Mwanza/Daressalam. Es gibt bequemere und schnellere Möglichkeiten, vom Viktoriasee zum Indischen Ozean zu reisen, als mit der tansanischen Einsebahn. Aber wer landestypisch reisen möchte, ist hier genau richtig. Ein Erlebnis ist die ungewöhnlich Reise quer durch Afrika auf jeden Fall.

Der Waggon schaukelt sanft, das Fenster klappert, im Halbschlaf fragt man sich, wo man eigentlich ist und lässt sich dann vom rhythmischen "Tatam, Tatam" wieder einlullen. Wenn man sich erst mit dem kargen Abteil und der Zeitlosigkeit der Reise angefreundet hat, beginnt eine Fahrt mit der tansanischen Eisenbahn in Afrika richtig Freude zu bereiten.

Mit der tansanischen Eisenbahn quer durch Afrika - wer landestypisch reisen möchte, ist hier richtig.
Mit der tansanischen Eisenbahn quer durch Afrika - wer landestypisch reisen möchte, ist hier richtig. © dpa

Drei Tage zuvor am Bahnhof von Mwanza am Südufer des Viktoriasees. "Ja, es fährt ein Zug nach Daressalam", sagt der Mann am Schalter, zweimal in der Woche, zum Beispiel am Sonntagabend - vielleicht. 75 000 Schilling pro Person in der ersten Klasse, fast 35 Euro, mehr als ein halber durchschnittlicher Monatslohn. Fahrtzeit etwa zwei Tage. Wir sollen aber vor der Abreise nochmal zum Bahnhof kommen, vorsichtshalber.

Reisen mit einer "monströsen Lok"

Ein guter Rat. Tatsächlich fährt der Zug erst am Montagmorgen. Zum Glück ist das Hotel nicht weit vom Bahnhof. Am frühen Morgen schrecken wir aus dem Schlaf, das langgezogene Pfeifen eines Zuges hallt durch die verschlafene Stadt.

Es ist noch dunkel. Da steht tatsächlich ein alter Zug. Eine monströse blau-gelbe Lok tuckert vor sich hin. Ein Mann weist uns Abteil E in Wagen 1173 zu. Nichts von dem erhofften postkolonialen Charme, stattdessen postsozialistische beschichtete Spanplatten und eine durchgesessene Sitzbank mit rotem Plastikbezug. Ein Mini-Waschbecken und ein halbblindes Fenster.

Bahnfahrt quer durch Tansania

Der Speisewagen: Klapptische, 1970er-Jahre-Muster, fettverklebte schwarze Ventilatoren an der Decke. Die Bänke der 2. und 3. Klasse füllen sich, Taschen und Säcke stehen im Weg. Erst müde, dann erstaunte Gesichter, Kinder starren uns unverhohlen an: Musungu, Musungu - ein Weißer.

Mit nur 15 Minuten Verspätung beginnt die Reise - wenn man die vorangegangenen 13 Stunden mal außer Acht lässt. Dieselwolken verdunkeln die ersten Sonnenstrahlen, aber wir fahren. Vor uns liegen 1200 Kilometer, quer durch Tansania, das mit 945 000 Quadratkilometern fast dreimal so groß ist wie Deutschland.

Abschied vom Viktoria-See

Abschied vom Viktoria-See, dem drittgrößten See der Welt, 128 Mal so groß wie der Bodensee. Vor Mwanza steht auf einem Granitblock mitten im Hafenbecken der Bismarck-Felsen, der auch fast 100 Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit in Ostafrika noch von vielen hier so genannt wird.

Vorbei an Granitfelsen schlängelt sich der Zug durch die schmale Trasse, bis die Landschaft ebener wird und die einzelnen "Kopjes" sich in der Weite verlieren. Kopjes ist Afrikaans und bedeutet kleine Köpfe, manche allerdings groß wie ein Einfamilienhaus, die Felsen sehen nicht selten tatsächlich aus wie Köpfe, andere wie von Riesenvögeln wahllos in die Landschaft gelegte Eier.

