Nowa Huta. . Mit dem Trabi raus aus Krakau: Auf der “Communist Tour“ geht es mit den “Crazy Guides“ durch die Trabantenstadt Nowa Huta. Eine polnische Geschichtsstunde zwischen sozialistischem Mief, neuem Chic und einem lädierten Lenin.
Rein in den Trabi, raus aus Krakau! In dem Moment, in dem man sich auf die rot-schwarz gestreiften Plüschbezüge des 25 Jahre alten DDR-Mobils fallen lässt, endet der gemächliche Teil eines Krakau-Besuches. Der Motor röhrt, die Karosserie holpert über die Schlaglochstraßen, und unsere Köpfe nicken im Takt wie Wackeldackel. Eric, unser rastagelockter Fahrer, saugt genussvoll die abgasgeschwängerte Luft ein. „Ein Teil der Abgase wird ins Wageninnere geleitet“, grinst er breit. „Das macht high! Einer der Gründe, warum Leute so gerne Trabi fahren.“
Wir sind unterwegs auf einer „Communist Tour“ mit einem von fünf „Crazy Guides“ – unterwegs in das Viertel Krakaus, das es den Crazy Guides besonders angetan hat: Nowa Huta. Zwischen 1949 und 1959 wurde die riesige Trabantenstadt als sozialistische Mustersiedlung aus dem Boden vor den Toren Krakaus gestampft, Wohnraum für 100 000 Menschen plus Polens größtes Stahlwerk. Ästhetisch hat die Nowa Huta noch erfreulich wenig mit den späteren Plattenbaumonstrositäten zu tun. Mit ihren Zinnen, Torbögen und dem ziselierten Fassadenschmuck bezieht sich die Architektur auf das Stadtbild der in Polen prominent vertretenen Renaissance.
In Sekundenschnelle zurück in den sozialistischen Mief
Tuckernd kommt unser Trabi vor dem Restaurant „Stylowa“ zum Stehen, das sich am Anfang des Hauptboulevards von Nowa Huta befindet, der „Solidarnosc-Allee“, wie sie heute heißt. Stylisch ist das Lokal auf seine Weise: Eric hat uns echten sozialistischen Mief versprochen, und wir bekommen ihn: Trotz der großen Fensterscheiben liegt das 1956 eröffnete Restaurant hinter fingerdicken Vorhängen im Halbdunkel, düsterer Plüsch, Jahrzehnte alte Topfpflanzen und abgewetzte Tischdecken transportieren uns in Sekundenschnelle zurück in die Zeit vor dem Mauerfall.
Doch wir werden freundlich begrüßt. Leona Michalek, Bedienung mit Ostblock-Kurzhaarfrisur und Kittelschürze, kennt Eric und seine Gäste mittlerweile. Und nein, sie fühle sich nicht wie im Zoo, Eric und seine Kollegen ist es hier wie an anderen Orten in Nowa Huta gelungen, durch reale Lebenswelten zu führen, ohne deren Bewohnern auf die Nerven zu fallen.
Mehr als ein ironisches Spielchen
Das liegt vor allem daran, dass die Tour durch Nowa Huta mehr ist als ein ironisches Spielchen, in dem die Relikte der Vergangenheit als Retro-Lifestyle-Material bespöttelt werden. Eric erzählt von der Geschichte Nowa Hutas – wie die heute grauen Gebäude in den 1950er Jahren modern und licht wirkten, wie wenig die anfangs eher bäuerlichen Bewohner sich in ihnen zurechtfanden. Und wie sehr die Hoffnung auf eine lichte sozialistische Zukunft trog: Spätestens in den 1980er Jahren waren die Regale in den für polnische Verhältnisse so eleganten Ladenlokalen Nowa Hutas ebenso leer wie auch sonst überall in Polen. Das waren die Jahre, in denen sich auch im realsozialistischen Nowa Huta die Arbeiterkräfte in Richtung einer ganz anderen als die vorgegebene Gesellschaftsordnung orientierten: 29 000 der 38 000 Arbeiter im Stahlwerk waren Solidarnosc-Mitglieder.
