Essen. Seit der Reaktorkatastrophe im März 2011 hat Japan mit sinkenden Touristenzahlen zu kämpfen. Dabei liegt rund 1200 Kilometer vom Unglücksort entfernt ein wahres Paradies: Die Insel Kyushu vereint die japanische Tradition mit der Moderne. Eine neue Flugverbindung soll jetzt Urlauber anlocken.
Sushi und Samurais, glitzernde Wolkenkratzer, zum Peace-Zeichen hochgereckte Hände – es gibt nicht viele Länder, die so klischeebehaftet sind wie Japan. Und das obwohl kaum ein Europäer mehr als die Hauptstadt Tokyo kennt. Touristen verirren sich vielleicht noch nach Kyoto, doch nach der Havarie des Atomkraftwerks in Fukushima erholen sich selbst hier die Besucherzahlen nur langsam.
Dabei lockt rund 1200 Kilometer südlich des Unglücksortes ein wahres Naturparadies und einer der größten weißen Flecken auf Japans Landkarte: Kyushu, eine der vier japanischen Hauptinseln, war einst das einzige Einfallstor für den Westen. Doch seit sich Japan der Welt geöffnet hat, ist das subtropische Eiland in einen Dornröschenschlaf gefallen. Eine neue Flugverbindung nach Fukuoka, der größten Stadt Kyushus, soll das jetzt ändern.
In der 1,5 Millionen Einwohner Metropole treffen Tradition und Moderne so hart aufeinander, wie es ein Japan-Besucher erwartet. Alte Frauen bewahren mit Sonnenschirmen ihre weiße Haut, teure Kimono-Geschäfte residieren neben internationalen Designer-Läden, riesige Spielzeugfiguren sitzen auf Hochhausdächern, am Flussufer verkaufen Garküchen Nudelsuppe unter roten Lampions. Doch außerhalb Fukuokas wird es ländlich – selbst für japanische Verhältnisse.
Der Weg, den einst die Lava nahm
Reisfelder erheben sich in Terrassen übereinander, Wälder aus Azaleen und japanischen Zedern säumen die Straßen und die Kusasenri, die Grasebene am Fuß des 1500 Meter hohen Aso Vulkans, schimmert samtig in der Sonne. Manche Bauern mähen hier noch mit der Sense, am Straßenrand stehen kleine Jisu-Figuren zum Schutz der Reisenden und die Schneisen ringsum des Talkessels zeigen noch immer den Weg, den einst die Lava genommen hat.
Die ersten drei Nationalparks des Landes, sie entstanden hier auf Kyushu. 1955 kam auch die 99-Insel-Landschaft hinzu. Über 200 grüne Eilande sprenkeln hier in Formationen, die an Korallen erinnern, das funkelnde Wasser. Neben den Felsen blitzen unberührte gelbe Sandstrände, in den engen Passagen zwischen den Inseln liegen Austern- und Perlenzuchten. In Thailand oder Indonesien würde diese Landschaft die Erbauer von Luxusressorts wohl zu Höchstleistungen anspornen – hier in Japan kreuzen lediglich einige koreanische Touristen durch die Traumkulisse.
Dabei war gerade Kyushu mit der Hafenstadt Nagasaki, die bis heute dagegen ankämpft, historisch und touristisch nur auf den Abwurf der Atombombe im zweiten Weltkrieg reduziert zu werden, vom 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Japans Fenster zur Welt. Die der Stadt vorgelagerte Insel Dejima wurde als Sitz der niederländischen Ostindien-Kompanie zum einzigen Ort, wo die Europäer Handel treiben durften. Und Nagasaki blieb das Zentrum der Modernisierung auch nach der Öffnung des Landes: Im Glover Garden, einer Art Freilichtmuseum, stehen heute die Häuser der Ausländer, die im ausgehenden 19. Jahrhundert Japan prägten.
Als Unesco Weltkulturerbe vorgeschlagen
Vor der Küste liegt die Insel Hashima, deren mächtige Wellenbrecher und verfallene Bergbaustadt an die Form eines Kriegsschiffs erinnern, als Zeugnis der Industrialisierung. Vorgeschlagen als Unesco Weltkulturerbe und Vorlage für eine Szene des Bond-Streifens „Skyfall“ zieht die Kriegsschiffinsel schier endlose Ströme von asiatischen Touristen an. Der Mangel an westlichen Besuchern manifestiert sich dagegen allerorts: Englisch ist auf Kyushu kaum verbreitet, gesprochen wird nur Japanisch. So zeigt sich hier, eingerahmt von den höflichen Verbeugungen der Menschen, das traditionelle Japan.
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Beim Meguri, dem Baderundgang durch das Geothermalgebiet Kurukawa Onsen, streifen Gäste in den hoteleigenen Baumwoll-Kimonos durch die schmalen Gassen mit den winzigen Sake-Läden von einer heißen Quelle zur nächsten. In den traditionellen Hotels duftet es nach Reismatten und Misosuppe, geschlafen wird auf dünnen Futons, die auf dem Fußboden ausgebreitet werden.
Die minimalistisch eingerichteten Zimmer – mit Tatami-Matten ausgelegt und einem niedrigen Tisch in der Mitte – finden sich auch heute noch für repräsentative Zwecke in vielen wohlhabenden Haushalten. So wie für Gäste noch immer traditionelle Teezeremonien abgehalten werden. In dem offenen Teehaus von Hirado schöpft Misako Mori das heiße Wasser mit der Bambuskelle, löffelt den Macha-Tee mit dem Holzspachtel und schlägt ihn mit einem Schneebesen aus gespaltenem Bambus schaumig. Von Kindesbeinen an hat sie diese Zeremonie gelernt, ihre Bewegungen sind fast feierlich.
Knallbuntes Glitzerevent
„Es ist die Spezialität der Japaner Elemente aus anderen Kulturen zu übernehmen – und zu verfeinern“, sagt Katrin-Susanne Schmidt von der Deutsch Japanischen Gesellschaft Berlin. So wie die japanische Teekultur hat auch Kyushus Porzellanherstellung ihre Wurzeln in China.
Seit über 300 Jahren schon wird das nach der Hafenstadt Imari benannte Porzellan in 200 Öfen rund um den kleinen Ort Arita hergestellt. Die Arbeiten sind nicht nur im Porzellanmuseum ausgestellt, die Einheimischen zeigen ihre Fingerfertigkeit stolz, wo immer sich der Platz dafür bietet: Kleine Scherben sind in Brückenpfeiler und Mauern eingearbeitet, einmal im Jahr gibt es sogar ein Porzellan-Festival.
Natürlich, die Japaner verstehen es, aus allem und jedem ein knallbuntes Glitzer-Event zu machen. Auch im Landesinneren von Kyushu, in Kumamoto, treffen sich verkleidete Manga-Mädchen zum Showlaufen in der alten Burg. Im Hintergrund grinst der Kumamon, das schwarze Bärenmaskottchen, von einer Hochhausfassade. Doch der Dornröschenschlaf hat diese vielen kleinen Details bewahrt: die Hiki, die geschwungenen Giebel der Häuser, dahinter die kleinen Gärten, in denen der Reis hoch steht, die weißen Fähnchen, die den Kampfer-Bäumen in den Shinto-Schreinen eine Seele bescheinigen. Noch wurde Kyushu eben nicht wachgeküsst.