Darß. Ob zu Wasser, aus der Luft oder zu Fuß, der Nationalpark an der Küste im Norden Mecklenburg-Vorpommerns ist in jedem Fall eine Reise wert.

Ich gehe in die Luft. Nicht vor Wut, aus purer Neugier steige ich auf in die Perspektive der Kraniche, die sich jedes Jahr zum XXL-Zwischenstopp einfinden auf Deutschlands beliebtester Halbinsel. Einem in jeder Hinsicht extravaganten Stück Land zwischen Ostsee und Bodden, das auf der Karte aussieht wie eine gen Osten gerichtete Pistole. Ihr Griff wird gebildet durch das Fischland, der Verschluss mit Kimme und Abzug durch den Darß, der Lauf durch den Zingst und das Korn durch den Bock, den nur eine Fahrrinne von der Insel Hiddensee trennt.

Wie dieses irre Gebilde in echt ausschaut, sieht man am besten auf einem Rundflug. Vom Ostseeflughafen Stralsund-Barth propellert die Cessna schnurstracks gen Westen, zum berühmten Darßer Weststrand. Ein weißer Weltklassestreifen, der sich die Küste hochzieht bis zum Darßer Ort ganz im Norden. Dieser wiederum ist eine maritime Großbaustelle: Denn hier wird unablässig ausgespuckt und angespült, was Sturmwellen zuvor mit brachialer Gewalt vom Weststrand weggefressen haben – so entstehen bis zu zehn Meter Neuland pro Jahr. Ein rasanter Prozess: Vor 300 Jahren noch stand das Wasser am Leuchtturm, inzwischen ist das Land nördlich davon um fast zwei Kilometer „gewachsen“.

Vom Flieger ins Boot, von der Luft auf den Bodden

Wir schwenken nach Osten: Jetzt ziehen mich die langen Strände von Prerow und Zingst in ihren Bann – grandiose Urlaubsspielplätze aus Puderzucker und Meerwasser bis fast zum Horizont. Rechts dahinter rahmt saftiges Wiesen- und Weidengrün die Boddengewässer mit ihren einsamen Inselchen ein. Und hinter Zingst dann legt die Natur noch einen Auftritt der Extraklasse hin. Das Windwatt Bock nämlich ist nur von oben in seiner ganzen surrealen Schönheit sichtbar – eine zehn Kilometer lange Sandbank, die kaum ein Mensch je betritt und auf der Muscheln, Schnecken, Würmer und Krebse folglich ganz und gar ungestört leben.

Fahrzeug- und Perspektivwechsel. Vom Flieger ins Boot, von der Luft auf den Bodden. Genau genommen liegen gleich drei solcher Lagunen zwischen Halbinsel und Festland, und natürlich sind auch sie unverzichtbar in der Urlaubs- und Freizeitwelt von Fischland, Darß und Zingst. Besonders beliebt: Bodden-Törns auf traditionellen Zeesenbooten, mit denen bis in die 1980er Jahre gefischt wurde. Heute schippern die rostbraun getakelten Segler als Ausflugsboote um die Halbinsel und kämpfen im Sommer auf Regatten um Siege. Wer hingegen gern selbst Segel setzt, etwa um als Kite-Surfer rasant übers Wasser zu jagen, findet im Flachwasser des Saaler Boddens zwischen Fischland und Festland ein exzellentes Revier.

All das Land und Wasser übrigens ist Teil des „Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft“. 1990 aus der Taufe gehoben als eines von drei schützenswerten Gebieten in Mecklenburg-Vorpommern, heute nach Besucherzahlen der beliebteste Nationalpark in Deutschland. Mit 805 Quadratkilometern Ostsee und Boddengewässern sowie 371 Kilometern Küste und allem, was dazu gehört: Strände und Dünen, Windwatts und Sandhaken, Nehrungen, Kliffs, Salzwiesen.

Mit 130 brütenden Arten ist der Nationalpark ein Vogelparadies

Mit Ranger Lutz Storm nehme ich einen winzigen Teil dieses Riesenreviers unter die Stiefel. Ob Storm beschreibt, wie sich einsame Sandkörner zu einer Primärdüne aufbauen; ob er den Strandhafer preist, der mit wäscheleinelangen Wurzeln im nährstoffarmen Quarzsand überlebt; ob er zeigt, wie Sand und Salz die Windflüchter so abschmirgeln, dass sie vor dem Westwind tatsächlich zu fliehen scheinen: Mit Geschichten und Sprüchen, mit Donnerkeilen und Hühnergöttern malt der Ranger ein buntes Bild vom ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens in diesem einmaligen Lebensraum – und die Leute hängen an seinen Lippen.

Auch Ornithologen bekommen hier glänzende Augen. Sandregenpfeifer, Stelzenläufer, Kormorane und Seeadler – im Nationalpark brüten 130 Vogelarten, die größten Populationen stellen Wasser- und Watvögel. Und zweimal im Jahr wird die Begeisterung zum Massenphänomen – wenn abertausende Kraniche einfliegen zum Tanken und Tanzen. Dann rücken Heerscharen von Vogel- und Fotofreunden an auf der Jagd nach dem Schnappschuss der Extraklasse. Ganz egal, aus welcher Perspektive.