Anchhorage. In den 1920er wurde Alaskas letzter Waldbison von Menschen getötet. Mike Miller will die Tiere mit seinem “Alaska Wood Bison Reintroduction Program“ zurück bringen. Die rund 100 Bisons, die zu diesem Zweck aus Kanada nach Alaska gebracht wurden, werden von ihm auf das Leben in Freiheit vorbereitet.
Der Bison steht nur wenige Meter entfernt von der alten Schwarzfichte, hinter der sich der Holikachuk-Indianer versteckt hat. Nichts ist zu hören außer seinem eigenen Atem. Die schwarze Hügellandschaft liegt vor einem Himmel, der sich langsam lila-orange färbt. Der Fluss dampft in der Kälte. Dieses Mal muss der Schuss sitzen. Seit Tagen schon sucht der Indianer nach einem Waldbison, groß genug für alle im Winterquartier. Das Fleisch brauchen sie dringend. Er zielt auf die Lunge. Schuss.
Der Abschuss des letzten Waldbisons in Alaska, er könnte so ausgesehen haben, nachdem weiße Siedler die mächtigen Tiere bereits zu Tausenden abgeschlachtet hatten. Seit über 80 Jahren sind die Waldbisons, die größeren Verwandten der Präriebisons aus den Nationalparks und Ranches, in Amerika ausgestorben. Bis in die 1920er Jahre noch hatte es die Tiere in Alaska gegeben. Eine Rettung in letzter Minute wie in Kanada, wo die weltweit verbliebenen 23 reinen Waldbisons schon Ende der 50er Jahre für ein Zucht- und Auswilderungsprojekt gefangen wurden, kam in Alaska zu spät.
Amerikas bedeutendster Beitrag zum Tierschutz
Mike Miller will das ändern und den Bisons mit dem „Alaska Wood Bison Reintroduction Program“ wieder zu ihrem rechtmäßigen Platz in der Natur verhelfen. Es ist das Projekt seines Lebens und „Amerikas wohl bedeutendster Beitrag zum Tierschutz in diesem Jahrhundert“, sagt Mike. Aus gut 100 wilden Bisons, die 2003 und 2008 aus Kanada nach Alaska gebracht wurden, soll eine neue Population erwachsen – eine, die in die Wildnis gehört. Im „Alaska Wildlife ConservationCenter“ nahe Portage, das Mike selbst gegründet und in nur wenigen Jahren zu einer der meistbesuchten Touristenattraktionen des Staates gemacht hat, bereitet der 57-Jährige die Tiere auf die Freiheit vor.
Mike ist der Robert Redford Alaskas: Der Bison-Flüsterer, den die Tiere schon an seinem leicht hinkenden Gang erkennen. „Ich habe 25 Jahre meines Lebens mit Bisons verbracht“, sagt er. „Sie sind so etwas wie meine Religion geworden.“ Seine 130 Tiere lässt Mike kaum aus den Augen – erst recht nicht so kurz vor dem Ziel. Im April 2015, wenn Anchorage als größte Stadt Alaskas ihren 100. Geburtstag feiert, werden die ersten Bisons ausgewildert. Seit zwei Jahren schon laufen medizinische Tests, um sicherzustellen, dass keine Krankheiten die Überlebenschancen der Population mindern. Nur etwa 50 Tiere machen den Anfang. Die verbleibenden Kühe und Bullen müssen im Zuchtprogramm weiter für Nachwuchs sorgen.
Bisons auch wichtig für Tourismus
Seit das Bison-Programm ins Leben gerufen wurde, kämpft Mike um die öffentliche Aufmerksamkeit – und um Genehmigungen. „Die Planung muss alle Interessengruppen einbeziehen, wir brauchen die Unterstützung der Bevölkerung“, sagt er. Dann erst folgt die logistische Meisterleistung: In Pferdeboxen werden die bis zu 1500 Kilo schweren Bisons ausgeflogen zum 725 Kilometer nordwestlich gelegenen Shageluk. Die neue Heimat der Bisons: Das Innoko National Wildlife Refuge, so groß wie Schleswig-Holstein, abgelegen und isoliert – selbst für alaskische Verhältnisse. Eine einmalige Wildnis, die mit ihrem Reichtum an Elchen, Grizzlybären, Wölfen und nicht zuletzt den seltenen Waldbisons durchaus Touristen anlocken und Geld in die Kassen spülen kann.
