Inseln sitze man beim Essen noch zusammen, plaudere, zelebriere es richtig – und pflege die Gemeinschaft der Familie. Kein TV-Dinner. Er lächelt. „Bei uns zuhause bin ich auch noch der Koch, und wir versuchen, so oft es geht, mit der Familie zusammen am Tisch zu sitzen.“
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Dann kommt der Vater dreier Kinder auf die Ursprünge der schottischen Cuisine zu sprechen: Sie habe den Vorteil, dass sie durch viele Nationalitäten im Laufe der Jahrhunderte beeinflusst worden sei. Ingwer, Pfeffer, all die asiatischen Gewürze kamen aus Indien.
Auch die Fraktion vom südlichen Stiefel ist in Glasgow zu finden, im lebendigen Studentenviertel West End: Die Gegend ist eher unscheinbar, aber durchaus charmant. Paulo Verrechia – ein italienischer Wohlstandsbauch zeichnet sich unter dem blauen T-Shirt ab – besitzt sein schlichtes University Café schon in vierter Generation: rote Kinosessel, einfache Plastiktische, Holzvertäfelungen um die Spiegel an der Wand. Vergilbte Schwarzweiß-Fotos zeigen die Familiengeschichte. Sie könnten auch in einer Trattoria mitten in New Yorks Little Italy an der Wand hängen.
1918 eröffnete Paulos Urgroßvater, ein Schiffszimmerer, das Lokal mit dem immer noch besten hausgemachten Eis der Stadt. Klar bietet sein Urenkel heutzutage auch noch Traditionsgerichte seiner Mutter an – wie die legendäre Lasagne, aber ebenso Haggis, Neeps und Tatties. „Die dürfen in Glasgow nicht fehlen.” Der meist mit Herz, Leber, Lunge, Nierenfett und Hafermehl gefüllte Schafsmagen wird scharf gewürzt und zum morgendlichen Mahl in der Pfanne gebraten. „Das Nationalgericht wurde erfunden, um nach einer Schlachtung schnell verderbliche Innereien des Tieres für einige Zeit haltbar zu machen“, weiß Seumas. Für deutsche Mägen sind Haggis am Morgen eher gewöhnungsbedürftig und ganz schön mächtig, aber Schotten sind flexibel: Auch abends, gekocht und gebraten, sind sie fast auf jeder Menükarte zu finden.
Da, wo Millionen von Schafen leben, auf den grün-braunen Hügeln von Dumfries und Galloway geht das Leben noch seinen ruhigen Gang. Glasgow ist eineinhalb Stunden entfernt. An der Südwestküste wird der gute Lachs gefangen. Jason Marshall prüft im Galloway Smokehouse gerade lokalen Cheddar-Käse, aus dem alten Ofen qualmt es. „Die Arbeit beschäftigt dich, aber viel ist hier draußen nicht los.“ Der 25-Jährige konnte seine Heimat, das verschlafene Fischerdorf Creetown, einfach nicht verlassen. Viele seiner Freunde seien nach Glasgow umgesiedelt, um einen Job zu bekommen. „Auf dem Cree war ich schon als kleiner Knirps angeln.“ Er blickt nachdenklich in die Ferne, über den Nebel verhangenen Fluss. Ein Leben, das Seumas gut nachvollziehen kann.