Essen. Kreuzfahrtschiffe machen zunehmend auch auf Kuba Halt. Busse bringen die Passagiere dann in die Städte. Wir haben uns vor Ort umgesehen.

Mein Hof, mein Tabak, meine Kinder. Breitbeinig steht Benito Camejo in der Scheune, „John Wayne“ fällt einem Reisenden ein, aber natürlich gäbe er hier auf Kuba auch einen glaubwürdigen Ernest Hemingway ab – vielleicht weniger schüchtern. Mit selbstbewusst aufgeplustertem Schnurrbart und, muss man das wirklich noch sagen, dicker Zigarre in der Hand erzählt Camejo über Tabakanbau. „Ich verkaufe 90 Prozent an den Staat und 20 Prozent für mich“, sagt der 45-jährige und sammelt Lacher ein für diese Andeutung von Schlitzohrigkeit. Seine Familie habe die Felder in der vierten Generation, „die fünfte gibt es auch schon, dafür habe ich gesorgt“. Abgang mit Dolch im Hosenbund, dazu Beifall.

Am frühen Nachmittag sind kurz hintereinander acht Busse angekommen, sie fuhrwerken vor und zurück und übertönen sogar empörenderweise den einen oder anderen Camejo-Witz. 13 Gruppen von einem Kreuzfahrtschiff sind an diesem Mittwoch hierher nach Viñales gereist, Zentrum des kubanischen Tabakbaus, Nationalpark, Weltkulturerbe – und 190 Kilometer weit weg von Havanna. Für Kreuzfahrer ist das enorm weit, denn an Land haben sie eigentlich nie Zeit: Heut Abend geht doch das Schiff!

Das billige Leben hat einen teuren Preis

Doch auf dieser Fahrt in den kubanischen Winter ist es anders, und das nicht nur, weil das Land bei 21 Grad fröstelt und im Januar den Rasen mäht. Denn die italienische „Mediterranean Shipping Company (MSC)“ ist die erste große Kreuzfahrtgesellschaft, die ein Schiff im Heimathafen Havanna positioniert hat. Möglich macht das ein ausgesprochen warmer Wind des Wandels, der über Kuba weht: die Öffnung für westliche Touristen, für Marktwirtschaft und, unter uns, für Euros als Zahlungsmittel in touristischen Zentren. Und weil „die Entscheidung für eine Kreuzfahrt über die Route fällt“, wie eine Firmensprecherin sagt, bleibt die „MSC Opera“ ungewöhnlicherweise auch etwas mehr als zwei Tage und Nächte in Havanna. Daneben fährt sie für Tagesausflüge im Laufe einer Woche Montego Bay (Jamaika), Cozumel (Mexiko) und Georgetown auf den Cayman-Inseln an.

Die Spekulation, dass der Name „Kuba“ ein besonderes Publikum zieht, geht offenbar auf, wie eine Rundfrage auf dem Sonnendeck beweist. „Havanna hat eine besondere Geschichte, hat Tradition, wir wollten das noch mal sehen, bevor die ganzen Amerikaner einfallen“, sagt etwa Wolfgang Zaers vom Ammersee. Hinzu kommt die angenehme Sicherheit, die sich ergibt, wenn man ein schwimmendes Hotel aus Europa sozusagen mitgebracht hat. Freilich muss man auch sagen: Mit dem Ursprünglichen, das sie suchen, ist das so eine Sache.

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Denn wer die „Opera“ verlässt, landet in einer Altstadt, in der es stellenweise zugeht wie auf dem Markusplatz in Venedig: nur weniger Tauben und noch weniger Einheimische. Vielleicht mehr Italiener. Touristengruppen ziehen einander entgegen und entwirren sich dann wieder, Kubaner sind praktisch nur gegenwärtig als Kellner oder Fotomotive, die die Hand aufhalten. Damen mit dicken Zigarren! Che-Guevara-Doubles! Die Fahrer der bonbonbunten Oldtimern, tausende gibt es noch davon, und viele von ihnen sind unterwegs als private Taxifahrer. Man kann das erkennen an dem „P“, mit dem das Kennzeichen beginnt. Und muss dann das Portemonnaie öffnen mit den „Konvertiblen Pesos“, die zumindest offiziell das einzige erlaubte Zahlungsmittel für Touristen sind. Denn bei den Taxifahrern sind europäische Preise aufgerufen.

Warten, was der Tag bringt

Einer von ihnen steht gerade an der Plaza de San Francisco und wartet, was der Tag ihm bringt. Solange er nichts bringt, erzählt er gern von der Leichtigkeit des Scheins: Wie gut er lebe auf Kuba, wo alles billig sei. Passenderweise zeigt das Bild auf seinem Handy-Display Fidel Castro, doch ebenso passenderweise fällt in diesem Moment ein Stück Ziegel vom Dach und zerschellt auf dem Bürgersteig. Das billige Leben hat einen teuren Preis. Einen Preis namens Verfall. „Wenn man das alles restaurieren kann, ist das eine absolute Weltstadt. Aber für mich ist es zu 80 Prozent abrissreif“, sagt Klaus Walther aus Chemnitz. 80 Prozent sind etwas hochgegriffen, aber man sieht schon viele Prachtbauten aus der Kolonialzeit, die offenbar nur noch eiserner Wille zusammenhält, vielleicht auch die Haken der Fensterläden oder die Nägel in den verbretterten Fenstern. Andere sind aufgegeben. Havanna ist mal Art Deco, Miami 2016, und dann ist es, was den Verfall angeht, Leipzig 1989.

Ein Jahr hat MSC daran gearbeitet, Havanna als Kreuzfahrtziel einzurichten. Mit der Regierung mussten sie sprechen, Liegeplatz und Flugpartner klarmachen, Ausflüge, deutschsprachige Führer. Inzwischen ist der Plan, dass die „MSC Opera“ noch bis zum Frühjahr in der Karibik bleibt, um im Herbst zurückzukehren mit einem zweiten Schiff.

Doch zurück nochmal zu dem Mittelpunkt Benito Camejo, zu dem selbstbewussten Tabakpflanzer. Für ihn, den Eigentümer, sind es gute Zeiten, der Tabak wird teurer, Land will er demnächst hinzukaufen. „Viele machen heute Geschäfte, für alle wird es besser auf Kuba“, sagt er. Die Zigarre hält er wieder. Und, Señor Camejo, wird sich auch die Politik ändern? „Das weiß ich nicht. Mir gehört der Hof, nicht das Land.“ Wir sind überrascht.