Essen. Tunesiens Tourismus liegt nach den Anschlägen am Boden, nun wird überall Sicherheit ganz groß geschrieben. Eine Glaubensfrage.
Moderne Mädchen auf einer Friedhofsmauer, zu ihren Füßen Tunis und das dunkelnde Mittelmeer. Agaven, Minarette, ein Leuchtturm, wir blicken auf eine von oben friedliche Stadt. Und zur blauen Stunde entdecken wir Zeichen in den noch blaueren Türen des Vororts Sidi Bou Said: Die „Hand der Fatima“ als Beschlag oder Nietenmuster, der wahrscheinlich wirksamste Schutz gegen Feuerdämonen und das Unheil der Welt. Können die neuen Metalldetektoren in den Hotels, die Straßenpolizisten, all die Wachleute am Strand einen besser schützen vor Terroristen als dieses Symbol? Es ist wohl eine Glaubensfrage.
Es waren nur vier Attentäter, die Tunesien in die Knie zwangen. Sie schossen am Bardo-Museum und am Strand von Sousse 60 Menschen nieder, fast alle Urlauber. Der dritte Anschlag im vergangenen Jahr traf die Präsidentengarde. Nun liegt die Reisewirtschaft am Boden. Die Zahl der europäischen Touristen hat sich mehr als halbiert (46 Prozent), Tunesien zahlt sogar den Fluggesellschaften Geld, damit sie den Betrieb aufrecht erhalten.
Alle Koffer werden geöffnet
Aber das hat Maria Troppmann aus Regensburg und ihre elf Golffreunde nicht abgehalten, auch diesen Winter wieder im Marhaba am Strand von Hammamet zu verbringen. „Wenn man das Zuhause erzählt, sagen alle: Ihr spinnt. Aber es kann ja überall passieren, in Istanbul oder in einer Disco in Paris. Es ist Schicksal.“ Das Preis-Leistungs-Verhältnis sei toll, das Essen besser als in Spanien, die Angestellten „vielleicht schon eine Spur zu nett“, sagt die Mittsechzigerin. „Aber da fühlt sich nichts komisch an. Wir haben auch am Golfplatz das Gefühl, wir sind sicher.“
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Tatsächlich müssen Unbekannte nun eine Sicherheitsschleuse am Hoteleingang passieren, alle Koffer werden geöffnet, neue Kameras sollen vor Angreifern warnen, ebenso wie die 21 Sicherheitsleute des Marhaba, fast doppelt so viele wie vor den Anschlägen. Sie sind allerdings unbewaffnet und können nur Alarm auslösen und die Polizei rufen. Die kontrolliert die Zufahrten zu den großen Hotels. Auch unser Kleinbus wird mit Unterbodenspiegeln abgesucht. Die Liste der neuen Sicherheitsmaßnahmen ist lang und verpflichtend.
Eigentlich kein Geld für einen Detektor
Doch im benachbarten Sentido-Ressort fehlt der Metalldetektor noch. „Wir möchten kein Kino machen. Die besten Kameras sind unsere Augen“, erklärt Sicherheitschef Lotfi Gharbi. Man werde wohl einen Detektor anschaffen müssen, aber eigentlich sei kein Geld dafür da, Wie auch, wenn nur jedes fünfte Bett belegt ist. Absolute Sicherheit sei eine Illusion, sagt Gharbi. Im Restaurant greift er ein Brotmesser, um zu demonstrieren, dass ein Terrorist überall Waffen fände: „Eine Melone, zack, zwei Melonen.“
Zurück in Tunis: Vorbei an den zurückhaltenden Händlern in den Gängen der Medina, vorbei an der Taufkirche von Roberto Blanco, vorbei an den Cafés der Avenue Habib Bourguiba. Sie sind rappelvoll mit Menschen, die ihren Minztee mit einer Schicht Pinienkerne nehmen. Sind die Menschen wohlhabend oder arbeitslos, misstrauisch oder entspannt? Schwer zu sagen, eher letzteres. Diese Straße war ein Schauplatz der Revolution vor fünf Jahren und auch für die Proteste im Januar. Derzeit ist sie gesperrt für Autos. An ihrem Ende liegt das Tourismusministerium. „Demonstrationen gehören zu einer Demokratie“, sagt die Hausherrin Salma Elloumi Rekik. Ja, es habe dabei Plünderungen gegeben, und extreme Parteien hätten die Proteste ausgenutzt. Aber es ging im Kern um Arbeitslosigkeit, erklärt die Ministerin. Die derzeitige Ausgangssperre ist demnach ein vorübergehendes Phänomen.
Polizei soll korrupt sein
Nur bis Mitternacht also können die Kinder der Revolution an diesem Samstag ihre Freiheit in der Villa 78 auskosten – eine Bar mit Bed & Breakfast, in der sich Musiker, Designer und Programmierer treffen, die alternative Elite. Der Hof ist voll, die Musik elektrisch, die Stimmung: berlinerisch. Pläne, Deals, Zukunft. Einen Wein zu trinken, ist in Tunesien auch anderswo kein Problem, offen über Homosexualität zu reden schon. Dieser Nukleus des Wandels ist eine hart erkämpfte Errungenschaft.
„Die Polizei ist extrem korrupt“, sagt Steven Abdelatif, der Kopf der Villa 78, ein Palästinenser mit US-Pass. „Aber wir bestechen nicht. 20.000 Dollar an Material haben sie schon beschlagnahmt. Boxen, Mischpulte, Bier und Wein.“ Er selbst habe schon einige Nächte in der Zelle verbracht. Aber mehrere Botschaften hätten sich für ihn eingesetzt. „Es ist ein Schachspiel“, sagt Steven. „Jeden verdammten Tag.“ Aber sein Haus ist immer voll, er macht schon Expansionspläne.