Almaty. Die ehemaligen Sowjetrepubliken in Zentralasien an der Seidenstraße sind bei Touristen im Kommen. Vieles erscheint dort einfacher, trotz der Probleme.

Heavy-Metal-Fan muss man sein auf dieser Reise: Den Rhythmus lieben, wenn tonnenschwere Eisenbahnwaggons über Schienenstöße und Weichen rollen, das Zischen der Luftdruckbremsen, das liebevolle „Plink-Plonk“, wenn der Wagenmeister bei jedem Zwischenhalt die 48 Achsen des „Orient Silk Road Express“ darauf abklopft, ob auch keines der Räder aus guter alter stählerner Sowjetzeit Schaden genommen hat bei der Fahrt durch die jungen Kinder des einstigen Riesenreiches.

Zweimal im Jahr rollt der Zug von Almaty in Kasachstan über Usbekistan nach Turkmenistan und wieder zurück. Viermal geht es entlang der Städte der Seidenstraße durch Zentralasien. Trotz klangvoller Namen wie Almaty, Taschkent, Samarkand, Buchara und Chiwa noch so etwas wie ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte. Eine Chance, sich selbst noch wie ein Entdecker zu fühlen, der vorstößt in ein Reich voller wunderschöner Baudenkmäler, einen geschichtsträchtigen Schmelztiegel, in dem Geschichte und Geschichten viel zählen und erzählen und dessen Zukunft unter dem sternenklaren Wüstenhimmel schwer zu deuten ist.

Toleranz und Weltoffenheit

Die Tourismusmanager vom Veranstalter Lernidee sind sich sicher, dass das Reiseziel Zentralasien im Kommen ist, gerade jetzt auf der Grenze zwischen Abenteuer und bequemem Tourismus balanciert und abenteuerlustigen Reisenden die Chance bietet, großartige Bauten und freundliche Menschen zu erleben.

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Was insbesondere für Kasachstan und Usbekistan gilt: Die Leute sind offen, die Frauen selbstbewusst, in farbenfrohen Gewändern unterm Kopftuch dezent geschminkt und mit wachem Blick und freundlichem Augenkontakt. Gewiss, auf dem Papier sind hier viele Menschen Moslems und der zu Sowjetzeiten unterdrückte Glaube belebt sich wieder. Usbekistan und Kasachstan sind zuversichtlich mit Islamschulen und renovierten Moscheen einen modernen Islam zu etablieren, der Toleranz und Weltoffenheit erlaubt. Dem Touristen wird gern das örtliche Bier namens Pulsar und Wein aus Georgien serviert. Und „weißer Tee“ sowieso – unter diesem Deckmäntelchen wird der Wodka auch von manchem Moslem getrunken. Gastfreundschaft galt unter den Nomadenvölkern Zentralasiens, lange bevor der Koran entstand: Wer die Mühsal des Reisens auf sich nimmt, wird selbstverständlich empfangen und bewirtet. Wer als Reisender nicht aufpasst, wird so schnell geladen, sich mit den Einheimischen hinzuhocken zu Speise und Trank.

Grundlagen der Mathematik

Wer heute hierher kommt, wird schier erschlagen von der Vielzahl der Bauwerke, mit denen die diversen Eroberer seit Alexander dem Großen und Dschingis Khan ihre Städte und Handelsrouten in Zentralasien sichern wollten: Mit Moscheen und Schulen, mit Grabmälern und Festungsmauern. Die alte Lehmstadt Chiwa, in der einst islamische Gelehrte mit der Erfindung der Null und dem Algorithmus die Grundlagen der heutigen Mathematik legten, hat noch heute Wohnviertel aus dem uralten Baustoff, während ein paar Hundert Kilometer weiter in Samarkand die wohl größte Konzentration prachtvoller türkisfarbener Kuppelbauten erstrahlt: Der Registan-Platz ist eines der Dutzend Weltkulturerbe-Stätten, hier wurden bis vor 90 Jahren zwischen drei Koranschulen noch Waren, Tiere und Menschen gehandelt.

Konnte man 1918 noch Sklavinnen kaufen, wurde hier zu Sowjetzeiten die Entschleierung der Frau ausgerufen. Der Erfolg hält bis heute an: Burka und Nijab sucht man in diesen Ländern vergeblich. Heute halten aufmerksame Ordnungshüter den symbolträchtigen Ort von allen verdächtigen Menschenansammlungen frei. Willkommen sind die Gäste, die Devisen bringen und Andenken mitnehmen in einem Land ohne Sheraton, Starbucks und McDonalds. Baumwollfelder und Raffinerien künden von den Einnahmequellen Usbekistans, das vom nahen Nachbarn Afghanistan weniger die Islamisten als vielmehr die Drogen fürchtet.

Die, so verkündet es die staatliche Führerin im Nachbarland Turkmenistan, hat der Staatschef einfach verboten – Problem gelöst. Wo die Dinge so einfach sind, kann man auch eine menschenleere Hauptstadt mit prachtvollen Boulevards und marmornen, nie benutzten Bushaltestellen und gigantischen Denkmälern aus dem Wüstenboden stampfen: Aschgabat leuchtet tagsüber so strahlend weiß und nachts so grellbunt, dass es in den Augen schmerzt.

Glaube an die Zukunft

Nur wer eine staatlich verordnete Ruhepause im Programm ignoriert und noch einmal durch andere Straßen geht, sieht auch Kinder, die barfuß über Rollsplitt ihren kargen Einkauf nach Hause tragen. Der wird um ein paar Dollars angebettelt und stößt hier, völlig anders als in den Nachbarländern, auf abgewendete Blicke und scheue, abwehrende Handbewegungen. Nach Nordkorea und Eritrea gilt in Turkmenistan die weltweit strengste Pressezensur. Wer hier mit einem Fremden spricht, muss nachher auch mit der Staatsmacht reden – das ist der beängstigende Eindruck, der sich in der so sauberen Wüstenstadt einstellt.

Zuvor, in Usbekistan und Kasachstan, hatte man den Eindruck, dass soziale Probleme nicht so heftig unter den Teppich gekehrt werden, dass in Straßenstaub und Wüstensand Menschen an ihre Zukunft glauben und dennoch ihre Traditionen wahren. Und weil die Gastfreundschaft darunter eine der größten ist, darf man hoffen, noch lange die Schönheiten der Seidenstraße besuchen zu können. Man muss nur damit leben, dass die Menschen, die sich meist gern fotografieren lassen, freundlich lächelnd auch ihre Kamera zücken – und sich ein Bild vom Reisenden machen.