Essen. Was im Rheinland der Karneval ist, wird im Alpenraum Fasching genannt und unterscheidet sich in vielen Punkten von den hiesigen Traditionen. Vor allem Hexen, Dämonen und andere schaurige Gestalten prägen das Bild. Unzählige Bräuche werden alljährlich an den verschiedenen Orten zelebriert.
Die Szene ist filmreif: Im Tiroler Dörfchen Weißenbach begleiten kreischende Hexen und eine blecherne Musikkapelle eine Schar tadellos befrackter und bunt geschärpter Herren zum „Zuderer“-Denkmal. Nichts als zuckender Fackelschein beleuchtet die gespenstische Szene, wenn die feine Gesellschaft einen Sarg aus der Erde zieht, um damit in der nächsten Wirtschaft zu verschwinden.
Dort freilich entpuppt sich die vermeintliche „Leich“ bald als eine Strohpuppe und avanciert zum Star des traditionellen „Zudererballs“. Immer donnerstags treffen sich die „Leichenschänder“ zum Tanz, bis der „Zuderer“ am Faschingsdienstag kurz vor Mitternacht wieder unter die Erde muss.
Hexen, Teufel und Dämonen
Hexen, Teufel und Dämonen sind im gesamten Alpenraum unerlässlich für die Faschingsgaudi. Nicht überall geht es aber mit so viel schwarzem Humor zu. Im steirischen Bad Aussee etwa werden die hässlichen „Pless“ in ihren ärmlichen Fetzen von der Dorfjugend in einer Schneeballschlacht erfolgreich vertrieben, damit Faschingsmontag die „Trommelweiber“ unbehelligt durch die Ortschaft lärmen können. Vom Flirt mit den „Damen“ ist abzuraten – unter Masken und Rüschen stecken kernige Burschen. Berühmt sind die Ausseer aber vor allem für den „Flinserlfasching“ (Faschingsdienstag); die paillettenbestickten Kostüme und Masken gehören eindeutig zu den schönsten in Österreich. Jede Maske hat einen eigenen Namen, manche von ihnen gehen auf Tausend Jahre alte Rituale zurück. Ebenso traditionell stammen die Träger oft seit Jahrhunderten aus den gleichen Bauernfamilien. Der Zweck solcher Schönheit: Wie andernorts auch verkünden die „Schönperchten“ den Sieg der Sonne über den Dämon Winter in Form der „Schiachperchten“.
Wild geht es beim „Mullerlaufen“ zu: Am zweiten Sonntag vor Aschermittwoch wechseln sich dabei vier Dörfer um Innsbruck ab, dieses Jahr ist der Ort Rum dran. Ein Schlag der Muller auf die Schulter, „abmullen“ genannt, verspricht den Frauen Fruchtbarkeit, den Männern Potenz. Doch Vorsicht: Es sind 400 Masken. Wer zu nahe an der Straße steht, riskiert eine „Überdosis“.
Gaudi gibt es aber auch auf der bayerischen Seite der Alpen. Sei es beim kostümierten Faschings-Skispringen am Faschingsdienstag in Garmisch-Partenkirchen oder beim nicht ungefährlichen „Firstalm-Fasching“ am Spitzing. Seit dem Jahr 1925 pflügen dort am Faschingssonntag maskierte Ski- und Schlittenfahrer den Firstalmhang hinunter – verkleidet als Auto oder Tausendfüßler.
Mit viel Liebe und großer Fantasie
Auch in der Schweiz sind die Narren los. In der Fasnachtswoche versuchen sie in Luzern in traditionellen Kostümen und Masken, den Winter in die Flucht zu schlagen. Der Schmutzige Donnerstag, der Hauptfasnachtstag, beginnt früh am Morgen mit der „Tagwach“. Am gleichen Tag ziehen „Bruder Fritschi“ und „Frau Fritschene“, die Hauptfiguren der Luzerner Fasnacht, beim großen Umzug durch die Straßen. Der Höhepunkt des uralten Fruchtbarkeitskultes ist die Vermählung des „Fritschivaters“ mit einem Luzerner Mädchen. Das ist keine Freude für die Jungfrau: Ihr Gemahl sieht nicht nur alt aus, er ist auch hässlich und mit Warzen behaftet.
Wenn andernorts wieder Ruhe eingekehrt ist, laufen in Basel die letzten Vorbereitungen auf Hochtouren. Hier tauchen die Cliquen mit ihren raffinierten Verkleidungen nämlich erst am Montag nach Aschermittwoch auf: Ab 4 Uhr morgens verwandeln sie die Stadt für drei Tage in einen vergnügten Hexenkessel. Die mit viel Liebe und großer Fantasie gestalteten Kostüme stellen die Verstorbenen dar, die mit Wasser- und Windgeistern sowie Fruchtbarkeitsdämonen in Verbindung stehen. Sie sollen dem Acker Frucht, den Frauen Kindersegen und dem Haus Glück spenden. Bis zum Morgengrauen des letzten Tages gehen sie um und haben mit allen anderen Trollen, Narren und Hexen eines gemeinsam: Sie können es kaum erwarten, im kommenden Jahr wieder ihr Unwesen zu treiben.