Lage/Norderney. Das pflegebedürftige Senioren gemeinsam mit Kindergartenkindern Urlaub machen, ist für viele Reisende unvorstellbar. Doch ein Seniorenheim auf Norderney macht genau das möglich. Durch das spezielle Betreuungskonzept sollen Berührungsängste zwischen alten und jungen Menschen abgebaut werden.

Das Seniorenheim Karolinenstraße im lippischen Lage bietet eine generationenübergreifende Urlaubstour an: Jedes Jahr können die Bewohner der Pflegeeinrichtung unter dem Motto "Alt und Jung" fünf Tage auf der Insel Norderney verbringen. Zu ihnen gesellt sich eine Gruppe von Kindergartenkindern im Vorschulalter, die ohne ihre Eltern mitreisen. "Durch den intensiven Kontakt zwischen alten und ganz jungen Menschen wollen wir Berührungsängste abbauen", erklärt Heimleiter Harm-Hendrik Möller.

Auch dementiell erkrankte Bewohner haben die Möglichkeit, an der Urlaubsmaßnahme teilzunehmen. "Viele Experten sind der Ansicht, man dürfe diese Menschen nicht aus ihrer vertrauten Umgebung herausnehmen. Wir haben aber ganz andere Erfahrungen gemacht", sagt Möller. In den Gesichtern und am Verhalten der Menschen könne man während der Reisen jedes Mal erkennen, dass sie sich im Nordseebad und im Kreis der Kinder wohlfühlen.

Spezielles Betreuungskonzept

"Die Reise setzt bei ihnen viele Ressourcen frei. Längst verschüttet geglaubte Fähigkeiten kommen wieder ans Tageslicht", erzählt der gelernte Altenpfleger. Ein schwerst pflegebedürftiger Bewohner mit Parkinson-Demenz habe beispielsweise wieder damit angefangen, sein Butterbrot selbstständig zu schmieren und zu essen.

Das spezielle Betreuungskonzept des Seniorenheimes, das zum gemeinnützigen Verein Reichsbund freier Schwestern mit Sitz in Paderborn gehört, ist nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Nordrhein-Westfalen außergewöhnlich. Zwar bieten verschiedene Einrichtungen im Land "intergenerationale Aktivitäten" an, wie eine Sprecherin erklärt. In Mettmann gebe es etwa ein Seniorenheim, in dem sich eine Kindertagespflege befindet. Gemeinsame Urlaubsreisen wie in Lage seien jedoch etwas Besonderes.

Kleine Abwechslung und Lebensfreude

Das lippische Projekt "Jung und Alt" basiert auf einer langjährigen Partnerschaft zwischen dem Seniorenheim Karolinenstraße und dem städtischen Familienzentrum "Zwergennest" in Lage. Vor jeder Reise treffen sich Senioren und Kinder über ein Jahr hinweg regelmäßig, um sich kennenzulernen und die Ferienfreizeit vorzubereiten. Die alten Menschen erlebten durch die Spontaneität, Fröhlichkeit und unbefangene Zuneigung der Kleinen Abwechslung und Lebensfreude, berichtet Harm-Hendrik Möller. "Sie fühlen sich gebraucht und angenommen."

Auch auf die Kinder wirken sich die gemeinsamen Norderney-Fahrten positiv aus, wie die Leiterin der Kindertagesstätte, Britta Lager, erläutert. Die sechsjährigen Jungen und Mädchen, die kurz vor der Einschulung sind, lernten etwas über das Altern sowie über Hilfs- und Pflegebedürftigkeit. Die Nordsee-Reise erweitere ihre Erfahrungswelt und stärke ihr Selbstbewusstsein, sagt die 51-Jährige.

Picknick im Watt

In diesem Jahr fuhren im Mai 14 Senioren, sieben Kinder sowie zwölf Begleiter aus Heim und Kita gemeinsam auf die Nordseeinsel. Auf dem Programm standen gemeinsame Strandspaziergänge, Ausflüge, Spiele- und Singabende. "Es gab überhaupt keine Berührungsängste zwischen Jung und Alt", berichtet Möller. So hätten die Senioren den Kleinen zum Beispiel vorgelesen, die Kinder freiwillig die Rollstühle der körperlich beeinträchtigten Bewohner geschoben. Finanziert wird die Senioren-Reise aus dem Erlös von hauseigenen Veranstaltungen und durch Spenden. Den Anteil der Kinder bezahlen die Eltern.

"Der Urlaub war wunderbar", schwärmt die 83-jährige Hildegard Teuber, die zum zweiten Mal mit nach Norderney fuhr. Besonders habe ihr ein Picknick im Watt gefallen. "Es war sehr schön, so viel Zeit mit den Kindern zu verbringen." Auch Heimbewohner Herbert Stölting genoss die Zeit. Nach 20 Jahren habe er sogar zum ersten Mal wieder auf einem Pferd gesessen, erzählt der 93-Jährige. Weitere Nordsee-Fahrten sind geplant. Pflegeheimleiter Möller: "Wir haben bis 2018 vorgebucht." (epd)