Baumwollfelder beherrschen die Szenerie

Der Mann aus dem Speisewagen bringt heißen Instant-Kaffee in Thermoskannen ins Abteil. Dörfer ziehen vorbei, strohgedeckte Hütten, Kinder winken, laufen los und versuchen ein Stück des Weges mit der röchelnden und rauchenden Riesenschlange mitzuhalten. Es ist ihr Maß der Schnelligkeit. Eine Szene die sich in fast jedem Dorf, nach fast jedem Halt wiederholt.

Nach drei Stunden beherrschen Baumwollfelder die Szenerie. Baumwolle ist eines der wichtigsten Exportgüter Tansanias. Frauen und Männer pflücken die weißen Büschel. Dazwischen immer wieder die langen Blütenstände der Agaven. Dann tauchen an der Strecke riesige Affenbrotbäume auf. Sie sehen aus wie Bäume auf Kinderzeichnungen: Ein dicker Stamm, obendran ein paar skurrile Äste.

Ankunft in Tabora

Die Landschaft wird immer flacher und karger, abgeerntete Felder, gebundene Garben, staubige Wege, Frauen in bunten Gewändern, auf dem Kopf Bündel, Säcke oder Wasserkanister. Der Hunger meldet sich, ebenso wie der Kellner. Es gibt Chipsi, Pommes frites. Der Zug hält an Orten, die wir auf keiner Karte finden. Eine junge Mutter, ebenso wie ihre beiden kleinen Kinder festlich herausgeputzt, steigt mitten im Nirgendwo aus, sieht sich ratlos um.

Acht Stunden später, Ankunft in Tabora. Die Stadt ist der Knotenpunkt der Ost-West-Route und der Verbindung nach Norden. Die Trasse nach Norden haben die Engländer bis Ende der 1920er Jahre bauen lassen. Die mehr als 1250 Kilometer lange Strecke von Daressalam nach Kigoma am Tanganjika-See, die Mittellandbahn, wurde von der Deutschen Kolonialmacht gebaut.

Im Zug fällt das Licht aus

Ein knappes Drittel der Strecke ist schon bewältigt. Wir werden sehr viel früher in Daressalam sein, als befürchtet - denken wir. Als wir eine halbe Stunde später immer noch am Bahnhof stehen, wächst die Unruhe: Die Lokomotive ist weg.

Vor uns liegt der Bahnhof, Hunderte Menschen lagern dort unter dem großen Vordach, Kinder schreien, aus dem Lautsprecher scheppert Musik, unterbrochen von Nachrichten der Deutschen Welle. Händler bieten Weißbrot, Wasser, Grillspieße und Bücher an. Säcke mit Mehl oder Zucker werden ausgeladen. Es geht bestimmt gleich weiter.

Die Sonne geht unter, Dunkelheit fällt über die Szenerie. Auch im Zug geht für einige Zeit das Licht aus. Die Menschen gehen umher, telefonieren, hier hat jeder ein oder zwei Handys. Niemand wirkt beunruhigt oder ungeduldig. Der Kellner verspricht uns "good dinner" mit Bier, leider nicht mehr kalt.

"Die Chinesen bauen hier im großen Stil"

In der dritten Klasse richten sich die Menschen auf die Nacht ein, belegen Bänke und Gänge. In der ersten Klasse klettern wir in die Betten und warten auf den Schlaf. Immer wieder ruckelt der Zug, irgendwo kracht es, Stimmengewirr. Dann endlich gegen drei Uhr setzt das sanfte Schaukeln und mit ihm ein tiefer Schlaf wieder ein.

Am nächsten Morgen geht die Sonne tiefrot auf. Wir sind jetzt seit 24 Stunden unterwegs. Wenig später halten wir an einem Baustellen- Lager. Moderne Maschinen und Lastwagen, Container und Zelte, in schnurgerader Reihe aufgebaut, versehen mit chinesischen Schriftzeichen. Daneben große Stapel mit fertig montierten Gleisen.

