Vor 500 Jahren wird die Stadt Jüterbog zur Verkaufstelle für Ablassbriefe. Das führt bei Martin Luther zu Unmut und er verfasst seine 95 Thesen.

Bernhard Gutsche ist gefährlich. Denn liebend gern entführt er seine Gäste. Fesselt sie und schlägt sie in Bann. Mit Inbrunst und mit Leidenschaft. Seine Stricke sind Worte und Geschichten, seine Nägel Altäre und Skulpturen. Mit ihrer Hilfe entwirft er so bunte und plastische Panoramen, dass man mitten drin zu stecken meint – in Fegefeuerpein und Himmelfahrtsglorie. Kurzum: im zutiefst frommen Leben am Vorabend der Reformation.

Das Mittelalter als "schöner tropischer Garten"

Gleich zu Beginn räumt er auf mit dem Vorurteil, das Spätmittelalter sei kalt und düster gewesen. Gutsche sieht es vielmehr als schönen tropischen Garten, der nur komplett überwuchert gewesen sei. Dessen Wege nicht mehr zu erkennen wären und an dessen Beete man nicht mehr herankomme. „Und was machen nun die Reformatoren? Sie schneiden knallhart zurück. Mit einem unheimlich scharfen Werkzeug. Denn sie haben einen Plan im Kopf, wie die Wegestruktur aussehen muss – um wieder ernten zu können.“

Gutsche ist Pfarrer der Nikolaikirche zu Jüterbog. Einer Kleinstadt im südlichen Brandenburg, die vor exakt 500 Jahren einen höchst bedeutsamen Abdruck in Welt- und Kirchengeschichte hinterließ – als unmittelbarer Auslöser für die Thesen des Martin Luther. Anno 1517 nämlich macht der Dominikanermönch Johann Tetzel Station in Jüterbog. Ein begnadeter Redner, dessen aufsehenerregende Predigten große Mengen von Gläubigen anlocken.

Seine Schafe in Jüterbog – das wurmt Luther

In Jüterbog soll der gewiefte Verkäufer einen Ablass unter die Leute bringen, der möglichst schnell möglichst viel Geld zum Bau des Petersdoms in Rom in die Kassen der Kirche spült. Der fette Köder ist ein allerhöchster, weil päpstlicher Ablassbrief, mit dem man die Verbüßung von Reinigungsstrafen im Fegefeuer nicht nur verkürzen, sondern sogar ganz umgehen kann, also direkt und ohne schmerzhafte Umwege ins Paradies gelangt. Unter anderem.

Dieser attraktive „heilige Handel“ zieht Gläubige in Scharen nach Jüterbog. Selbst aus dem nahen Wittenberg kommen sie gepilgert. Das nun bringt Martin Luther, der in Wittenberg predigt und lehrt, gehörig auf die Palme. Seit längerem schon wettert er wider den Missbrauch von Ablässen, aber dass nun die Schafe aus seiner eigenen Herde in Jüterbog fremd weiden, wurmt ihn gewaltig. Und mehr noch: Dass sie ernsthaft glauben, aller Sünden ledig zu sein für ein paar Gulden und durch einen Fetzen Papier, setzt dem Ganzen die Krone auf. Empört schreibt er seine 95 Thesen und schlägt sie an der Schlosskirche zu Wittenberg an. So geschehen am 31. Oktober 1517. Und so die Legende.

Leben, wie zur Zeit der Reformation

Was also läge näher, als Jüterbog zum 500. Jubiläum der Reformation und im Lutherjahr 2017 zu positionieren als „Stadt des Anstoßes der Reformation“? Ein Thema, bei dem Bernhard Gutsche sofort wieder Feuer und Flamme ist: „Wir wollen nicht zeigen, was die Reformation ist – das können die anderen besser –, sondern wir wollen die Zeit zeigen, in der die Reformation geboren wurde. Wir sind der Vorspann, den man braucht, um die Reformation zu verstehen. Ein Ort in der Nähe Wittenbergs, wo man vor allem die Geisteswelt zeigen kann, in der die da früher gelebt haben.“

Welche Rolle etwa klösterliches Leben zu jener Zeit spielte und wie es funktionierte, lässt sich hervorragend in Kloster Zinna vor den Toren Jüterbogs nachvollziehen. Von diesem einst reichen geistigen und wirtschaftlichen Zentrum im Fläming zeugt etwa die Klosterkirche, eine im norddeutschen Raum einzigartige Granitsteinbasilika. Das Konversenhaus, in dem die Laienbrüder lebten. Das Gäste- und Siechenhaus, in dem heute der legendäre Kräuterlikör „Zinnaer Klosterbruder“ fabriziert wird. Und das Klostermuseum, das in der einstigen Residenz der Äbte von Zinna über Arbeit und Gebet, Tagesablauf und vieles andere aus dem harten und entbehrungsreichen Dasein der Mönche anschaulich informiert.

