Vilnius. Ein Zufallsfund hat das Leben des Litauers Kazimieras Mizgiris verändert: Nachdem er auf ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt gestoßen war, kam ihm die Idee, Bernstein an Touristen zu verkaufen. Heute besitzt der selbsternannte “Bernsteinpapst“ ein eigenes Museum. Sein Schmuck hat sogar adlige Fans.
Kazimieras Mizgiris (52) ist Litauens „Hans im Glück“, aber anders als der Hans in Grimms Märchen, der seinen Goldklumpen verlor, wurde Kazimieras durch das „Gold des Nordens“, den Bernstein, steinreich. „Falsch!“, korrigiert Kazimieras. „Ich bin nicht steinreich. Denn Bernstein ist kein Stein, sondern ein viele Millionen Jahre alter Pinienharzklumpen.“
Wie viele Bernstein-Stücke in seinen Bernstein-Museen und Galerien in Nida an der Kurischen Nehrung und in Litauens Hauptstadt Vilnius lagern, weiß auch der Mann nicht, den man den „Bernstein-Papst“ nennt. Wenn die Busladungen von den Kreuzfahrtschiffen und die Rundreisegruppen seine Museen und Galerien füllen, steht er mitten im Gedränge und beantwortet geduldig immer wieder die Frage, wie alles anfing.
Das Geschäft mit den Tränen der Götter
Eigentlich sei er ja Kunstfotograf, sagt er und zeigt stattliche Bildbände vor. Als er vor 30 Jahren am kurischen Haff nach Fotomotiven suchte, stolperte er an dem endlosen Strand über ein Stück Bernstein, in dem sich eine Fliege als Einschluss („Inklusion“) befand. Er ging weiter und fand einen Bernstein mit einer kleinen Eidechse, dann einen mit einer Spinne. Touristen, denen er seine Funde zeigte, wollten ihm gleich die Brocken abschwatzen. Da kam ihm die Geschäftsidee.
Gleich nach der Unabhängigkeit Litauens von der Sowjetunion, die sämtliche Bernsteinfunde für sich reklamiert hatte, begann Kazimieras mit dem Aufbau seines Bernstein-Imperiums. Heute beschäftigt er 20 Künstler, die aus den unansehnlichen Klumpen funkelnden Bernstein machen. Eine Verkäuferin hält eine Halskette hoch: „Etwas mehr als 8000 Euro.“ Die Kaiserin von Japan und Belgiens Königin gerieten in Kazimieras Reich bereits ins Schwärmen. Schon Homer und Tacitus berichteten über die „Tränen der Götter“.
Manche glauben, dass Bernstein gegen Dämonen hilft
Auf welchen Wegen die viele Millionen Jahre alten Harzklumpen in der Antike in den Süden Europas gelangten, ist bis heute noch nicht wirklich klar. Viele Legenden und Mythen ranken sich um das „litauische Gold“. Dafür steht Janina Andriuskeviciute neben Kazimieras. Sie weiß alles über die Heilkraft des Bernsteins. „Wirkt gegen Kopf-, Hals- und Zahnschmerzen, lindert Nervenleiden, verhilft zur Ruhe, fördert die Potenz. Ein Stück Bernstein unter der Matratze hilft gegen Schlaflosigkeit. Das ist kein Aberglaube.“
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Aber dass Bernstein auch gegen Tumor-Wachstum und gegen Dämonen wirkt, sagt Janina, kann man glauben oder nicht. Nach ihrem Vortrag herrscht Gedränge an der Kasse. Der nächste Umsatzschub ist ab Juli 2013 zu erwarten, wenn Litauen die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und viele Politiker in Vilnius vorbeischauen.
Solche Aussichten erlauben es dem Bernstein-Fanatiker, seine Museen weiter auszubauen und sogar ein Künstlerhaus zu unterhalten. Da können Künstler aus aller Welt zwei Wochen kostenlos verbringen. Sie müssen nur einen Bernstein-Klumpen bearbeiten und ihr Kunstwerk den Museen vermachen.
Daran erkennt man falschen Bernstein
Bernstein ist fast weiß, fast schwarz, goldbraun, rot, selten bläulich – und immer öfter eine Fälschung. „Anders als die Fälschungen aus Kunststoff fühlt sich echter Bernstein warm an. In Salzwasser schwimmt er oben. Eine heiße Nadel dringt in echten Bernstein leicht ein.“ Bernstein wird auch woanders gefunden, z.B. in der Dominikanischen Republik. Aber 90 Prozent der Weltförderung kommen von der Halbinsel Samland.
„Jenseits der Grenze im Süden, in der russischen Exklave Kaliningrad, früher Königsberg, wird Bernstein sogar mit Baggern abgebaut.“ Die jährliche „Ernte“ liegt insgesamt bei mehreren 100.000 Kilogramm. Kazimieras schüttet einen Bernstein-Schnaps ein. „Als Tourist kann man auch heute noch an der Kurischen Nehrung Bernstein finden. Am größten sind die Chancen nach Frühjahrs- oder Herbststürmen, wenn die Klumpen aus dem Sediment gelöst und nach oben geschwemmt werden.“ Dann geht Kazimieras gelegentlich auch heute noch auf Schatzsuche.