Zudem verlangte die Bevölkerung von Nowa Huta schon seit Beginn der 1960er Jahre vehement nach einem Gebäude, das im Plan der „Idealstadt“ nicht vorgesehen war: einer Kirche. Zunächst wurde ein Holzkreuz auf freiem Feld zum Ort für Gottesdienste, schließlich wurde 1966 die Kirche Arka Pana – „Arche des Herrn“ – gebaut.
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Der lädierte Lenin ist Symbol einer angreifbar gewordenen Ordnung
Vom „Stylowa“ aus schlendern wir mit Eric über den großzügigen Fußgänger-Boulevard zum Lenin-, pardon, Zentral-, pardon: Ronald-Reagan-Platz, wie er seit 1994 heißt. In den 1980er Jahren war er Schauplatz zahlreicher Demonstrationen. Ein Anschlag auf die damals alles beherrschende Lenin-Statue misslang halb und sprengte nur den linken Fuß des Revolutionärs weg. Immerhin, der Schaden wurde nicht richtig repariert, der lädierte Lenin so zum Symbol einer angreifbar gewordenen Ordnung.
Sternförmig gehen vom Platz aus Alleen ab, am fernen Ende der prächtigsten Achse sieht man den „Vatikan“ – ein hoher, ebenfalls Renaissance-Deko bewehrter Gebäudekomplex, hinter dem sich das Allerheiligste von Nowa Huta verbirgt: das Stahlwerk.
Nowa Huta beginnt langsam wieder chic zu werden
Die Geschäfte in den Arkaden rund um den ehemaligen Lenin-Platz strahlen auch heute noch jene seltsame Mischung aus bourgeoisem Ambiente und bescheidenem sozialistischem Alltags-Anspruch aus. Das Stoff- und Bekleidungsgeschäft versprüht mit seinen großen Schaufenstern und dem eleganten Mobile aus Kugel-Hängelampen einen erstaunlichen Charme. Im Innern wartet es mit hölzernen Kassettendecken und geblümten Seidentapeten auf – und einem neuen und aktuellen Sortiment. Zu den üblichen Stoffen und Kleidern bietet die ältere Verkäuferin eine Kollektion Streetart-T-Shirts an. Das lokale Designerlabel „Unicut“ versteht es, die Geschichte des Stadtteils stilsicher und sexy aufzubereiten.
Die Kollektion ist einer von zahlreichen Hinweisen darauf, dass Nowa Huta allmählich beginnt, wieder chic zu werden. Vorerst gibt es hier eine seltsame Allianz zwischen alteingesessen und neu, man beäugt sich halb skeptisch, halb wohlwollend. Künstler, Fotografen, Schauspieler, Musiker – die Zuwanderung aus dem beschaulichen, aber als eng und spießig empfundenen Krakau hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Gut, dass Eric und seine Genossen beizeiten eine traditionelle Arbeiterwohnung vor den neuen Bohemiens gerettet haben. Das gelassene Apartment ist der Endpunkt der „Communist Tour“ – eine weitere Zeitblase, die mehr als alle Fotografien Aufschluss über die Lebensverhältnisse und die Atmosphäre vor 30, 40 Jahren geben kann. Die Wohnung befindet sich in einem der typischen Innenhöfe des Viertels. Etwas verwildert und struppig bilden sie einen angenehmen Kontrast zur Spiegelsymmetrie der Gesamtanlage. In der Muster-Wohnung dominieren vergilbtes Plastik, Blümchentischdecke und Nylon-Spitzengardinen. In der Küche stoßen wir dann mit Wodka an.
Gereckte Faust, bizarre Grimassen, Arbeiter-Kraftmeier-Posituren
Eric, zwischenzeitlich etwas abgeschlafft, rafft sich danach zu neuen Witzen und „Crazy“-Posen auf – und kann gar nicht mehr aufhören. Auf dem Rückweg zum Trabi bricht es aus ihm heraus, gereckte Faust, bizarre Grimassen, Arbeiter-Kraftmeier-Posituren, das Repertoire scheint sich zu verselbstständigen. „Oh, Mann, ich glaube, ich mache das einfach schon zu lange“, stöhnt er. Aber – Crazyness muss sein, sie ist das Erfolgsrezept.
Auf dem Rückweg von Nowa Huta nach Krakau kommen uns noch weitere Trabis entgegen, vollgestopft mit neugierigen Gästen. Trabi-Hupe, Arbeiterfaust – die Touris folgen den Signalen.