Essen. 1959 begann die Eiszeit zwischen den USA und Kuba. Nun hat Barack Obama die verhängte Blockade gebrochen. Mit einer Touristenflut ist nicht zu rechen.
Die Amis waren schon einmal da. In den wilden 50ern flogen sie scharenweise ins freizügige Kuba. Unter dem Patronat des korrupten Diktators Fulgencio Batista boomten Glücksspiel und Drogenhandel im „Bordell der Karibik“. Im Hotel Nacional in Havanna teilten sich die Gangster Meyer Lanski und Lucky Luciano bei einer Konferenz der Cosa Nostra die Reviere auf. Bewacht von Auftragskiller Bugsy Spiegel und „entertained by“ Frank Sinatra. 1959 stoppte Castro das sündige Treiben. Es begann die politische Eiszeit mit den USA.
Ein halbes Jahrhundert Diplomatie ist seither verspielt worden. Aber nun rüstet eine neue unbefangene Generation von Amerikanern wieder zum 90-Meilen-Sprung auf die Insel vor Florida. Mit einem „Todos somos Americanos“ („Wir sind alle Amerikaner“) hat US-Präsident Barack Obama die 1960 verhängte Blockade gebrochen. Mit einer plötzlichen Flut von US-Touristen ist nicht zu rechnen, das Embargo kann nur vom Kongress aufgehoben werden. Und den dominieren Obamas republikanische Gegner.
Die Ästhetik des Verfalls
Aber jetzt schon landen jährlich zigtausende US-Amerikaner auf Havannas Aeroporto Internacional – teils „schwarz“ über Toronto oder Mexiko City, teils mit Sondergenehmigung des Washingtoner Amts zur Kontrolle von Auslandsvermögen. Mittelfristig könnten jährlich drei Millionen US-Amerikaner nach Kuba reisen – das entspricht der Gesamtzahl ausländischer Touristen im Jahr 2014 und dürfte die Insel nachhaltig verändern. Dass beide Staaten nun über ihren Schatten springen, hatte selbst Insel-Kenner Reto Rüfenacht nicht erwartet. „Aber Kuba ist faktisch bankrott und braucht ausländisches Investment“, sagt der Schweizer. Venezuelas Chavez, Castros generöser Sponsor, ist tot, und die vom Ölpreisverfall gebeutelten Südamerikaner haben eigene Sorgen. Selbst wenn die Amerikaner demnächst per Fähre von Miami kommen sollten, fürchtet der Inhaber von Cuba Real Tours keinen wilden Bauboom: „Ehe die Kubaner etwas falsch machen, machen die lieber gar nichts.“
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Bevor Amerika sie nun wieder ans Herz drückt, können die Kubaner noch einmal tief durchatmen. Und die Europäer dürfen weiter in einer Ästhetik des Verfalls schwelgen. Aber viel Zeit bleibt wohl nicht mehr: Die EU wird in den nächsten sechs Jahren 50 Millionen Euro ins Land pumpen. Noch herrscht Mangel an Kapital und Zement, der in Havanna noch immer dafür sorgt, dass der morbide Charme vergilbter Grandeur nicht so rasch weggetüncht wird. Auf brüchigen Balkonen flattert Wäsche. „Wir sind arm“, sagt Fremdenführer Rafael, „aber wir sind alle arm“. Dafür seien die Schulen gut, die Kliniken gratis.
Wer rettet Kubas Oldtimer vor dem Ausverkauf?
Doch kommt die Zeitenwende, bliebt die bange Frage: Wer rettet Kubas Oldtimer vor dem Ausverkauf? Rollen die jetzt alle ab in die USA? „4000 US-Dollar“, lockt ein Habanero im Overall, der unter einem rundbuckligen Dodge aus den 40er Jahren hervorkriecht. Was er nicht sagt: Dass unter der rostigen Fronthaube schon längst kein Sechszylinder mehr wummert, sondern ein sparsamer Toyota-Motor schnurrt. Und überhaupt: Er darf ja gar nicht an Ausländer verkaufen! Also wird man weiter (Achtung Aufnahme!) wie ein Traumschiff-Star in diesem weißen Cadillac-Cabrio-Cab mit diesen irrsinnig schönen Fintails auf geflickten roten Ledersitzen über den vom Meer umgischteten Malecon fahren. Oder in pastellfarbenen Buicks, Chevys und Studebakers aus einer Zeit, als die CIA das Problem Fidel Castro mit einem Geschenk lösen wollte – einem vergifteten Taucheranzug.