Frankfurt am Main. . Die Reisebranche hat es derzeit mit Turbulenzen zu kämpfen. Sören Hartmann, Chefstratege der DER Touristik spricht über kleine und große Krisen.
Die Reise-Welt spielt verrückt. Air Berlin ist pleite, in Düsseldorf herrscht am Flughafen seit Wochen Chaos bei den Sicherheitskontrollen, in Hamburg bei der Gepäckauslieferung. Dazu die Krise in der Türkei, die allgemeine Terror-Lage und dann auch noch die schlimmen Hurricanes in der Karibik. Alles halb so wild, sagt Sören Hartmann, CEO der DER Touristik Group.
Herr Hartmann, sind Sie eigentlich noch ein Touristik- oder doch eher ein Krisen-Manager?
Sören Hartmann: Es ist schon viel los, das ist richtig. Die Themen sind alle nicht schön, aber sie haben prinzipiell nichts miteinander zu tun. Daher betrachten wir sie als einzelne Herausforderungen und meistern sie entsprechend. Was Air Berlin angeht bin ich froh, dass die Politik ein plötzliches Grounding verhindert hat. Selbst wenn dies den Steuerzahler im Nachhinein Geld kosten könnte, die Entscheidung war im Sinne der Kunden richtig.
Die Air Berlin Insolvenz dürfte für ihr Unternehmen sehr teuer sein?
Hartmann: Ja, das tut uns weh. Gleichzeitig ist dieser Vorgang eine wertvolle Werbung für uns als Reiseveranstalter. Wir können einmal mehr sehr eindrucksvoll beweisen, wie wertvoll und sinnvoll eine Buchung über einen Reiseveranstalter ist. Während selbstorganisiert Reisende ihr Geld für die bereits bezahlten Tickets verloren haben, erhalten unserer Gäste von uns eine Ersatzbeförderung ohne jede Zuzahlung. Wir kümmern uns. Und wir sichern jede gebuchte Reise ab.
Die Zahlungsunfähigkeit von Air Berlin, das Chaos an den Flughäfen, hat ja nicht zuletzt seine Ursache darin, dass Urlauber nur noch billig unterwegs sein wollen. Zahlt der Verbraucher die Zeche für den eigenen Geiz?
Hartmann: So weit würde ich nicht gehen. Es gibt im Airline-Markt Überkapazitäten. Der Wettbewerb ist hart, daraus entsteht natürlich Kostendruck. Zur Situation an den Flughäfen: Hier ist es Aufgabe der Flughafenbetreiber, schnellstmöglich im Sinne der Kunden für Abhilfe zu sorgen.
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Kommen wir zur Krise in der Karibik. Eine so schlimme Hurricane-Saison gab es schon lange nicht mehr.
Hartmann: Das ist richtig. Trotzdem ist dies eine Situation, auf die wir routinemäßig vorbereitet sind und die wir entsprechend professionell managen. Wir haben gerade tausend Gäste evakuiert und dann nach und nach geordnet ausgeflogen. Das hat hervorragend funktioniert. Hier zeigt sich erneut der enorme Vorteil, wenn man bei einem großen, renommierten Reiseveranstalter bucht. Bei dem ganzen Chaos auf der Strecke geblieben sind einmal mehr diejenigen, die auf eigene Faust gereist sind.
Die angespannte Lage zwischen Deutschland und der Türkei hat zu einem Einbruch der Gästezahlen geführt – und es ist keine Besserung in Sicht. Ärgern Sie sich über die Aussagen der Politiker hüben wie drüben?
Hartmann: Der verbale Schlagabtausch zwischen den Regierungen hat enorme Auswirkungen auf das Reiseverhalten der deutschen Verbraucher. Insofern macht uns das schon große Sorgen. Besonders wichtig erscheint mir, dass das neutrale Instrument der Reisewarnungen und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes auf keinen Fall politisch instrumentalisiert werden darf. Ein Sicherheitshinweis muss die Sicherheit im Land beschreiben, sonst nichts. Wenn er, wie aktuell bei der Türkei, für politische Botschaften und Forderungen genutzt wird, verliert der Sicherheitshinweis seine Glaubwürdigkeit. Ganz normale Touristen können nach unserer bisherigen Erfahrung auch 2017 in der Türkei normal Urlaub machen. Die Festnahmen deutscher Journalisten oder Menschenrechtler heiße ich keinesfalls gut, aber hier geht es nicht um die Millionen Deutschen, die zur Erholung in die Türkei reisen wollen und dies auch weiterhin tun. Wem eine Beziehung zur Gülen-Bewegung unterstellt wird, der hat bei einer Türkei-Reise offenkundig ein Problem. Das gilt nicht für den Durchschnittsurlauber. Daher ist die Forderung nach einer Reisewarnung falsch. Eine Reisewarnung hieße: Kein Deutscher reist mehr in die Türkei und alle Deutschen, die in der Türkei sind, werden rausgeholt. Angesichts der aktuellen Sicherheitslage wäre das absurd.
