Essen. In Neum halten täglich viele Touristen. Sie sind meist auf der Durchreise von Dubrovnik nach Split oder umgekehrt. Doch die meisten Urlauber wissen nicht, dass es sich bei der Stadt um den einzigen Küstenort Bosnien-Herzegowinas handelt.

Prall steht die Nachmittagssonne über der Adria und wirft ihr Licht gegen die steile dalmatinische Küste, an der einer Silberader gleich das Asphaltband der E65 glänzt. In den Reisebussen auf dem Parkplatz vor dem „Shopping Centar Karaka“ sind die Sonnenblenden vor die Fenster gezogen. In ihren abgedunkelten Bussen sind sie auf den Parkplatz gerollt. Und vor der Sonne gleich in die klimatisierte Ladenpassage geflüchtet, wo die Verkäuferinnen bereit stehen – und im Restaurant die portionierten Hackfleischgerichte. Wenn die Busse nach einer Stunde weiterfahren, wird kaum ein Blick hinab ans Meer gewandert sein. Dann hat Bosnien-Herzegowinas einziger Küstenort nur seine abgasvernebelte Oberfläche zeigen können. Wieder mal.

Eine Gaststätte zwischen zwei Grenzübergängen

Es sind Deutsche, Österreicher, Briten, die hier halten, Kroatienurlauber auf der Durchreise von Dubrovnik nach Split oder Trogir oder umgekehrt, von einer Perle Dalmatiens zur andern. Im Gepäck die Erinnerung an verwinkelte Gassen, marmorne Paläste und Kathedralen. Neum dagegen werden sie – wenn überhaupt – als Kuriosum in Erinnerung behalten. Als langgestreckte Raststätte zwischen zwei Grenzübergängen. Wo es billige Zigaretten gab. Essen. Eine Toilette.

Doch an Neum führt kein Weg vorbei. Hier zwängt sich Bosnien-Herzegowina ans Meer, in Form eines zehn Kilometer breiten Korridors, der das kroatische Dalmatien teilt, das südliche Ende um Dubrovnik von Kroatiens restlichem Staatsgebiet abtrennt, zur Exklave macht. Woran Dubrovnik nicht schuldlos ist. Denn es war die damals autonome Stadtrepublik, die den Landstreifen bei Neum 1699 im Frieden von Karlowitz den Osmanen überließ, als Puffer, um sich die im Norden herrschenden Venezianer vom Leib zu halten. Aus der Pufferzone ist eine Einkaufszone geworden. Ein schlagbaumbewehrtes Schnäppchenparadies. Auch wegen der hiesigen Mehrwertsteuer, die sechs Prozentpunkte unter der kroatischen liegt. Zudem sind viele Waren in Bosnien-Herzegowina generell günstiger.

Zum Verwechseln ähnlich

„Einige Durchreisende“, erzählt ein Kellner kopfschüttelnd, „merken gar nicht, dass sie in Bosnien-Herzegowina sind.“ Immer wieder bediene er Gäste, die sich in Kroatien wähnten. „Aber es ist ja auch verwirrend.“ Die Grenzkontrollen seien lax, und dann die vielen Fahnen, die hier flatterten. Mit rot-weiß-blauen Streifen und der Šahovnica, dem rot-weißen Schachbrettmuster des kroatischen Wappens. Es ist die Flagge der herzegowinischen Kroaten, der kroatischen zum Verwechseln ähnlich. 90 Prozent der Bewohner sind kroatischer Herkunft.

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Doch es gibt noch ein anderes Neum: Unterhalb der E65, verborgen im nachmittäglichen Gegenlicht. Wohin Menschen kommen, um zu bleiben. Es sind Urlauber aus Bosnien-Herzegowina, aber auch aus Polen, Tschechien. Urlauber, denen die Unterkünfte in Kroatien zu teuer geworden sind. Die pittoreske Altstädte und wildes Nachtleben entbehren können, wenn nur das Doppelzimmer mit Meerblick in der Hochsaison nicht über 30 Euro kostet. Rund 5000 Gästebetten hat Neum zu bieten. Tendenz steigend.

Kein Quadratmeter Küste ungenutzt

Die Straße in diese Parallelwelt, den Urlaubsort Neum, zweigt von der E65 ab und schlängelt sich bis ans Meer. Mit jedem Schritt hinab schwindet der Fernstraßenlärm, stattdessen ertönen hinter Pinien das Klackern aneinanderprallender Bocciakugeln und die Rufe der Männer vom „Boarski Klub Neum“.

Das Badewasser kann sich sehen lassen. Türkisfarben füllt es eine weite Bucht. Schläfrig schwappt die bosnisch-herzegowinische See auf die schmalen Kiesstrände, nur kleine Motorboote dümpeln hier vor sich hin. An Land dagegen herrscht Enge, bleibt keiner der raren Quadratmeter bosnisch-herzegowinischer Küste ungenutzt. Ein Badetuchmosaik von jungen Paaren oder Großfamilien. Später am Abend tanzen sie hier, nicht in Clubs oder Großraumdiscos, sondern am Wasser unter Lampions und Sternen, zu Rocco Granatas „Marina“, im Halbplayback dargeboten von einem Musikerduo. Spätestens jetzt scheint es, als habe hier wie in einem Reservat eine Urform von Urlaub überlebt, als sei Neum ein Hort der hohen Kunst, die Urlaubszeit in die heitersten Stunden des Jahres zu verwandeln.

Oben, an der E65, sind die Supermärkte mittlerweile geschlossen, was ein Vorgeschmack sein könnte auf die Ruhe kommender Jahre. Denn wenige Kilometer vor dem nördlichen Grenzübergang hat Kroatien mit dem Bau einer riesigen Brücke begonnen. Sie wird hinüberführen auf die kroatische Halbinsel Pelješac, die vom Gebiet um Dubrovnik gen Nordwesten ragt. Wie eine Spange soll die Brücke in einigen Jahren das kroatische Staatsgebiet verbinden. Dann wird der Transit durch Bosnien-Herzegowina unnötig, kann man einen Bogen um Neum machen. Muss man aber nicht.

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