Essen. Welterbe-Buchen, Weltklasse-Seen und Weltenbummler-Vögel: All das lässt sich perfekt erleben an einem Tag im Müritz-Nationalpark.

Kurz nach zehn hält der Regionalexpress in Kratzeburg. Bis zur Kanustation sind es nur knappe zehn Minuten Fußmarsch. An diesem Morgen sind wir die ersten, die bei Kanu-Hecht ein Boot besteigen und Kurs nehmen auf die Wasserlandschaft des Müritz-Nationalparks. Beziehungsweise eines klitzekleinen Teils davon. Drei Stunden müssen reichen für eine Schnuppertour im Gebiet der Havelquellseen. Profis hingegen paddeln auf Tagestörns gern schon mal die 23 Kilometer gen Süden bis zur Nationalparkgrenze und ganz Hartgesottene in ein paar Tagen sogar bis Berlin.

Paddeln, Schweigen, Genießen

Martin Kaiser, der sich im Park um die Infrastruktur kümmert, steuert den Canadier zunächst auf den Käbelicksee, in dem sich bei null Wind und Sonne satt weiße Wölkchen ganz allerliebst im glasklaren Wasser spiegeln. Dann wird es kurzzeitig duster: Die Verbindung zum Granziner See gleicht einem romantischen Spreewaldfließ. Mit dichtem Spalier aus Schwarzerlen, mit Brückenröhre inklusive Fischotter-Laufsteg und mit weit übers Wasser ragendem Geäst, das manchmal nur bootsbreit Durchfahrt gewährt.

Auffällig: Nirgendwo gibt es Baumbiss- oder Burgenbauspuren. „Kein Wunder“, erklärt Kaiser, „der Biber hat es bisher nicht in diesen Teil des Nationalparks geschafft“. Zum Aussetzen angeboten habe man ihnen die nimmermüden Nager schon häufiger. „Aber wir lehnen stets dankend ab. Nicht nur wegen möglicher Schäden. Auch aus dem Nationalparkgedanken heraus, dass sich die Natur von selbst und ohne Fremdeinwirkung entwickeln soll.“

Auf dem Granziner See – eine weitere Wasserperle mit einer idyllischen Halbinsel – berichtet der Experte von See- und Fischadlern, von denen jeweils gut ein Dutzend Paare im Nationalpark brüten. Schwärmt von den „Vögeln des Glücks“, die wir später noch reichlich sehen werden. Erzählt von Milanen, Haubentauchern, Rohrdommeln, Eisvögeln und diversem anderen Feder- und Fellgetier, das in den streng geschützten Gewässern, Wäldern und Mooren des Nationalparks ideale Lebensräume vorfindet. Der Rest ist Paddeln, Schweigen und Genießen.

Danach geht es mit dem Zug zurück nach Neustrelitz und mit dem Bus weiter nach Zinow. Im östlichen Teil des Nationalparks wandern wir nach Serrahn zum offiziell größten Schatz der Region. Seit 2011 gehören fünf deutsche Waldgebiete zum Welterbe der Menschheit und genießen damit den gleichen herausragenden Status wie der Yellowstone-Nationalpark, die Victoriafälle oder Darwins Galápagos-Arche. Die Unesco würdigte damit den außergewöhnlichen und universellen Wert der „Alten Buchenwälder Deutschlands“ – als Ökosysteme, „die das Erscheinungsbild eines ganzen Kontinents in weltweit einzigartiger Weise geprägt haben“.

Auch der Buchenwald von Serrahn ist so ein einmaliger Lebensraum für Pflanzen, Vögel, Kleinsäuger und Insekten – die Zahl allein der Käferarten in Buchenwäldern wird auf mehrere hundert geschätzt. In alten Baumriesen und abgestorbenen Totholzstämmen wohnen Rote-Liste-Sorgenkinder wie die Mopsfledermaus, Käfer-Notfälle wie der Eremit, Schmarotzer-Pilze wie der Buchen-Schleimrübling und zahllose andere Insekten, Pilze, Flechten und Moose.

