Riga. . Die lettische Hauptstadt hat einen schmalen Etat - und macht es wie das Ruhrgebiet 2010: Anschub für die Kultur, Arbeit mit der eigenen Geschichte, so will man sich im kommenden Jahr Europa zeigen. Aber es ist auch noch viel zu tun.
Matthias Knoll kommt herbeigeeilt über das holprige Kopfsteinpflaster des Domplatzes, und wie angekündigt, erkennt man ihn an den Stühlen über seiner Schulter doch recht sofort: Sie sind zwar zusammengeklappt, doch zu zwölft. Seit mehr als 20 Jahren lebt Knoll in Riga und macht literarische Führungen; hängen geblieben ist er 1991 freilich nicht an den Kopfsteinen, was hier ja schnell passiert, sondern am literarischen Pflaster.
An der lettischen Sprache, deren „Beitrag zur Weltliteratur bisher weitgehend unentdeckt ist“, so Knoll selbstironisch – Übersetzer und Schriftsteller ist er nämlich auch. Ein bisschen ist Knoll auf dem Weg zum Original, aber jetzt erst mal zu einer Gruppe Kundschaft: Zwei Stunden wird er durch Riga führen. Nicht Daten referieren, sondern an wechselnden Stellen mit Witz aus Gedichten und Romanen lesen. Und was lernt man?
Erstens: Auch der Lette kann dichten. Zweitens: Es ist bequemer, zwei Stunden zu gehen und zu stehen, als ständig die Klappstühle zu bemühen. Dies ist Knolls zweihundertund-xte Literatour, man kann also sagen: Die Zeit ist reif. Für Riga 2014 als Kulturhauptstadt Europas. Zeitgleich mit Uema im mittleren Schweden.
Hansestadt, Hafenstadt, Boomtown
Nach den kleineren osteuropäischen Vertretern Pecs, Maribor und Kosice kommt nun eine Stadt auf die Bühne, die weltberühmt ist in Europa. Hansestadt, Hafenstadt, Boomtown der vorletzten Jahrhundertwende, das Dubai von 1890 – man sieht es an dem guten alten Jugendstil. Nachdem Riga dann 50 Jahre recht gut versteckt lag im Sowjetreich, empfängt es heute in der Person eines Taxifahrers, der „Cheri Cheri Lady“ laufen lässt. Laut. Sehr laut. „Warum in der Stadt?“, fragt der gute Mann. „Journalismus.“ – „Politik, oder Sport?“ – „Kulturhauptstadt 2014.“ Schweigen.
Auch interessant
Nun gut, man hat ja noch fast ein ganzes halbes Jahr.
Der Titel (also, „Kulturhauptstadt“ natürlich) sei „eine gute Werbung für die Stadt“, sagt Andris Ameriks und greift damit zu einem gut erprobten Vizebürgermeistergemeinplatz. Ansonsten ist der 52-jährige Geschäftsmann und Stadtrat allerdings an Politik und Kultur auffällig desinteressiert; den Kulturhauptstadt-Etat schätzt er auf 50 Millionen und liegt damit knapp daneben. Es ist dann auch an Aiva Rozenberga, Inhalte auszuführen. „Wir haben einen der kleinsten Etats, aber wir jammern nicht“, sagt Rozenberga, die Programmdirektorin. Man wolle „auch ein Publikum erreichen, dass vielleicht etwas Angst hat vor Theatern und Opernhäusern“.
24 Millionen Euro Etat
24 Millionen Euro wollen sie also ausgeben und halten es damit teilweise so, wie das Ruhrgebiet auch 2010: Kultur, die eh über die Bühne geht, wird nochmal etwas angeschoben. Es sind zum Beispiel Weltchorspiele in Riga 2014 – Chorsänger sind in Lettland so verbreitet wie Fußballgucker in Deutschland. Oder: Sie legen einen Schwerpunkt auf Richard Wagner, der zwei Jahre Kapellmeister war in Riga und hier anfing, „Rienzi“ zu komponieren. Doch sie werfen auch einen anderen Blick als den gängigen zurück auf 100 Jahre Erster Weltkrieg, denn mit dessen Nachwirkungen wurde Lettland zum ersten Mal unabhängig.
Und dann steht da dieser Bau an der Friedensstraße; vormals Leninstraße, vormals Hitlerstraße, vormals Alexanderstraße, um das ganze Hin und Her Lettlands im 20. Jahrhundert einfach mal in Straßennamen zu erzählen.
Ausstellungen zur Geschichte
Sehr groß, der Bau, sehr hoch, sehr sperrig, sehr umstritten: Der KGB saß drin, dann die Nazis, dann wieder der KGB – als Brüder im Geiste hinterließen sie Folterzellen, Hinrichtungsstätten und Büros für Bosheiten. Längst ist das Gebäude leer und geschlossen und seine Zukunft umstritten. 2014 jedoch wird es gleich sechs Ausstellungen zur Geschichte beherbergen: zur Okkupation, zum Exil, zum Terror . . . Den ganzen Irrsinn macht eine einfache Zahl deutlich: 1913 gab es so viele Letten wie Dänen, nämlich 2,5 Millionen. Die Dänen sind heute 5,5 Millionen Menschen – die Letten 2,2.
Auch interessant
Doch zurück zur Leichtigkeit des Scheins. Der erste große Auftritt der neuen Kulturhauptstadt wird Mitte Januar die „Lebende Bücherkette“ sein. Dann sollen die Einwohner eine Menschenkette durch die Stadt bilden, entlang derer sie die Bücher der Nationalbibliothek aus dem Altbau in den Neubau weiterreichen. Trallala-Verdacht wäre freilich falsch an dieser Stelle, schließlich haben Nationalbibliotheken für kleine Völker in jungen Staaten eine sehr große und symbolisch aufgeladene Bedeutung. Diese hier, die fast fertig ist auf der anderen Seite der Düna, heißt „gaismas pils.“ Auf Deutsch: „Lichtburg.“ Na dann, Riga, strahle!