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Zwei bis drei Millionen Dollar müssen in das Bison-Projekt investiert werden, schätzt Mike. An der Finanzierung beteiligen sich neben dem Staat auch zahlreiche private Vereinigungen. Trotzdem ist das Programm nicht unumstritten. Vor allem der Öl- und Gasindustrie sind die geplanten Auswilderungen in den Yukon und die Minto Ebenen, die ab 2017 stattfinden sollen, ein Dorn im Auge. Im Zweifelsfall soll die Förderung der Rohstoffe vorgehen – so viel hat die Staatsregierung in einem Gutachten bereits festgestellt.
Eine familiäre Beziehung zu den Bisons
In gut 20 Jahren sollen die wilden Bisons trotzdem die 30.000er Marke sprengen, so hofft Mike. Ein ehrgeiziges Ziel angesichts der Entwicklung in Kanada, wo die Population nach all den Jahren auf gerade einmal 11.000 Tiere angewachsen ist. Doch in Alaska sind die Bedingungen für die gefährdete Art ideal, sind große Teile des Staates doch immer noch so, wie sich ein Europäer den Wilden Westen vorstellt. Selbst in vergleichsweise eng besiedelten Gegenden verkaufen Supermärkte „Bear Bells“, kleine Glöckchen zur Abschreckung wilder Bären. In den Buchten liegen Seelöwen auf den Felsen, Otter beobachten vorbeifahrende Boote. Über dicht bewaldete Täler segeln Weißkopfadler, wilde Flüsse stürzen in steile Schluchten, auf den Bergen thronen blau schimmernde Gletscher. Die wilde Natur macht Mike manchmal Sorgen – Hochwasser und schwerer Schneefall könnten seinen Bisons zu schaffen machen.
Mit Signalhalsbändern will Mike die Bewegungsmuster der Tiere verfolgen. Doch schon jetzt ist er Tag und Nacht für seine Bisons da. Sein rotes Holzhaus steht ihrem Gehege direkt gegenüber. Aus dem Treppengeländer sind Bison-Silhouetten herausgesägt, im Haus hängen Bison-Gemälde und -Fotos, so wie andere die Bilder ihrer Kinder und Enkel an den Wänden verteilen. „Ich mag die Bisons, weil sie so starke Herzen haben“, versucht sich Mike an einer Erklärung. Die Liebe zu den Bisons, es ist die Liebe zur Wildnis Alaskas.
Die Alaskaner leben ihre Träume in der Natur
Auf fast 1,5 Millionen Quadratkilometern – einer Fläche so groß wie Deutschland, Frankreich und Spanien zusammen – leben gerade einmal 710.000 Menschen. Wer in Alaska wohnt, das in der Sprache der Ureinwohner Alyeska, großes Land, heißt, der nennt sich selbst mit Stolz Alaskaner und nicht Amerikaner. Und wer sich für die Einsamkeit und die Natur entscheidet, der tut das mit der Leidenschaft desjenigen, der sich für sein Leben nichts anderes vorstellen kann. Ob es der Goldgräber ist, der tagtäglich auf der Suche nach dem Glück ist, der Kapitän, der nichts mehr genießt als einem Wal in die riesigen Augen zu blicken, oder der Hundeschlittenführer, der sich über Tausende Kilometer durch die eisige Kälte ziehen lässt. Mike Miller ist nur einer von vielen Amerikanern, die in Alaska ihren Traum leben.
Der Bison steht nur wenige Meter entfernt. Das dichte, fast schwarze Fell verströmt einen herben Geruch. „Es ist faszinierend, wie viel Stärke sie daraus ziehen, nur Gras zu fressen“, flüstert Mike in die Stille hinein. Einige Kilometer weiter zieht eine Herde an den Kuskowim Mountains vorbei. So könnte sie aussehen, die Zukunft der Waldbisons in Alaska.