Erbach. Überall kennt man die kleinen Kugeln zum Schütteln: Schneekugeln. Der Elfenbeinschnitzer Bernhard Koziol aus Erbach schaffte es, viele Menschen mit ihnen zu verzaubern. 1950 kam ihm die Idee, kleine Figuren aus Kunststoff zu Schneekugeln zu verarbeiten. Jetzt sind viele Exponate im Elfenbeinmuseum zu sehen.

Manchmal hat ein Unfall auch etwas Gutes. Zwei Rehe mit einem Kitz beäugten im tief verschneiten Odenwald neugierig den VW-Käfer, der in einer Schneewehe steckengeblieben war. Der Fahrer bemerkte die Tiere erst, als er mit einem Blick durchs Heckfenster zurücksetzte. War das nicht die Idee, die er brauchte, um seinen Betrieb für thermoplastische Kunststoffe in die Zukunft zu führen? Konnte er nicht in einer Plexiglaskugel Schnee auf Rehe rieseln lassen?

Schon wenige Wochen später hatte der Elfenbeinschnitzer Bernhard Koziol aus Erbach die Szene in reines Odenwaldwasser mit winzigen weißen Schnipseln unter eine handliche Halbkugel gesteckt. Das war 1950. Seitdem verzaubern die Bambis und viele weitere Plastikgeschöpfe im aufgeschüttelten künstlichen Schnee für ein paar Sekunden ihre Besitzer. Seit 1985 heißen sie deshalb nicht mehr Schnee-, sondern Traumkugeln.

Kalte Kugeln

Josef Kardinal ist ein musischer Mensch, Klavier spielt er und Gitarre, moderne Kunst hängt an den Wänden seines Hauses, Kunstbücher stehen in den Regalen, Möbel sind designt, Tassen, Gläser auch; freilich geht sein Kunstbegriff so weit, dass er mühelos auch Schneekugeln umfasst.
Josef Kardinal ist ein musischer Mensch, Klavier spielt er und Gitarre, moderne Kunst hängt an den Wänden seines Hauses, Kunstbücher stehen in den Regalen, Möbel sind designt, Tassen, Gläser auch; freilich geht sein Kunstbegriff so weit, dass er mühelos auch Schneekugeln umfasst. © WAZ / Jakob Studnar
Die brachten ihm 1985 Freunde ins Haus, und sie meinten es wohl als scherzhaften Kommentar zu seinen künstlerischen Interessen. Da stand sie dann allein auf dem Seine erste Kugel bekam er 1985, wider Willen. Darauf folgten weitere von Bekannten,
Die brachten ihm 1985 Freunde ins Haus, und sie meinten es wohl als scherzhaften Kommentar zu seinen künstlerischen Interessen. Da stand sie dann allein auf dem Seine erste Kugel bekam er 1985, wider Willen. Darauf folgten weitere von Bekannten, "irgendwie war das Ganze nicht mehr zu bremsen". Kardinal ergab sich. © WAZ / Jakob Studnar
Heute hat er 7700 Kugeln und ein paar.
Heute hat er 7700 Kugeln und ein paar. © WAZ / Jakob Studnar
Reichlich 7700 Schneekugeln können aber anstrengend sein. Denn das Problem ist: Das Wasser verdunstet ganz langsam, und der Kunststoff Polystyrol kann verkleben, der den Schnee darstellt.
Reichlich 7700 Schneekugeln können aber anstrengend sein. Denn das Problem ist: Das Wasser verdunstet ganz langsam, und der Kunststoff Polystyrol kann verkleben, der den Schnee darstellt. © WAZ / Jakob Studnar
Zwei Mal im Jahr muss der Finanzbeamte aus Nürnberg-Süd sie dann entstauben, auffüllen, und schütteln, schütteln, schütteln.
Zwei Mal im Jahr muss der Finanzbeamte aus Nürnberg-Süd sie dann entstauben, auffüllen, und schütteln, schütteln, schütteln. © WAZ / Jakob Studnar
"Alles, was ist, landet früher oder später in einer Schneekugel": hier ein Alien. © WAZ / Jakob Studnar
Doch nicht jedes Ding macht eine solch gute Figur.
Doch nicht jedes Ding macht eine solch gute Figur. © WAZ / Jakob Studnar
Langsam aber geht Kardinal der Platz in seinem Keller aus für all die Kugeln.
Langsam aber geht Kardinal der Platz in seinem Keller aus für all die Kugeln. © WAZ / Jakob Studnar
Schneekugeln sind übrigens eine französische Erfindung, die ersten werden beschrieben 1878 zur Pariser Weltausstellung.
Schneekugeln sind übrigens eine französische Erfindung, die ersten werden beschrieben 1878 zur Pariser Weltausstellung. © WAZ / Jakob Studnar
Zum Massenprodukt wurden sie erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Zum Massenprodukt wurden sie erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. © WAZ / Jakob Studnar
Seit dieser Zeit gibt der Kunststoff Polystyrol einen glaubwürdigeren Schnee ab als Getreide oder Gries, die davor eingesetzt wurden. Zusehends wird heute beliebter, gold- oder silberfarbenen Glitter rieseln zu lassen.
Seit dieser Zeit gibt der Kunststoff Polystyrol einen glaubwürdigeren Schnee ab als Getreide oder Gries, die davor eingesetzt wurden. Zusehends wird heute beliebter, gold- oder silberfarbenen Glitter rieseln zu lassen. © WAZ / Jakob Studnar
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Mit der Zeit gehen