"Die Chinesen bauen hier", sagt Paul, ein junger Tansanier. "In großem Stil." In den folgenden Stunden ist eine breite, neu angelegte Sandpiste unser ständiger Begleiter. Unterführungen, Kiesgruben, Betonwerke, die die endlose Baustelle mit Material versorgen, alles generalstabsmäßig geplant.

Glaspaläste in Dodoma

Bei den Zwischenstopps zieht immer wieder der Duft von gebratenem Fleisch, deftigen Suppen oder gegrillten Maiskolben in die Nase. Vor dem Zug haben Frauen ihre wackeligen Tische und Grills aufgebaut, leider nur auf Höhe der zweiten und dritten Klasse.

Und als wir dann vor der großen Freiluftkantine stehen, sehen wir, was uns fehlt: Teller und Besteck. So ziemlich alle außer uns haben ihre Ausrüstung dabei. Nicht umsonst soll der Begriff Musungu vom Suaheli-Wort für "herumirren" kommen. Also müssen wir wieder auf Chipsi, Erdnüsse und Bananen zurückgreifen.

Am Nachmittag erreichen wir die Hauptstadt Dodoma. Ein paar Glaspaläste ragen zwischen den Häusern empor. Hier tagen zwar die Abgeordneten, das Leben - auch das politische - spielt sich aber nach wie vor in Daressalam ab, sagt Paul, der hier Internationale Beziehungen studiert hat und jetzt arbeitslos ist.

Für zwei Stunden auf dem Abstellgleis

Wir nutzen den Aufenthalt, verlassen den Bahnhof und finden zwar keine Sambusas, leckere Teigtaschen mit Hack oder Gemüse gefüllt, dafür ein kleines Restaurant wo wir Omelett mit Pommes, Chipsi Mayai, essen, kräftig gewürzt mit PiliPili.

Der Zug wartet am Bahnhof, Reisende stehen an den offenen Fenstern. Eine Mutter steigt mit ihrem nackten Kind auf dem Arm aus. Plötzlich reckt sich ein Arm aus dem Fenster und gießt eine Flasche Wasser über das Kleine. Es schreit. Vorsicht ist auch geboten, wenn man sich am Morgen während der Fahrt aus dem Fenster lehnt: Mancher Fahrgast verzichtet nicht auf das Zähneputzen, ein Schwall Wasser fliegt plötzlich vorbei.

Wieder wird es Nacht, kurz nach Mitternacht erreichen wir Morogoro, noch 200 Kilometer bis zum Ziel. Trotz der Nachtstunde herrscht auf dem Bahnsteig wildes Treiben. Kinder bieten Reiseproviant an. "Asali, Asali", Honig in Flaschen. Wir landen mal wieder auf dem Abstellgleis, diesmal aber nur für zwei Stunden.

Plastikflaschen fliegen aus den Fenstern

Am nächsten Morgen klopft es, der Schaffner sammelt die Tickets ein. Heißen Kaffee gibt es im Zug nicht mehr, die Toiletten sind noch weniger einladend, als bei der Abfahrt. Dafür wird die Landschaft mit jedem Kilometer grüner. Träge quält sich die Sonne durch den Morgendunst, Hügel mit Kokosnusspalmen haben die flache Savanne abgelöst. Der Zug erklimmt mit Mühe die Steigungen und windet sich durch enge Trassen zwischen Felsen.

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Wenig später erreichen wir die Vororte von Daressalam, nach 1891 einige Jahre Sitz der Kolonialverwaltung für Deutsch-Ostafrika. Die Bahntrasse führt vorbei an endlosen Reihen ärmlicher Hütten. Im Zug wird aufgeräumt. Plastikflaschen fliegen aus den Fenstern, Kinder sammeln sie auf. Noch einmal pfeift der Zug, seht her, ich hab' es wieder geschafft, diesmal in gut 50 Stunden. (dpa)