Essen. . Die Zeit scheint in Pirna stehen geblieben zu sein. Kriegsauswirkungen, Industrialisierung und immer wiederkehrende Elbehochwasser hatten die Stadt gezeichnet, doch nun ist Pirna erneut aufgelebt und die Renaissance kehrt langsam zurück. Malerische Orte sind an vielen Stellen zu finden.
Auf den ersten Blick erscheint es ungerecht: Das Ölgemälde „Der Marktplatz zu Pirna“ von Bernardo Bellotto – berühmt als Canaletto – ist in der Gemäldegalerie Dresden zu bewundern, Pirna muss sich mit einer Kopie begnügen. Die hängt im Canalettohaus am Markt, im Tourist-Service.
Aber der zweite Blick verwischt alle Unzufriedenheit. Man braucht nur vor die Tür zu treten und kann durch das Original des Originals spazieren. Der Markt zeigt sich, als sei die Zeit nach Canalettos letztem Pinselstrich einfach stehen geblieben.
Hochwasser zeichneten die Stadt
So scheint es heute. Doch Kriegsauswirkungen, Industrialisierung und immer wiederkehrende Elbehochwasser hatten die Stadt gezeichnet. Schließlich wurde in den 70ern und 80ern des 20. Jahrhunderts der historische Kern dramatisch entvölkert. Das Siechtum der alten Bausubstanz und deren geplanter Abriss wurde erst Anfang der 90er gestoppt – in letzter Minute. Auch Canalettos Gemälde diente den Denkmalpflegern als Vorlage.
Kaum war das meiste geschafft, kam 2002 das große Elbe-Hochwasser. Und das jüngste liegt noch kein ganzes Jahr zurück. Hier und da sind noch Spuren der Fluten zu entdecken. Einige Händler sind in sichere Höhen umgezogen und ihre Geschäfte stehen noch leer. Doch die Stadt ist erneut aufgelebt, die Renaissance ist wieder mal wiedergeboren. Seit Anfang des Monats bewirtet das letzte der betroffenen Restaurants wieder Gäste.
Viele kleine, individuelle Geschäfte
Und die Stadtführer haben wieder all die Schönheiten zu zeigen: Sandsteinornamente, Sitznischenportale, plätschernde Brunnen, Inschriften, restaurierte Fassadenmalereien, bemalte Holzbalkendecken in repräsentativen Innenräumen. Ganz viel Renaissance fällt ins Auge. Und Geschichten sind zu hören. Von den Schweden, die 1639 die Stadt ausraubten. Vom Ablasshändler und Luthers Widersacher Tetzel, der in Pirna geboren wurde. Vom Fleischer, der wegen Ehebruchs eine Glocke stiften musste.
Jetzt schauen die meisten Häuser wieder aus blanken Fenster-Augen auf die Straßen. In Innenhöfen grünt und blüht es. Viele kleine, individuelle Geschäfte füllen die Erdgeschosse der Bürgerhäuser, die Schokoladenmanufaktur „Adoratio“ zum Beispiel, die Kaffeerösterei „Ernst Schmole Nachf.“. Und nicht wenige Läden haben noch richtige Namen: Drogerie Sachse, Bürobedarf Emil Ramm, Schuh-Eppstädt.
Das älteste Wagner-Museum der Welt
Auf dem Pflichtprogramm von Pirna-Besuchern stehen zudem noch zwei Ortsteile des Städtchens: Graupa und Zuschendorf. Im Jagdschloss Graupa erzählt die Dauerausstellung „Richard Wagner in Sachsen“ über das Genie. Der in Leipzig Geborene hatte sich im Sommer 1846 elf Wochen in einem Bauernhaus des Dörfchens eingemietet – eigentlich zur Erholung, aber dann komponierte er den „Lohengrin“, weshalb seine einstige Unterkunft seit 1907 Lohengrin-Haus heißt.
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Es gilt als das älteste Wagner-Museum der Welt. Beide Wagner-Stätten sind so eingerichtet, dass auch ehrfurchtsfreie Nicht-Wagnerianer ihren Spaß haben. Im Jagdschloss erwartet eine moderne Ausstellung mit Klangduschen, Hologrammen und spezieller Kinderebene die Neugierigen und ermutigt sie: „Keine Angst vor Wagner, Oper ist ein Erlebnis!“
Herkunft aus Renaissance und Barock
Nach Zuschendorf zieht es vor allem Pflanzen-Liebhaber. Jedes Jahr ab März hat der dortige Botanische Garten geflaggt. „Die Kamelien blühen!“ Das vieltönige Rot und Weiß wurde jetzt abgelöst von der Pracht der Azaleen, im Juni von der Blüte der Rhododendren im Park und endet im August mit dem Verblühen der größten deutschen Hortensiensammlung. Danach bleibt den Bonsai-Kreationen, den Zwergobst-Bäumchen und den Efeu-Arten das ungeteilte Interesse der Besucher.
Und dem Schloss, das nach Jahrhunderte langem Auf und Ab wieder seine Herkunft aus Renaissance und Barock zeigt. Während der Führungen sind all die blumigen Geschichten zu hören: Von den gekrönten Häuptern zwischen Petersburg und Paris, die sich aus Sachsen beliefern ließen, von der 1885 gepflanzten ältesten noch lebenden Zuschendorfer Kamelie, davon, dass Zuschendorf die beiden einzigen unter Denkmalschutz stehenden deutschen Pflanzensammlungen birgt.
Schauspiel-„Gunst“und „Bohnengaffee“
Wer am Abend dann in Pirnas Altstadt zurückkehrt, wird sich nicht langweilen. Wirte räumen Stühle auf das Pflaster vor ihren Kneipchen, und wer auf dem Markt eine Menschenschlange sieht, kann davon ausgehen, dass die bei „Ilses Kaffeestube“ endet. Allerdings nicht wegen der dort vorzüglichen Eierschecke, einer sächsischen Kuchenspezialität, sondern wegen Karten für das Tom-Pauls-Theater.
Tom Pauls, der Kabarettist und Schauspieler, dessen Paraderolle die sächselnde Ilse Bähnert ist, hat nämlich das mehr als 500 Jahre alte Haus gekauft, saniert und als Musentempel ausgebaut. Also gibt es dort, was den Sachsen wichtig ist: Schauspiel-„Gunst“ und „Bohnengaffee“ – natürlich unter historischen Holzbalkendecken.