Taipeh. Asien-Kennern gilt Taiwan als das ursprünglichere und gleichzeitig modernere China. Die kleine Insel im Chinesischen Meer bietet hohe Gebirge, suptropische Küsten und authentische Kultur. Die Reise beginnt meist in der Hauptstadt Taipeh - eine der faszinierendsten Metropolen Asiens.
Laut krachende Feuerwerkskörper sind schon aus der Ferne zu hören. Schwefelhaltige Wolken und Rauchsäulen steigen über dem Tempelbezirk Taizigong im Bezirk Xinying von Tainan, der ältesten Stadt Taiwans, auf. Aus allen Himmelsrichtungen ziehen Tausende Besucher und Kapellen mit Bläsern und Trommlern zu der Geburtstagsfeier einer im Pantheon Taiwans beliebten Gottheit.
Sie führen mehrere Meter hohe Puppen mit sich, Geister, Dämonen und Tempelwächter, die über den Köpfen der immer stärker anschwellenden Menge taumeln. Aus einzelnen Gruppen lösen sich Männer in Trance. Ihr nackter Oberkörper blutüberströmt: Selbstgeißelung mit Peitschen, Ruten und Schwertern.
"In Taiwan werden bei Tempelfesten religiöse Rituale praktiziert, wie sie in China nur noch im Verborgenen denkbar sind", sagt der in Taiwan lebende Sinologe Jonathan Cobb. Tempelfeste würden das ganze Jahr über zu unterschiedlichen Anlässen gefeiert. Besonders beliebt seien Göttergeburtstage. Im Anschluss an die Tempel-Zeremonien ziehen sich die Familien zu einem stundenlangen Festmahl zurück.
Taiwan ist ursprünglicher und gleichzeitig moderner als China
Asien-Kennern gilt Taiwan als das ursprünglichere und gleichzeitig modernere China, ist die kleine Insel im Chinesischen Meer doch einerseits verschont geblieben von verheerenden Hungersnöten und den Verfehlungen der Kulturrevolution auf dem Festland. So konnte Taiwan chinesische Traditionen, Sitten und Gebräuche bewahren.
Andererseits hat sich die Republik frühzeitig den jeweils aktuellen Herausforderungen wie denen der Industriegesellschaft und des Internet-Zeitalters gestellt. So erlebt der Besucher heute ein Land, das mit seinen Städten und Dörfern, seinen hohen Gebirgen und teils subtropischen Küsten sowie authentischer Kultur weit mehr bietet als den Kontrast von Tradition und Moderne.
Zu den eindrucksvollsten Landschaftszügen Taiwans zählt die Bergregion um Alishan. Die von uralten Wäldern bewachsenen Gipfel ragen bis zu 2.600 Meter auf. Fantastisch sind die Sonnenaufgänge über dem Wolkenmeer, das sich um den Yushan (Jadeberg) windet. Es gibt mehrere Stellen, von denen sich das Naturschauspiel in Ruhe gut beobachten lässt.
Wer allerdings die bekanntesten Fotospots aufsucht, sieht sich am frühen Morgen von Hunderten taiwanesischen Touristen umgeben. Der Spaziergänger muss sich dem Wanderzirkus nicht aussetzen. Einfach eine Abzweigung nehmen, auf der weniger Menschen zu sehen sind, und schon hört man bald nicht mehr als das Rascheln der Blätter im Wind und das Plätschern eines Gebirgsbachs. Die Sinne öffnen sich für Naturphänomene, wie die "Drei-Generationen-Bäume", bei denen ein Baum aus dem anderen wächst.
Taiwans Teesorten zählen zu den besten weltweit
Plötzlich öffnet sich der Wald zu einer Lichtung mit Baumstümpfen und einer Baumgeistpagode. Errichtet wurde sie von den Japanern während der Besatzungszeit. "Sie haben Jahrtausendealte Zedern und Zypressen gefällt und wollten mit der Pagode die entfesselten Baumgeister besänftigen", sagt Cobb. Die Fahrt zurück in subtropisches Terrain führt über Serpentinen vorbei an Teeplantagen, auf denen Pflückerinnen bei der Arbeit sind. Stahlnetze an den steilen Berghängen zeugen von häufigen Erdrutschen und Steinschlägen in dieser Region.
Lukang ist ein idyllischer Ort mit historischem Zentrum südlich der Hauptstadt Taipeh ganz in der Nähe der Westküste. Wohl nirgendwo sonst in Taiwan sind so viele alte, wunderschöne, überreich verzierte Tempel in einem Viertel konzentriert. Der "Palast der Kaiserin des Himmels" zählt zu den eindrucksvollsten Matsu-Tempeln in Taiwan. Matsu ist eine berühmte daoistische Schutzgöttin der Fischer und Seeleute. Nicht weit davon entfernt der prunkvolle Lungshan-Tempel. Er wurde im klassischen Stil der Sung-Zeit zu Ehren von Kuan Yin, der Göttin der Barmherzigkeit, erbaut.
Das Laternen-Kunsthandwerk wird besonders hoch geschätzt
In direkter Nachbarschaft der Glaubensstätten verrichten alte Meister ihr Kunsthandwerk. Die Straßen und Gassen sind von zahlreichen Geschäften und Werkstätten gesäumt, in denen Lackwaren, Porzellan, Skulpturen und Kaligraphien angeboten und hergestellt werden. Besonders hoch geschätzt wird das Laternen-Kunsthandwerk. Farbenprächtig bemalte Laternen erhellen abends die schmalen Gassen, leuchten vor Restaurants und unter Tempeldächern.
Überragt wird die Stadt vom Taipei 101 - mit 508 Metern bis zum Jahr 2007 das höchste Gebäude der Welt. In die moderne Architektur wurden traditionelle Stilelemente aufgenommen. Die Form des Hochhauses entspricht einer sich nach oben verjüngenden Bambusstange, bewacht von Drachenköpfen an den Ecken. Die Fassadengestaltung ist von alten chinesischen Münzen inspiriert.
Nachtmärkte sind ein Spiegel der Alltagskultur
Das Nationale Palastmuseum beherbergt die weltweit größte Sammlung chinesischer Kunstwerke aus fünf Jahrtausenden. Der Wert ist unschätzbar, die Vielfalt kaum beschreibbar. Von den 620.000 Objekten, von denen die meisten Teil der kaiserlichen Sammlung waren, werden aus Platzgründen nur die wertvollsten dauerhaft ausgestellt. Der Großteil von Jadestücken, Porzellanwaren, Gemälden und Bronzen wird regelmäßig ausgetauscht.
Nachtmärkte sind überall in Taiwan zu finden. Nirgendwo ist taiwanesische Alltagskultur so anschaulich und lebendig wie auf diesen Märkten zu erleben. Alleine in Taipeh gibt es mindestens zehn größere Nachtmärkte. Besonders sehenswert ist der Shilin-Nachtmarkt. An Garküchen werden kulinarische Köstlichkeiten zubereitet. Außerdem gibt es Kleidung, Schuhe, Spielzeug und elektronische Produkte. Auch weil Taipeh eine der faszinierendsten Metropolen Asiens ist, beginnen und beenden die meisten Besucher hier ihre Reise durch das Land. Der Gast sollte sich für seinen Besuch aber mehr als nur zwei, drei Tage Zeit nehmen. (dapd)