Was wäre denn, wenn deutsche Urlauber bald in der Türkei nicht mehr ihre gewohnten Zeitungen lesen oder sich nicht mehr frei äußern dürften?
Hartmann: Dann wäre aus meiner Sicht eine Grenze überschritten. Jeder Gast muss sich in seinem Urlaub normal verhalten dürfen. Die finale Bewertung einer solchen Entwicklung gehört aber einzig und alleine in die Hände des Auswärtigen Amtes.
Wo sind die positiven Aspekte der augenblicklichen Situation?
Hartmann: Da kann ich sehr viele ausmachen. Zunächst ist es doch bemerkenswert, dass trotz der angesprochenen Rahmenbedingungen der organisierte Reisemarkt in Deutschland weiter wächst. Wir schaffen es also offenbar, unserem Kunden Alternativen zu bieten, die er akzeptiert und wertschätzt. Der Kunde ist insgesamt flexibler geworden und ist zunehmend auch bereit, etwas mehr Geld, beispielsweise für ein alternatives Reiseland, auszugeben. Als sehr positiv empfinde ich auch die sehr gute Entwicklung Griechenlands. Hier verzeichnen wir so viele Buchungen wie nie zuvor. Wer hätte das noch vor zwei Jahren gedacht. Ebenfalls positiv: das klassische Reisebüro ist keineswegs tot, im Gegenteil, unsere Reisebüros laufen aktuell besser denn je. Die persönliche Beratung ist gefragt wie nie zuvor.
Als Chef der Reisesparte der REWE Group verantworten Sie das Touristik-Geschäft in 14 europäischen Quellmärkten. Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten haben die Europäer beim Reisen?
Hartmann: Eigentlich gibt es nur eine einzige Gemeinsamkeit. Jeder Gast, egal aus welchem Land, benötigt vor Ort im Reiseland eine vernünftige Betreuung. Entsprechend lösen wir dieses organisatorische Thema auch zentral, zum Vorteil aller. Darüber hinaus gibt es fast nur Unterschiede. Daher agieren wir in jedem Land sehr marktspezifisch.
Zum Beispiel?
Hartmann: In Skandinavien gibt es im Prinzip keine Reisebüros mehr, in Großbritannien setzen wir dagegen auf regelrechte Reisemanufakturen mit persönlichen Reiseberatern, die sich exzellent in den Reiseländern auskennen. Ebenfalls in Großbritannien sehen wir, dass es neben den Massenanbietern extreme Spezialisten gibt, die außerordentlich erfolgreich sind. Dieser Trend wird auch in Deutschland zunehmend spürbar und darauf stellen wir uns ein. Mit unserem Bausteinveranstalter Dertour haben wir viele Spezialisten unter einem Dach. Wir sind also gut gerüstet. Dennoch kann ich mir gut vorstellen, weitere Spezialisten selbst aufzubauen. Prinzipiell bin ich der Meinung, dass es künftig noch mehr Marktnischen für spezielle Reisen geben wird.
Auch Platz für eigene Hotels? Die Tui, Alltours und FTI investieren massiv und kaufen eine Hotelimmobilie nach der anderen. Sie sind das sehr zurückhaltend. Warum?
Hartmann: Für uns ist es eben wichtig, den Kunden die maximale Auswahl zu bieten. Aktuell haben wir 40.000 unterschiedliche Hotels im Programm. Per se brauchen wir keine Hotels im Eigentum. Exklusive Hotels kann man sich auch durch Franchise- oder Management-Verträge absichern. Lediglich in Regionen, die sehr stark nachgefragt sind, denken wir über punktuelle Zukäufe nach, um uns auf diese Weise exklusive Kapazitäten zu sichern. Im Kern bleiben wir aber ein Vermittler.
Neben der Dachmarke DER Touristik unterhalten sie viele unterschiedliche Reisemarken. Wäre es nicht sinnvoller, nur noch auf eine einzige, große Marke zu setzen und diese dann auch entsprechend zu pflegen. So wie die Tui es machen will?
Hartmann: Wir haben große und sehr wertvolle Marken in 14 europäischen Ländern. Darauf sind wir stolz und wir pflegen diese auch. So bekommt Meier’s Weltreisen in Kürze einen neuen Auftritt, nachdem wir Dertour gerade neu ausgerichtet haben. Perspektivisch wird die Marke für den Kunden aber eine geringere Rolle spielen, davon bin ich überzeugt. Es geht zunehmend um Funktionalität und das richtige Angebot. Wie können wir dem Kunden vor seiner Entscheidung noch viel besser zeigen, was ihn auf seiner Reise erwartet? Wie können wir ihn für ein Land begeistern und wie machen wir seine Reise so einfach, sicher und unvergesslich, wie möglich?. Genau darauf konzentrieren wir uns. Hier müssen und werden wir unsere Hausaufgaben machen, statt alles auf eine große Marke zu setzen.