Boston. Agenten umwehte schon immer etwas Geheimnisvolles. Auch deshalb verkaufen sich Geschichten über Männer wie James Bond oder Frauen wie Mata Hari immer bestens. In Boston steht das größte Museum über die Geschichte der Geheimdienste, was vor dem Hintergrund des NSA-Skandals besonders spannend ist.

Gestatten, Dimitri Iwanow. 48 Jahre alt, Fischer aus Kirow in Russland, zu Besuch in Boston – für fünf Tage bei Verwandten. Soweit die Legende. Eine solche muss annehmen, wer das Spy Museum in Washington betritt. Gleich am Eingang heißt es: neue Identität aussuchen, auswendig lernen und einchecken in die Welt der Spitzel und Spione.

Erster Einsatz: Auf Fotos verdächtige Gestalten mit Koffern und Handy am Ohr enttarnen, Wanzen finden oder Briefe dechiffrieren, die mit unsichtbarer Tinte geschrieben wurden. Was am Anfang noch nach drolliger Mischung aus Memory und Chemiebaukasten aussieht, wird schnell realer und beklemmender. Spätestens mit dem „Kiss of Death“, der Lippenstift-Pistole einer Sowjet-Agentin aus den Sechzigern. Und dem bulgarischen Schirm mit vergifteter Spitze. Die wurde dem Dissidenten Georgi Markow 1978 an einer Londoner Bushaltestelle ins Bein gerammt, so dass er daran starb. Überraschende Erkenntnis angesichts dieser Exponate: Es gibt nicht nur diesen schrulligen Film-Opi namens Q, der für James Bond Fantasie-Waffen baut, sondern ganz viele solcher Todes-Tüftler!

Geheimen Kurier enttarnen

Noch gebannt vom Killer-Kuriositäten-Kabinett in den Vitrinen ruft die Pflicht. Der Besucher alias Spion Iwanow muss einen Auftrag entgegennehmen, sich diesen genau einprägen (wird später abgefragt!) und dann in der Lobby des fiktiven Royal Hotels einen geheimen Kurier enttarnen – per Video am Bildschirm. Nach vielen Fehlversuchen schließlich der richtige Mausklick auf den unauffälligen Mann mit Zeitung unterm Arm. „Schärfen Sie Ihre Sinne, das muss schneller gehen“, mahnt der unsichtbare Spionen-Ausbilder im Übungsfilm.

Dermaßen angestachelt schleichen viele Nachwuchs-Agenten weiter durchs Spy Museum, auf der Suche nach genialen Tricks und Vorbildern, finden aber nur die Trottel vom (Geheim-)Dienst: Henry Cabot Lodge etwa, ein durchaus mit Spitzeln vertrauter Mann, US-Botschafter seines Zeichens in Moskau 1946, ließ sich von russischen Schülern ein liebevoll geschnitztes US-Wappen in Pizzagröße überreichen, stellte es stolz auf seinen Schreibtisch und merkte erst sechs Jahre später, dass darin eine Wanze eingebaut war.

Oleg Kalugin war früher KGB-Mann

Ja, solche Räuberpistolen begeistern die Leute im wuchtigen, dreistöckigen Backsteingebäude, das in Washingtons F-Street schräg gegenüber vom FBI liegt und früher mal eine kommunistische Parteizentrale war. Vielleicht fühlt sich Oleg Kalugin deshalb hier so wohl. Als KGB-General soll er den Regenschirm-Mord an Dissident Markow befohlen haben, heute ist er einer der beiden führenden Köpfe des Spy Museums. Der andere heißt Peter Earnest und war 36 Jahre lang CIA-Agent. Zwei ehemals feindliche Spione nun in friedlicher Koexistenz? Nicht ganz, denn das Wettrüsten geht weiter, nämlich in der Frage, woher mehr Ausstellungsstücke kommen. „Der Warschauer Pakt liegt vorn“, sagt Thomas Borghardt, deutscher Museumskurator aus Grevenbroich. „Arbeitslose Ost-Agenten brauchen offenbar harte Dollar.“

Vorbei an James Bonds Aston Martin geht es auf den Geschichts-Boulevard. Ein Flur mit Themen-Zimmern vom trojanischen Pferd über spionierende Tauben bis hin zum so genannten „Vorhof der Hölle“ – einem düsteren Grusel-Kabinett, in dem Felix Dzerschinski unter den gestrengen Augen Lenins gerade den Vorläufer des KGB gründet. Motto: „Wir stehen für organisierten Terror.“ Spätestens hier wird klar: Dies ist ein zutiefst patriotisches und parteiisches Museum, mit der Sichtweise aus einem Fort im US-Western: Die Guten drinnen bekämpfen die Bösen draußen. Erst britische und spanische Kolonialherren, dann Nazis und Kommunisten, Castro und Saddam.

Wenig Objektivität

Kein Wort davon, dass sich US-Geheimdienstler weltweit die Finger schmutzig machen, wenn sie putschende Diktatoren oder verbrecherische Untergrundkämpfer unterstützen. Und das Totalversagen von CIA & Co im Vorfeld der Terroranschläge von 2001 wird watteweich verpackt: Spionage stehe im 21. Jahrhundert mit dem radikalen Islamismus vor neuen Herausforderungen, man müsse mehr vorbeugend und nicht nacharbeitend agieren.

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Wie das geht? Natürlich Top Secret. Hoffentlich sind heutige Methoden etwas origineller als die von Colonel Norris im Zweiten Weltkrieg: Er forderte Kinobesucher per Werbespot auf, ihre Urlaubsfotos an den Geheimdienst zu schicken – es könnte ja was Verdächtiges drauf zu entdecken sein. Immerhin, den Agenten-Krieg gewonnen haben die Amerikaner mit Hilfe von Indianern und Hollywood, dokumentiert das weltgrößte Spionage-Museum: Die in Europa kaum bekannte Sprache der Navajos funktionierten sie zu einem Geheimcode um, und John Chambers, der mit einem Oscar dekorierte Erfinder der Spock-Ohren, entstellte offenbar auch US-Agenten bis zur Unkenntlichkeit.

Unterricht bei richtigen Spionen

Auch das aber würde Spionen-Neuling Dimitri Iwanow gegenwärtig noch nicht vor Enttarnung retten: Vergesslich und nachlässig sei er, schimpft der unsichtbare Ausbilder am letzten Prüfungs-PC des Museums. Die Geheimaktion sei um ein Haar aufgeflogen, nur in letzter Minute hätte Iwanow von einem Spezialkommando gerettet werden können.

Also ab zum Nachhilfeunterricht bei richtigen Spionen: Carol und John Bessette, zwei kreuzbieder aussehende Ex-CIA-Agenten mit Kassenbrille und Karopulli, zeigen auf ihrer Tour durch Washington, an welchem Briefkasten Doppelagent Aldrich Ames Kreidezeichen hinterließ, damit seine russischen Partner Informationen einwerfen, erzählen, dass im heutigen Asia Imbiss „Wok´n Roll“ an der H-Street die Ermordung von US-Präsident Lincoln konspirativ geplant wurde und predigen ansonsten das Mantra der rund 3000 Spione in Washington: Der Schein trügt. Glaube niemals, was du siehst…