In Jüterbogs Altstadt ist neben der Nikolaikirche mit dem legendären hölzernen „Tetzelkasten“ für die Ablass-Dukaten sowie dem eindrucksvollen Fegefeuer-Altar von Lucas Cranach das Mönchenkloster die wichtigste Adresse. Seine Mauern beherbergen das sogenannte Kulturquartier mit Stadtbibliothek und Besucherinformation – neben himmelwärts strebenden Kirchenpfeilern und unter wunderbar restaurierten Kreuzrippengewölben mit originalem Heiliggeistloch.

Tetzel wurde zum Sündenbock

Im Museum nebenan gibt es Originale von Tetzels Ablasspredigten zu sehen, mit denen dieser wortgewaltig und effektvoll die Angst vor dem Fegefeuer schürte. Und auch die große Ausstellung „Tetzel, Ablass, Fegefeuer“ als Höhepunkt des Lutherjahres wird diverse Raritäten und Kostbarkeiten zeigen, wie Tetzels Antwort auf Luthers Thesen und Tetzels 106 Gegenthesen im Originaldruck.

Der ganze Disput sei zu Luthers Lebzeiten aber relativ gesittet verlaufen, meint Kulturquartier-Leiter Jens Katterwe: „Luther hat generell auf den Missbrauch des Ablasses reagiert. Und Tetzel war quasi die Figur, an der er sich gerieben hat. Tetzel hat sich dummerweise darauf eingelassen – da konnte er nur verlieren. Seine Rolle als Sündenbock aber ist erst Jahrzehnte später so stark überzeichnet worden.“

Etwas ganz Besonderes für das Jubiläum hat sich übrigens auch Pfarrer Gutsche ausgedacht. Er, der in seiner Kirche jedes Jahr Christi Himmelfahrt wie einst im Mittelalter zelebriert, will an die Tradition der Mysterienspiele anknüpfen, die seinerzeit Ausdruck tiefster Volksfrömmigkeit waren. „Damals haben die ehrbaren Bürger der Stadt simultan auf mehreren Bühnen und Stationen Theater gespielt – die Fleischer zum Beispiel, die den Fall der Engel inszenierten.“ Mit viel Leidenschaft dauerte so ein Laienspiel damals bis zu drei Tage. Für die Neuauflage 2017 plant Bernhard Gutsche zwei bis drei Stunden. Aber auch dafür wird schon mit Volldampf geprobt.

>>>Info

■Anreise: Mit dem Auto ab dem Ruhrgebiet in etwa fünf Stunden (ca. 500 km) nach Jüterbog. Oder per Bahn ( 01806/99 66 33, www.bahn.de) über Berlin nach Jüterbog.
■Übernachtung: Eine Übersicht über Hotels und Pensionen bietet die Stadtinformation Jüterbog (siehe Kontakt).

■Reformation: Stadtführungen zu „Reformation, Stadtgeschichte und Backsteingotik“ gibt es mittwochs (Ostern-31.10.). Der Luther-Tetzel-Weg von Jüterbog nach Wittenberg eignet sich gut für Radwanderer (www.luther-tetzel-weg.de). Zu den Veranstaltungen im Jubiläumsjahr gehören die Sonderausstellung „Tetzel, Ablass, Fegefeuer“ (8.9.-26.11.), das Stadtfest „Tetzel kommt“ (8./9.9.) und das Freiluft-Theater „Kohlhaas“ (30./31.10.).

■Kontakt: Stadtinformation Jüterbog, 3372/46 31 13,
www.jueterbog.eu

Tourismusverband Fläming e.V., 033204/62 87 63,
www.reiseregion-flaeming.de