Rügen. Nach 20 Jahren Stillstand kommt nun Bewegung in den ehemaligen Nazi-Komplex Prora auf Rügen. Im letzten Jahr eröffneten dort bereits ein Museum und eine Jugendherberge, jetzt hat der Berliner Investor Michael Jacobi damit begonnen, zwei der zehn Aufgänge des Blocks zu sanieren.
Aurora, Aqua und Verandum. Die Namen der Häuser auf dem Werbeschild sollen wie eine Meeressinfonie klingen. Noch hat der Baulärm im Nazi-Komplex Prora auf Rügen jedoch nichts mit dem sanften Rauschen der nahen Ostsee gemein. Doch das soll sich ändern: Dort, wo früher nach Willen der NS-Diktatur 20.000 Urlauber „Kraft durch Freude“ erhalten sollten, entstehen jetzt luxuriöse Ferien- und Eigentumswohnungen. Auch ein Hotel ist geplant. Die ersten Maßnahmen haben vor kurzem begonnen. Im Sommer 2013 sollen die ersten Bewohner einziehen.
Das Seebad Prora auf Rügen ist eines der letzten sichtbaren Relikte des Größenwahns der NS-Diktatur. In Betrieb gegangen ist die 4,5 Kilometer lange Anlage nie. Nach dem Krieg wurde sie von der Nationalen Volksarmee der DDR genutzt. Seit der Wende rottete das architektonische Monstrum größtenteils vor sich hin. Der Bund hatte 2004 begonnen, den Gebäude-Komplex blockweise zu verkaufen. Bis auf ein Museum und eine Jugendherberge, die im vergangenen Jahr in Block V mit 400 Betten eröffnete, sind jedoch keine weiteren Umbaumaßnahmen begonnen worden.
Sanierung von zwei Aufgängen hat begonnen
Für das Ostseebad Binz, dessen Ortsteil Prora ist, bedeutete der Koloss einen enormen Ballast. „Durch den Stillstand in den vergangen 20 Jahren ist auch die Infrastruktur für die Einwohner weggebrochen. Wir sind froh darüber, dass jetzt etwas passiert“, sagt Karsten Schneider, Bürgermeister von Binz.
Für die Bewegung in Prora ist auch der Berliner Investor Michael Jacobi verantwortlich. Zusammen mit seinem Partner Axel Bering hat er damit begonnen, zwei der zehn Aufgänge des 450 Meter langen Blocks II von Prora zu sanieren. Kostenpunkt: etwa 4,5 Millionen Euro pro Aufgang.
Nazi-Klausel im Kaufvertrag
Die einmalige Lage zwischen Ostsee und Jasmunder Bodden, der Bauhaus-Stil des denkmalgeschützten Komplexes und dessen Geschichte seien entscheidend für diesen Schritt gewesen. Der historischen Bedeutung des NS-Baus sind sich die Berliner bewusst. Deshalb haben sie in den Kaufvertrag eine „Nazi-Klausel“ eingefügt.
Sie untersagt den Bewohnern, den Wohnraum für politische Veranstaltungen zu nutzen. In Gesprächen mit Interessenten werde allerdings nicht explizit nach der politischen Gesinnung gefragt.
70 Prozent Reservierungsstand
Da sich das Objekt quasi in einem guten Rohbau-Zustand befindet, plant Jacobi im Sommer 2013 mit dem ersten Aufgang fertig zu sein. Auch für die Energie-Effizienz sei gesorgt. „Die doppelt gemauerten Wände sind eine hervorragende Wärmedämmung. Das ist eine Qualität, die man heute im Neubau-Bereich kaum noch findet“, sagt Jacobi.
Jeweils 29 Wohnungen und eine Ladeneinheit will er im Block II bauen. „Derzeit haben wir einen Reservierungsstand von 70 Prozent.“ Potenzielle Käufer führt Jacobi durch den entkernten Rohbau in die Musterwohnung im Aufgang Nr. 5. Hier befindet man sich plötzlich in einer anderen Welt. Fußbodenheizung, Parkett, edles Interieur, Blick auf die Ostsee. Zwischen 2.500 und 3.500 Euro werden pro Quadratmeter für die zwischen 60 und 100 Quadratmeter großen Wohnungen fällig.
Angst vor Konkurrenz und Überangebot
In Binz stößt das Projekt nicht nur auf Gegenliebe. Gastronomen und Hotelbetreiber fürchten die Konkurrenz, Bürgermeister Karsten Schneider ein Überangebot an Urlaubsdomizilen: „Ferienwohnungen gibt es an der Ostsee genug und die Übernachtungszahlen sind eingebrochen. Wir versuchen, die Investoren dazu zu bringen, auch Mietwohnungen zu bauen.“
Man hätte das NS-Monument nach der Wende bis auf wenige intakte Teile abreißen lassen müssen, findet er. Doch dafür sei es nun zu spät. 3000 zusätzliche Betten sollen nun in Prora entstehen. Immerhin – aus Sicht des Bürgermeisters – sind es keine 20.000.