Riga. . Riga hat mehr zu bieten, als die meisten Touristen sich vorstellen können: Einsame Strände, belebte Straßen und viele Jugendstilgebäude. Häuser, die einst von den Sowjets gesprengt wurden, hat man wieder aufgebaut. Und so ist Rigas Architektur ein Gang durch die Geschichte - voller Widersprüche und Gegensätze.
Man kann Riga durchaus verlassen, ohne sogleich von der Scheibe zu fallen, die die lettische Hauptstadt nun einmal darstellt in den Augen mancher Urlauber. Dann landet man vielleicht eine knappe Autostunde entfernt an den einsamen Stränden südlich von Saulkrasti. Keine Stranddisco, kein Volleyballturnier, noch nicht einmal die allerkleinste kolossale Rutsche, die den Himmel verdunkelt. Nur der Wald, der Strand und die Ostsee. Gefühlter Handtuchabstand der Badegäste zueinander: 50 Meter, das ist zurückhaltend geschätzt. Nach Saulkrasti hin wird es wieder deutlich voller, und doch: Einer der Orte, die 1933 zu Saulkrasti zusammengefügt wurden, hieß hoffnungsvoll Neubad. Da ist noch Luft nach oben.
Das war ein bisschen ungerecht jetzt, Saulkrasti ist schon ein ausgewachsener Badeort. Aber lieber hurtig zurück nach Riga (Stichwort Scheibe), denn Riga einschließlich seiner Strandzeile Jurmala saugt nun einmal 90 Prozent der Touristen auf, die nach Lettland kommen – und geben sie oft erst zum Heimflug wieder frei. 1,5 Millionen Touristen besuchten 2012 die lettische Hauptstadt. Das war ein Rekord, und man kann getrost prophezeien: 2014 werden es mehr sein, denn dann ist Riga Europas Kulturhauptstadt. „
Die ungewöhnlichen Museen Rigas
Wir gehen davon aus, dass die Zahl steigt“, sagt Vize-Bürgermeister Andris Ameriks (52). Der ist nun selbst kein Touristenziel, aber insofern immer einen Schlenker wert, als erstens ein Aufkleber am Eingang des Rigenser Rathauses darauf aufmerksam macht, dass Pistolen und Messer im Innern durchaus verboten sind. Und sich zweitens daran eine Sicherheitsschleuse anschließt, die sich zu Tode piepst, ohne dass die Wachleute auf die Idee kämen, einen der Eintretenden aufzuhalten. Kleiner Tipp: Man kann auch umstandslos links an der Schleuse vorbei, ohne dass sie Anstoß nähmen.
Die ganze jüngere lettische Geschichte auf einem Platz
Aber was sollte man im Rathaus? Ende des Schlenkers. Bleiben wir doch lieber am Rathausplatz, der es buchstäblich auf sich hat – eine Umdrehung mit offenen Augen und man hat den ganzen Wahnsinn der jüngeren lettischen Geschichte gesehen. Das Denkmal der Roten Lettischen Schützen, die eine größere Rolle spielten in der Oktoberrevolution. Dann einen schwarzen Klotz im beliebten Stil des sozialistischen Kulturpalastes, in seiner angerotteten Variante: Doch ganz im Gegenteil enthält der Bau das moderne Museum der Okkupationszeit, welche nach lettischer Zählung von 1940 bis 1991 währte (1940/41 durch die Russen, 41/44 ersetzt durch die Deutschen, 44/91 wiederum abgelöst durch die Russen).
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Wenn man sich dann noch weiter dreht, stehen dort deutsch geprägte Kaufmannsgebäude aus dem 14. Jahrhundert, die die Sowjets als „feudalistisch“ gesprengt hatten und die die Letten in den Neunzigern wieder aufbauten. Und ein modernes, völlig unpassendes Gebäude, das sich ein Geldsack mit ebensolchem Geschmack bauen ließ, weil er’s hatte. Also Geld.
Beeindruckende Uneinheitlichkeit
So war das mit Lettland in letzter Zeit. Was fehlt jetzt noch? Die Rolandsfigur steht noch da. So eine wie in Bremen. Aber ein anderes Denkmal ist weg – das eines gewissen Lenin. Überhaupt ist die ganze Altstadt ein Baudenkmal, in dem nicht mehr so furchtbar viele Menschen wohnen. Das eigentliche Zentrum ist die Neustadt, die aber auch schon wieder aus dem späteren 19. Jahrhundert stammt.
Dort hält sich Riga zugute, im Verhältnis zur Größe der Stadt (700.000 Einwohner) die meisten Jugendstilgebäude zu haben: nämlich 800. Sie ballen sich besonders massiv in der Albertstraße, wo der Architekt Michael Eisenstein, der Vater des Regisseurs Sergej Eisenstein, ein schöneres Haus neben das andere setzte. Man kann auch in die Innenhöfe vordringen, bekommt es dann aber mit den Bewohnern zu tun, die es leid sind, das ständig lärmende Touristen eben genau das tun – ein ausgesprochen authentischer Zusammenprall.
Lieber noch einmal zurück zum Rathausplatz, der in seiner beeindruckenden Uneinheitlichkeit exakt so bleiben soll. An einem Ende wird er demnächst doch wieder zur Baustelle. Das schwarze Okkupationsmuseum wird erweitert. Es bekommt Anbauten zu Lettlands Gegenwart und Zukunft – in weiß.