Aber auch für den Menschen waren Buchenwälder stets überlebenswichtig – hier holte er Bau- und Brennholz, sammelte Beeren und Pilze, ging auf die Jagd, weidete das Vieh. Und bis heute prägt die Buche auch unsere Kultur: Sie ist nicht wegzudenken aus Märchen und Sagen. Auf sie gehen Worte wie Buch oder Buchstabe zurück. Rund 1500 Orte in Deutschland tragen die Buche im Namen. Und nicht zuletzt sind Buchenwälder unersetzlich als Erholungsraum.

Auf dem „Wald-Erlebnis-Pfad“ pirschen wir uns heran an den Schatz. Passieren Adlerausguck, Kesselmoor und den ebenso verwunschenen wie märchenhaften Schweingartensee. Hören in der Lauschecke – einem ausgehöhlten Baumstumpf – tief in uns und die Natur hinein. Blicken von der Waldhängematte nackenschonend und kontemplativ in die Baumwipfel. Sehen Pilze an Bäumen, blühende Moorpflanzen und Frösche, die über den Waldweg hopsen.

Nach fünf Kilometern haben wir den Rand des Welterbes erreicht – Buchen über Buchen, die mit allerlei raffinierten Tricks dafür sorgen, dass Kiefern, Birken und Eichen neben und unter ihnen keine Überlebenschance haben. Sehr tief hinein freilich geht es nicht, „das wäre in dem kuppigen und unübersichtlichen Gelände schlicht zu gefährlich“, betont Martin Kaiser mit Nachdruck. Am Erlebniswert ändert das nichts – die Ehrfurcht vor diesem alten und unberührten Wald wird eher noch größer.

Die letzte Etappe startet in Waren (Müritz). Dort fahren wir mit dem Nationalparkbus nach Federow. Ein Grüppchen hat sich an der Nationalpark-Info eingefunden, das scharf ist auf ein besonderes Schauspiel. Showbühne ist der zwei Kilometer entfernte und gänzlich von Wald- und Schilfgürteln umschlossene Rederang-See, die Zuschauer-Loge ein großer überdachter Ausguck mit freier Sicht nach vorn. Dann heißt es warten und schweigen. Keiner redet – allein diese langen Minuten unverhoffter Stille und tiefen Friedens in reinster Natur sind das Vergnügen schon wert.

Kranichstaffel fliegt ein

Das ändert sich erst, als die Hauptdarsteller peu a peu einfliegen und sich schon lautstark ankündigen, bevor sie ins Blickfeld geraten. Zwischen sieben und acht Uhr schwebt Kranichstaffel um Kranichstaffel ein – mal in kleiner Schar, mal in großer Formation, mal in tanzen-der Kette, mal als perfekter Keil – immer jedoch kräftig trompetend und spektakelnd. Ein tolles Naturschauspiel, das von Ende September bis Mitte Oktober sein fulminantes Finale erlebt. Dann nämlich tanken hier um die 10.000 Kraniche auf für den Weiterflug gen Süden und machen Mega-Rabatz – optisch und akustisch.

>>> Informationen und Kontakt

Anreise: Mit der Bahn nach Waren, Neustrelitz, Kratzeburg, Neubrandenburg, Wesenberg oder Mirow, weiter mit Linienbussen. Mit Pkw entweder über A19 (Abfahrt Röbel oder Waren), oder A20 (Abfahrt Friedland) in die Mecklenburgische Seenplatte und den Müritz-Nationalpark.

Müritz rundum: Übernachtungsgäste in Waren (Müritz), Klink, Röbel/Müritz und Rechlin erhalten nach Entrichten ihrer Kurabgabe eine Gästekarte. Damit können Sie die Linienbusse rund um die Müritz kostenlos nutzen.
www.mueritz-rundum.de

Kontakt: Tourismusverband Mecklenburgische Seenplatte, Telefon 039931/53 80,
www.mecklenburgische-seenplatte.de
www.mueritz-nationalpark.de
www.auf-nach-mv.de