Der Nationalpark Berchtesgaden ist ein Touristenmagnet. Aber viele Besucher bekommen nur flüchtig mit, was er alles zu bieten hat. Wer das herausfinden möchte, muss hoch hinaus. Das kann wehtun, aber auch Glücksgefühle auslösen.
Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung. Um halb acht sieht es in Schönau am Königssee schon anders aus. Da ist die Schlange vor dem Ticketschalter für das erste Ausflugsschiff bereits lang.
Viele Touristen belassen es bei einem Törn zur Halbinsel St. Bartholomä mit ihrer kleinen Wallfahrtskirche. Für Hansi Stöckl geht es dort erst richtig los. Stöckl ist Bergführer und will seiner Gruppe zeigen, was die meisten der rund 1,6 Millionen Besucher pro Jahr im Nationalpark Berchtesgaden nur flüchtig und aus der Froschperspektive mitbekommen: die alpine Natur im zweitältesten Nationalpark Deutschlands, der in diesem Sommer 40 Jahre alt wird. Deswegen ist die Wallfahrtskirche für Stöckl nur ein Zwischenstopp auf dem Weg ganz nach oben. Erstes Etappenziel: Kärlingerhaus und Funtensee.
Jede Anstrengung wird belohnt
Tiere, die viele nur aus Dokus im dritten Programm kennen, sind im 210 Quadratkilometer großen Nationalpark noch zu Hause: Steinadler, Murmeltiere. Und am Wegesrand steht plötzlich eine Gämse, die sich nicht sicher ist, was sie von den Wanderern zu halten hat und mit einem Sprung auf den Hang ins grüne Dickicht verschwindet.
40 Jahre Nationalpark Berchtesgaden
Aber der Nationalpark ist kein Ponyhof. Auf dem Weg nach oben gibt es die eine oder andere Hürde, zum Beispiel die Saugasse. Auf dem Streckenabschnitt mit mehr als 30 Kehren geht es vergleichsweise steil über 350 Höhenmeter hinauf. Das schmerzt - spätestens der anschließende Muskelkater in Waden und Oberschenkeln.
Aber jede Anstrengung wird belohnt. Und irgendwann ist dann nach gut fünf Stunden Aufstieg das Kärlingerhaus zu sehen, die Hütte des Alpenvereins auf 1630 Metern, in der die Übernachtung geplant ist. Links und rechts davon liegen die Gipfel der Berchtesgadener Alpen und davor der Weg, der sich durchs Wiesengrün bis vor die Hüttentür schlängelt. Ganz still ist es hier oben, die Wolken stehen bewegungslos.
Schnaps aus Enzian
Nur ein kleines Stück hinter dem Kärlingerhaus ruht der Funtensee, berühmt als der kälteste Punkt Deutschlands: schwer vorstellbare minus 45,9 Grad wurden hier 2001 gemessen, allerdings im Dezember. Im Sommer hat der See auch nicht gerade Badewannentemperatur.
Lukas Schöbinger hat den Funtensee fast direkt vor der Haustür. Der 21-Jährige verbringt nach seiner Ausbildung erstmals den Sommer hier oben in einer Hütte aus dem Jahr 1841. Er interessiert sich für Schnaps - und zwar für richtig hochprozentigen. Schöbinger ist von Beruf Destillateur, er arbeitet bei Grassl . Das Traditionsunternehmen in Berchtesgaden hat seit dem 17. Jahrhundert das Recht, Enzian zu brennen. Und dafür oben in den Bergen die Wurzeln der Pflanze auszugraben, die für die Schnapsherstellung unverzichtbar ist.
Schöbinger bleibt für gut sieben Wochen auf der Brennhütte, vor allem der Wurzeln wegen. "Enzian ist die bitterste Pflanze der Welt", sagt er. "Den lassen auf der Alm sogar die Kühe stehen." Aber in der Wurzel ist Fruchtzucker, und daraus lässt sich Schnaps destillieren.
Gipfelkreuz steht in 1886 Metern Höhe
Im Kärlingerhaus herrscht am nächsten Morgen Aufbruchstimmung. Auch Stöckl will früh los zur Gipfelwanderung auf den Feldkogel, der in knapp einer Stunde zu erreichen ist. Der Funtensee liegt ruhig im Schatten. Die Sonne steht noch tief.
Und so geht es durch die morgendliche Alpenlandschaft bergauf in Richtung Gipfel, vorbei am satten Grün der Alpenwiesen. Das Gipfelkreuz steht in 1886 Metern Höhe, und der Blick von oben ins Tal fällt weit über den Königssee. Die Kirchtürme von St. Bartholomä sind zu sehen, ganz hinten die Häuser von Berchtesgaden. Über allem ragt der nahe Watzmann sogar mehr als 2700 Meter in den Himmel. (dpa)