Ålesund. Vor 111 Jahren fiel die ganze Stadt Ålesund einem Feuer zum Opfer. Heute ist die Stadt am Fjord eine der schönsten in Norwegen.

Im Hinterzimmer der Schwanenapotheke betreten Besucher die Zeitmaschine. Die Tür schließt sich hinter ihnen, Jahre rattern rückwärts, bis die Anzeige auf 1904 steht. Dann öffnet sich die Tür auf der anderen Seite, und man geht hinein in die Nacht des 23. Januar. Glocken läuten, ein Sturm heult aus Lautsprechern. Der Orkan blies aus Südwesten in jener Schicksalsnacht. Aus der Richtung, in der das Feuer in einer Konservenfabrik begann. Bald sei die ganze Stadt ein Flammenmeer gewesen, erzählt eine Zeitzeugin im Film. Nur ein Mensch starb, als fast ganz Ålesund niederbrannte. 111 Jahre ist das jetzt her – und die Katastrophe von damals ist der Grund dafür, dass die Stadt am Fjord heute eine der schönsten in Norwegen ist.

„Jugendstil-Häuser sieht man in vielen Altstädten in Europa“, sagt Ingvil Grimstad. „Das Besondere an Ålesund ist, dass die ganze Stadt im Jugendstil gebaut wurde.“ Grimstad leitet als Kunsthistorikerin das Jugendstilzentrum in der Schwanenapotheke. Das Gebäude aus Naturstein mit dem runden Eckturm steht am Ålesundet, dem Aal-Kanal, der der Stadt ihren Namen gab.

Ein Spielplatz für Jugendstil-Architekten

Die alte Apotheke war wie die gesamte Stadt aus Holz gebaut und brannte in der Katastrophennacht nieder. Den Neubau plante Hagbarth Schytte-Berg. Der Stararchitekt hatte in Deutschland studiert, ebenso wie einige seiner Kollegen, die für den Wiederaufbau aus ganz Norwegen nach Ålesund kamen. Andere hatten an Universitäten in Großbritannien oder Österreich die Einflüsse des Jugendstils aufgesaugt und lebten ihre Neigung hier aus.

Nach drei Jahren waren bereits 400 Häuser im Stadtzentrum vollendet. Das hohe Tempo verdankte sich mehreren günstigen Faktoren: In der Wirtschaftskrise waren Ziegel, Holz und Schieferplatten billig. Viele Arbeitslose kamen aus dem Süden, um mitzuarbeiten. Die Versicherungen bezahlten rund 70 Prozent der Schäden. Und reiche Bürger starteten den ersten Aktienfonds Norwegens.

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Auch der deutsche Kaiser hatte seinen Anteil an der erstaunlichen Auferstehung. Wilhelm II. liebte Norwegen. Als der Kaiser die Nachricht von der Katastrophe hörte, handelte er schnell. Er schickte Essen, Kleidung, Medikamente. Schon zwei Tage nach dem Brand kam das erste Hilfsschiff aus Deutschland an. Heute erinnert die „Keiser Wilhelmsgate“, eine Straße in der Innenstadt, an den generösen Helfer.

Eine schönere Stadt dank Feuer

So zynisch es klingt, für das Stadtbild Ålesunds war die Katastrophe eine Chance. „Die Stadt wurde besser und schöner wieder aufgebaut“, sagt Ingvil Grimstad. Die neuen Straßen wurden breiter angelegt. Und nach dem Feuer schrieb die Regierung vor, dass in ganz Norwegen die Häuser in den Stadtzentren aus Stein gebaut werden müssen. Die hübsch renovierten Gebäude am Kanal waren früher allesamt Fischfabriken. Man sieht noch die Öffnungen der Kräne zum Verladen des Fangs. Heute haben Agenturen, Restaurants und Hotels die alten Speicherhäuser übernommen. Im Frühjahr legen an der Ufermauer der Skansegata noch immer die Fischer mit ihren kleinen Booten an.

Den besten Blick auf die Stadt hat man vom Berg Aksla, auf den 418 Stufen führen. Von der Terrasse des Restaurants „Fjellstua“ öffnet sich ein wunderbarer Ausblick über die Stadt mit ihren Kanälen, Inseln, Häfen, über den Fjord und die weißen Gipfel der Sunnmørsalpen dahinter. Hier auf dem Hügel hatte die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ihre Bunker gegraben. Zum Glück fiel die „Festung Norwegen“, ohne dass Ålesund in einem zweiten Feuersturm verbrannte.