Binz. Die Bäderarchitektur in Binz bietet eine bunte Mischung aus verschiedenen Epochen. Schon 1816 wurde der Ort zum Seebad erklärt.

Auch die letzten Sonnenstrahlen verlieren an Kraft. Der Herbst hat kräftig aufgefrischt, und so schwebt die vornehme Blässe der über die Binzer Strandpromenade flanierenden Damen nicht in Gefahr. Ihre gepuderten Gesichter bleiben so weiß wie die Wände der rund 50 steinernen Diven, die wie eine Perlenkette die Strandmeile säumen: Die Villen im Stil der Bäderarchitektur, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut wurden. „Fürst Wilhelm Malte I. erklärte Putbus bereits 1816 zum Seebad“, berichtet Gästeführer Klaus Boy im eleganten grauen Gehrock. Das Problem: „Der Ort liegt viel zu weit vom Strand entfernt.“

„Baders“ und „Strandlöpers“ wurden per Kutsche nach Binz geschaukelt, das damals ein kleines Dorf war. „So richtig entwickelte sich das spätere Seebad Binz erst ab 1883.“ Logierhäuser entstanden an der Putbuser Straße. Gastwirt Wilhelm Klünder ließ das Strandhotel mit 140 Betten als erstes Hotel am Meer errichten. Nach der Wende musste es abgerissen werden, wie rund 15 Prozent aller Häuser, die marode waren. Alle anderen ließen sich aufpäppeln und strahlen seitdem weißer denn je. „Alle drei Jahre muss nachbessert werden, denn Wind und Salzluft nagen an den Fassaden.“

Ein Mix aus verschiedenen Epochen

Zwar ist die Bäderarchitektur zur Zeit des Jugendstils zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg entstanden, doch es ist ein Mix aus verschiedenen Epochen wie Gotik, Renaissance und Klassizismus. „Die weiße Farbe ist das herausragende Merkmal, heute sind allerdings auch Beige und ein helles Grün erlaubt“, sagt Boy: „Balkone, Loggien und Veranden spendeten Schatten gegen die unfeine Bräune. Wer es sich leisten konnte, gab seinem Haus ein bisschen mediterranes Flair mit Türmchen, Erkern, Säulen und Pfeilern.“

Je mehr eine Pension hermachte, desto zahlungskräftigere Gäste erwartete man. Zu DDR-Zeiten wurden mit der „Aktion Rose“ die meisten Villen enteignet, zu Mietshäusern oder Ferien- und Kinderheimen umfunktioniert.

Als „Urlaub“ noch „Sommerfrische“ hieß

Da es sich vor so viel traditionsreicher Kulisse auch heute noch wunderbar flanieren lässt, wurden 2009 im Rahmen der Feierlichkeiten zu „125 Jahre Seebad Binz“ die „historischen Tage“ ins Leben gerufen. Binzer Geschäftsleute, Gastronomen, Hoteliers und Privatleute zeigen sich im Stil der Belle Epoque, machen eine Zeitreise zurück um 1900 als Urlaub noch „Sommerfrische“ genannt wurde.

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Von Anfang an dabei ist Vera Runge. In schwarzroter Robe und mit breitkrempigem Hut steht die gebürtige Belgierin hinter dem Ladentisch ihrer Galerie „wellen Künst“ an der Margaretenstraße. Einer Kunstmeile, die von der Strandpromenade abzweigt und hinter weißen Mauern charmante Schmuckwerkstätten, Glas- und Keramik-
Boutiquen zu bieten hat.

Monika und Sigurd Bartuschat hingegen verzichten an diesem Morgen darauf, sich um das Wohlergehen ihrer Gäste in der 1905 errichteten Pension Edelweiß zu kümmern. Sie unternehmen einen Ausflug mit dem Schmalspurdampfzug zum Jagdschloss Granitz. Am Kleinbahnhof wartet bereits ein illustres Völkchen auf die Einfahrt des „Rasenden Rolands“, der seit Ende des 19. Jahrhunderts zwischen Putbus, Binz und Göhren über 750 Millimeter breite Gleise schnauft. Die Fahrt mit der alten Dampflok und in historischen Waggons mit Holzbänken und Bollerofen dauert nur wenige Minuten. Zu Fuß geht es weiter auf den 106 Meter hohen Tempelberg, auf dem das Schloss thront. „Der Berliner Architekt Johann Gottfried Steinmeyer ließ das Gebäude für Fürst Wilhelm Malte I. zwischen 1837 und 1846 erbauen“, erzählt Klaus Boy. „Den 38 Meter hohen Mittelturm entwarf Karl Friedrich Schinkel.“ Nach einem Rundgang vertreiben sich die Gutbetuchten die Zeit bei einem Picknick und Boule-Spielen im Hof des Schlosses.

Zauberei und Murmelspiel

Zurück im Ortszentrum, folgt ein Bummel über den Kunsthandwerkermarkt im Kurpark. Die Jüngsten amüsieren sich unterdessen im Dampfkarussell oder lassen sich von Floh Bruno im Flohzirkus, von Taschenzaubereien und Murmelspielen beeindrucken.

Schließlich schlendert die Hautevolee zum mondänen Kurhaus in der Nähe der 370 Meter langen Seebrücke. 1902 entstand die erste, zum Lustwandeln für die „Luftsnappers“. Die jetzige stammt aus dem Jahre 1994.

Dann wird es Zeit, sich zurückzuziehen. In die Bar der Villa Salve, einem Hotel und Restaurant an der Strandpromenade aus dem Jahre 1899. Hier lässt man die Erlebnisse des Tages Revue passieren. Nippt an einem Drink aus alter Zeit: einem Gibson, einem Mint Julep oder einem Tom Collins. Binz hat Stil. Heute wie damals.