Wittenberg. 1517 nagelte Martin Luther seine 95 Thesen an die Tür der Wittenberger Schlosskirche. Nicht nur Wittenberg bereitet sich auf das Jubiläum vor.
Auffällig unauffällig ist die alte Tür der Wittenberger Schlosskirche. Auch wenn das schräge Mauerwerk der Kirchentür kräftig profiliert ist und sich über ihr eine Malerei aus dem 19. Jahrhundert befindet, gehen viele Besucher erst einmal durch das schwere schwarze Portal hinein, ohne es eines näheren Blickes zu würdigen. Viele werden herauskommen und dann noch mal genauer gucken, Fotos machen. Denn: An die Tür wurde Geschichte geschrieben. Oder eher: geschlagen. Am 31. Oktober 1517 nagelte Martin Luther (1483-1546) seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses an die Holztür. Luther gilt als Kopf der Evangelischen Kirche, der Thesenanschlag als Auslöser für die Reformation. Hier fing alles an.
Sachsen-Anhalt investiert 70 Millionen
Zumindest soll es so gewesen sein; historisch ist das Ereignis nach wie vor umstritten. 500 Jahre Reformation werden dennoch in jedem Fall gefeiert. Das lassen sich nicht nur die Evangelische Kirche, sondern auch Luther-Länder, Städte und Bund einiges kosten. Sachsen-Anhalt investiert beispielsweise rund 70 Millionen Euro in das Spektakel, 50 Millionen Euro beträgt allein der Etat des kirchlichen Organisationsbüros in Wittenberg. Kurz vor Beginn des Jubiläumsjahres am 31. Oktober 2016 wird in der seit 1938 amtlich anerkannten Lutherstadt noch überall gewerkelt, werden Häuser renoviert und Straßen saniert. Sie wollen pünktlich fertig sein.
Den historischen Garten am Melanchthonhaus hat die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt erst im Juni dieses Jahres eröffnet. In der Neugestaltung des Gartens spiegelt sich die Persönlichkeit des Theologen und Philologen Philipp Melanchthon (1497-1560) wider, der neben Luther eine treibende Kraft der Reformation war. Zwischen den sanierten historischen Außenmauern gibt es frisch angelegte Kräuterbeete, eine Eibe steht im Hintergrund. Damals schon soll Melanchthon unter einem solchen Baum gesessen und im ruhigen Idyll mit seinen Schülern gelernt haben.
Luther lockt Besucher, Besucher bringen Geld
Um Teile der Schlosskirche steht ein Bauzaun. Jahrelang konnten Besucher nicht eintreten. Zum Glück ist das jetzt anders. In dem Unesco-Welterbe ist nämlich Luthers Grabstätte zu sehen, zusammen mit der Thesentür zählt sie zu den Sehenswürdigkeiten der Kirche. Das kleine Grabmal ist unter der Kanzel ausgehoben, fällt fast noch weniger auf als die Thesentür. So hätte es Luther gefallen, sagen die Wittenberger voller Stolz.
Stolz sind sie auch, weil sie Luther hier beerdigt haben – und nicht in Eisleben, wo der Reformator starb. So sehr das Reformationsjubiläum die Gedenk-Akteure eint, sind sie auch Konkurrenten. Luther lockt Besucher, Besucher bringen Geld. Der Imagegewinn könnte groß sein – und profitabel.
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Zur Koordination wurde die Staatliche Geschäftsstelle „Luther 2017“ gegründet, getragen von Bayern, Sachsen, Thüringen, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt – und der Bundesregierung. Da, wo sich die Veranstalter einig sind, haben sie auf „Die volle Wucht der Reformation“ gesetzt. Unter diesem Motto sind die drei nationalen Sonderausstellungen zusammengefasst, die nicht nur im Lutherhaus in Wittenberg, sondern auch im Deutschen Historischen Museum in Berlin sowie auf der Wartburg in Eisenach stattfinden. Sie werben gemeinsam mit dem schlichten Bild des Hammers – obwohl gar nicht eindeutig belegt ist, dass Luther genagelt hat.
Ortswechsel. Durch das Grün des Thüringer Waldes geht es in den ebenso grünen Norden Bayerns. Der Anstieg auf die Veste Coburg ist atemraubend, der Ausblick dafür atemberaubend: Weitläufige Landschaften, zwischen den massiven Mauern und hohen Türmen blinzelt die Sonne hervor. Hier auf der Veste lebte Luther 1530 ein halbes Jahr lang, versteckte sich, während seine Anhänger beim Reichstag für die Reformation stritten. Damals zählte die Festung noch zu Coburg, liegt heute aber in Franken, Bayern. Viel weiter ist Luther selten gekommen: Rom enttäuschte ihn, sein Lebensmittelpunkt lag im überschaubaren Kursachsen – in Eisleben, Mansfeld, Eisenach, Erfurt, Wittenberg und Leipzig. Die zwei Lutherzimmer in der Burg sind noch erhalten; in den Räumen mit den dunkelbraunen Holzbalken und nicht minder dunkel vertäfelten Wänden verfasste Luther als Geächteter Briefe und Bekenntnisschriften. Klar also, dass sie hier sagen: Coburg war reformationsgeschichtlich wichtiger als die Wartburg.
Die Veste Coburg jedoch hat sich bislang kaum als Luther-Stätte etablieren können: Viele bringen sie nicht mit dem Reformator in Verbindung – bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nämlich blieben die dicken Tore hier geschlossen. Andere Luther-Stätten hingegen machten sich einen Namen. Für den Freistaat Bayern ist das Reformationsjubiläum eine Chance – 2017 wird die Bayrische Landesausstellung sich hier auf der Festung mit „Rittern, Bauern, Lutheranern“ auseinandersetzen.
Die Wartburg ist das Portal zur Reformation
Bislang aber ist die Wartburg noch der stärkere Publikumsmagnet: 350. 000 Besucher besichtigen das Unesco-Weltkulturerbe jährlich. Sie ist für alle, die aus Richtung Westen kommen, auch das Portal zur Reformation. Darauf wiederum sind sie stolz in Thüringen. Genauso wie auf die 95 Wanderwege innerhalb des Bundeslandes. Mehreren davon kommt während des Reformationsjubiläums eine erhöhte Bedeutung zu: Auf 18 Wander- und Radtouren können Touristen auf Luthers – und auch Johann Sebastian Bachs oder Lucas Cranachs – Spuren wandern und die historischen Orte der Reformation entdecken.
„Die Massenbewegung entsteht durch das Reformationsjahr sicherlich nicht“, sagt Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow in der Historischen Bibliothek des Augustinerklosters in Erfurt. Dennoch werde man im Land alle Aktivitäten des kommenden Jahres mit der Reformation verbinden – im Glauben daran, den Tourismus mit Geschichte beleben zu können. Denn der ist in Ländern wie Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen noch unterdurchschnittlich aufgestellt.