"Ich erinnere mich noch gut, wie Bernhard Koziol unsere Innung vor fast 30 Jahren beschwor, mit der Zeit zu gehen", sagt Petra Bergoint, während sie im Deutschen Elfenbeinmuseum im Stadtkern von Erbach demonstriert, wie schwierig die Bearbeitung von Elfenbein, Mammutstoßzähnen oder Geweihen ist. Mit der Zeit zu gehen hieß, Kunststoff maschinell zu produzieren.

Die Elfenbeinschnitzerin ließ sich nicht davon abbringen, weiter mit der Hand und viel Geduld an Unikaten zu arbeiten. Seit dem Einfuhrverbot von Elefantenstoßzähnen 1989 bevorzugt sie Mammut aus dem unerschöpflichen Vorrat des sibirischen Eises. "Elfenbein kann man jede Form aufzwingen, das starrere Mammut zwingt meine Fantasie, zu sehen, was in ihm steckt.

Drechselkunst mit dem exotischen Material

Mit der Liebe zur Handarbeit steht Petra Bergoint in einer 230 Jahre alten Erbacher Tradition. Begründet hatte sie der letzte regierende Graf, Franz I. von Erbach-Erbach. Er setzte ganz auf die Drechselkunst mit dem exotischen Material, die er wohl auf seiner Kavalierstour in Wien kennengelernt hatte.

Mit handgeschnitzten Schnupftabakdosen überzeugte er die Erbacher Zunftmeister 1783, die den Graf sogleich zum Obermeister wählten. Drei dieser Dosen liegen heute in der Gräflichen Sammlung im Barockschloss in der idyllischen Stadtmitte.

Die gräfliche Wirtschaftsförderung erwies sich lange als nachhaltig. 1873 bewunderte man auf der Weltausstellung in Wien die fein naturalistisch geschnitzte Erbacher Rose aus Elfenbein. Nach dem Krisenjahr 1923 nutzte das Ausland die niedrig bewertete deutsche Währung und bestellte in Erbach massenhaft Schmuck und Gebrauchsgegenstände aus Elfenbein.

Mit Kunststoff den Anschluss an die Zeit 

Doch mittlerweile hat das kunstvolle Handwerk auch im einzig verbliebenen deutschen Elfenbeinzentrum keinen goldenen Boden mehr. Daran konnten selbst Bernhard Koziols Versuche, den harten Werkstoff mit einer umgearbeiteten Nähmaschine schneller zu bearbeiten, nichts ändern.

Immerhin schaffte Koziol mit Kunststoff den Anschluss an die Zeit. Die Nähmaschine mit dem Zahnarztbohrer steht seit 2009 im Museum der "Glücksfabrik", wie Bernhards Sohn Stephan den mittelständischen Betrieb an der Verbindungsstraße zwischen Erbach und Michelstadt nennt: "Wir machen Sachen für Herz und Emotion", erklärt er.

Was das früher hieß, steht im Museum. Maschinen, Musik, Dokumente und Aussagen von Zeitzeugen geben Einblicke in die Geschichte. Edelweißanstecker für die Krachlederne, der "Nick-Neger" von Misereor, der Spenden mit einem Nicken quittierte, Sinnsprüche für die Wohnzimmerwand oder das erste CD-Regal zeigen die wechselnden Moden.

Ur-Schneekugel ist nicht mehr zu sehen

Nur Koziols Ur-Schneekugel ist im Museum nicht mehr zu sehen, die als erste maschinell aus Kunststoff hergestellt wurde, statt händisch wie die gläserne Schneekugel auf der Weltausstellung in Paris 1878. Auch der VW-Käfer ist nicht mehr erhalten, durch dessen Rückfenster Bernhard Koziol sich 1950 von der Natur inspirieren ließ.

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Stattdessen setzt sich der Besucher in ein Nachfolgemodell, mit dem Zündschlüssel bringt er die Riesen-Traumkugel hinter dem Rückfenster zum Leuchten, und mit dem Gaspedal löst er einen Blitz aus, um wenig später ein "Täterfoto" von sich in den Händen zu halten mit dem Titel: "Erwischt auf der Reise ins Glück".(dpa)