Kairo. . Nach der Revolution in Ägypten stehen nun im Herbst die ersten offiziellen Wahlen an. Sollte dabei eine streng religiöse Regierung an die Macht kommen, befürchten viele Ägypter einen Einbruch im Tourismusbereich. Ihre Existenzen wären dann bedroht.

Abdul reckt lachend den Daumen in die Höhe. „The day we changed Egypt: 25th January“ steht auf den T-Shirts, die er am Tahrir-Platz in Kairo an den Mann bringen will: „Der Tag, an dem wir Ägypten änderten!“ Und zu den wenigen Touristen, die vorbeigehen, sagt er: „Welcome back!“

Abdul gehört zu denen, die Anfang des Jahres die friedliche Revolution im Norden Afrikas mit ermöglicht haben. Per „social networks“ wie Twitter, Facebook und YouTube waren tausende von Menschen mobilisiert worden. Abdul ist einer von denen, die für das neue Ägypten, ein freies Ägypten, stehen. Bis Anfang des Jahres hatten junge Leute wie er nur einen Machthaber gekannt: Husni Mubarak. 30 Jahre hatte er das Land am Nil regiert – bis zu seinem Sturz am 11. Februar 2011.

Unabhängige Parteien hat es noch nie gegeben

18 Tage dauerte die Revolution. 840 Menschen starben. Für mehr Demokratie. Die Angehörigen haben auch noch Monate nach den Aufständen ihr Lager vor dem staatlichen TV-Sender an der Corniche aufgeschlagen, der Prachtstraße am Ostufer des Nils. Mit Militär und Stacheldraht ist das Gebäude gesichert, das an den Tahrir-Square grenzt, der zu einem der berühmtesten Plätze der Welt geworden ist.

Frauen, Männer, Kinder harren dort aus. Fotos halten sie in die Höhe und selbst gemachte Plakate mit den Namen ihrer Familienmitglieder, die während der Revolte zu Tode kamen. Gerechtigkeit fordern sie, die Verantwortlichen sollen vor Gericht gestellt werden. Sie wollen nicht weichen, bis das erreicht ist. Und jetzt, da zum dritten Mal der Prozess gegen den früheren Innenminister Habib al-Adli verschoben worden ist, bleiben sie erst recht. Ihm wird vorgeworfen, während der Massenproteste Anfang des Jahres Schießbefehl gegen unbewaffnete Demonstranten erteilt zu haben.

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Von DerWesten

Auch Mubarak wollen sie vor dem Richter sehen. Der entmachtete Präsident steht derzeit in einem zivilen Krankenhaus in Sharm el-Sheikh unter Arrest. Seine beiden Söhne sitzen im Tora-Gefängnis bei Kairo in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen alle drei soll im August beginnen.

Gerechtigkeit, Demokratie, Meinungsfreiheit, das sind die Ziele der jungen Leute von Kairo. Auf den Grasflächen mitten auf dem Tahrir-Platz sitzen sie, entspannen, diskutieren. „Das ist neu“, sagt Ossama Hamouda Ammar, Ägyptologe und Reiseleiter. „Das gab es früher nicht.“ Die neue Freiheit. Doch was geschieht wenn im Herbst gewählt wird, wie von der militärischen Übergangsregierung angekündigt? Unabhängige Parteien hat es nie gegeben. Sie sind erst dabei, sich zu konstituieren, in Kairo und auf dem Land. Vor allem auf dem Land. Führungspersönlichkeiten müssen gefunden, Programme geschrieben werden. Wirklich gut organisiert ist nur die Muslim-Bruderschaft, jene islamistisch-fundamentalistische Vereinigung, die besonders auf den Dörfern durch soziales Engagement viele Anhänger hat.

Die Mehrheit will keine religiöse Staatsführung

Sie hatte gleich nach der Revolution die Partei „Freiheit und Gerechtigkeit“ gegründet. Momentan geht man davon aus, dass die Bruderschaft 35 bis 40 Prozent der Stimmen holen könnte.

Doch was, wenn diese Partei die meisten Stimmen erhält? Bei freien Wahlen ist schließlich alles möglich… „Das wird nicht geschehen“, glaubt Tourismus-Unternehmer Mounir Wissa. „Die Mehrheit der Ägypter will keine religiöse Staatsführung.“ Wissa ist Kopte und Teil der christlichen Minderheit des Landes. Dann hält er inne. Und sagt: „Wenn Touristinnen sich nicht mehr so freizügig kleiden dürfen, wie sie möchten, wenn der Alkohol in den Urlauber-Zentren verboten wird, weil das gegen den Islam verstößt, dann kann ich mein Geschäft vergessen, dann wandere ich aus.“

Manchmal scheint – nach der großen Euphorie am Anfang – die bange Erkenntnis durch, dass die Freiheit, für die viele so gekämpft haben, dass diese Freiheit auch Nebenwirkungen haben könnte. Doch soweit ist es in Ägypten noch nicht.

Hier begrüßt man sich am Morgen mit den Worten: „Möge der Tag nach Jasmin duften, schön wie eine Rose sein, hell wie das Licht, nach Milch und Sahne schmecken.“ Seit der Revolution gibt es einen Zusatz: „Und von neuer Freiheit durchflutet sein…“

Männer wie Abdul, die Familien der Getöteten, die Menschen auf der Straße, das spürt man, werden so schnell nicht aufgeben.